Europa vor dem Dammbruch?

Im Chilcheträff Glärnischbligg, Ennenda, referierte Arnold Hottinger, ehemaliger «NZZ»-Nahostkorrespondent, über die «Neue Beweglichkeit in der Dritten Welt» und deren kaum lösbare Problematik für die europäische Gemeinschaft. Martin Stützle wartete mit einem «Flüchtigen Ereignis» auf. Peter Grimm begrüsste im bis auf den letzten Platz besetzten Saal als Vertreter der veranstaltenden Trägerschaft mit den beiden Landeskirchen, der Evangelisch-Reformierten Kirchgemeinde Ennenda, Pro Natura Glarus, WWF Glarus, Verein Welt-Laden Glarus und unterstützt von Migros Kulturprozent.



Arnold Hottinger im Gespräch mit Claudia Kock Marti. Bilder: p.meier) Arnold Hottinger referierte umfassend. Peter Grimm begrüsste im Namen der Veranstalter. Martin Stützle und seine Intentionen. Voll besetzter Veranstaltungsraum im Chilcheträff Ennenda.
Arnold Hottinger im Gespräch mit Claudia Kock Marti. Bilder: p.meier) Arnold Hottinger referierte umfassend. Peter Grimm begrüsste im Namen der Veranstalter. Martin Stützle und seine Intentionen. Voll besetzter Veranstaltungsraum im Chilcheträff Ennenda.

Es kristallisierte sich heraus, dass nach Meinung des erfahrenen und sehr fundiert ausführenden Referenten die belastenden Probleme um die starken Flüchtlingsströme von der europäischen Gemeinschaft als Gesamtheit nicht lösbar sind. Zu sehr driften die Meinungen und getroffenen Massnahmen auseinander. Arnold Hottinger sprach von den bestehenden, alten Staaten, die für sich nach einer Lösung suchen müssen. Er zeigte auf, dass nur kleine Schritte zu einer partiellen Lösung führen können, dass nur eine begrenzte Zahl von Flüchtlingen in den Integrationsprozess eingebunden werden kann. Es muss mit kleinen Gruppen, nicht mit der Masse gearbeitet werden. Jeder aufnehmende Staat muss dringend Sorge zu seinen bestehenden, bewährten über Jahrzehnte und noch längere Zeitspannen gewachsenen demokratischen Strukturen tragen, sie bewahren. Hottinger warnte eindringlich, mit dem Reagieren nicht zuzuwarten, bis man von Flüchtlingen überrannt werde, die in unbewältigbaren Massen ins jeweilige Land gelangen, sich zumeist falsche Hoffnungen bezüglich gesicherter Zukunft und neuer Heimat machen. Europa, so Hottinger, habe zu lange falsche, irreführende Bildbotschaften in ferne Länder gesendet und damit Erwartungen geweckt, die einfach nicht stimmen.

Zur Person


Arnold Hottinger, mit Jahrgang 1926, ist Journalist und Publizist. Er wuchs in Düsseldorf und Basel auf. Er studierte Orientalistik und Romanistik an der Uni Zürich. Er promovierte im Jahre 1952. Weitere Studienorte waren Paris, Chigaco, Kairo und Beirut. Er spricht unter anderem fliessend Arabisch. Ab 1961 war er für die «NZZ» über drei Jahrzehnte hinweg Korrespondent in Beirut, später in Madrid und Nikosia. Er schrieb über den Nahen Osten, die islamische und arabische Welt. Er war für viele Radiostationen tätig, schrieb für weitere Zeitschriften und verfasste Bücher, von denen einige als Standardwerke gelten. Regelmässig schreibt er für das Online-Portal Journal 21. Er ist gefragter Referent und lebt heute in Zug. 1991 und 2003 erhielt er die Ehrendoktorwürden der Universitäten Basel und Bern.

Ein flüchtiges Ereignis

Martin Stützle machte schweigend, viel Zeit beanspruchend, auf Weihrauch, Myrrhe und Düfte anderer Kräuter aus Äthiopien, Pakistan und anderEn Ländern aufmerksam, die Kräuter entzündend, den Raum durchschreitend. Vorgängig wies er mit einem gedruckten Blatt auf Wechselwirkungen hin.

Das Referat


Schon vor Jahrzehnten zog es Leute aus arabischen Ländern nach Europa. Sie kamen aus zusammenbrechenden Staaten, in denen sich Gemeinschaften bildeten, in denen Einzelne nicht immer Platz fanden. In Europa besteht an verschiedenen Orten die moralische Pflicht oder Schuld, Flüchtende aufzunehmen. Die Vorstellungen des Asyls klaffen stark auseinander. Die aufnehmenden und anordnenden Instanzen versuchen heute, zwischen wirtschaftlichen und politischen Flüchtlingen zu differenzieren und finden die Unterschiede zuweilen kaum heraus. Wir verstehen nicht, wer aus welchen Gründen auf der Flucht ist. Wirtschaftliche und politische Motive verschwimmen, vermengen sich. Wir vergessen, dass in diesen zusammenbrechenden, nicht rund funktionierenden Staaten auch gut Ausgebildete nur eine Stelle finden, wenn sie über intakte Beziehungen verfügen. Hottinger glaubt, dass in absehbarer Zeit Ägypten mit seinen 90 Millionen Bewohnern zusammenbricht. Somalia war der erste Staat, der nicht mehr funktionierte. Andere Länder folgten. Es bildeten sich islamische Zellen und Gemeinschaften mit Andersgläubigen.. In allen Gruppierungen bildeten sich Untergruppen mit eigenen Führungen und Zielsetzungen. Die Suche nach Identität ist mit Gewalt und Flucht verbunden.

Viele entschieden und entscheiden sich, nach Europa zu flüchten. Hier finde man Arbeit, Frieden, Arbeit und Wohlstand. Alles sei gut. Europa, so Hottinger, habe mit seiner Kommunikationsform derartige Erwartungen und Begehrlichkeiten geweckt. An solchen Orten lasse sich recht gut leben, man müsse nur dahingelangen.

Nun sieht die Realität ganz anders aus. Länder schlossen ihre Grenzen, die EU konnte sich über einen Verteilschlüssel nicht einigen, das wird sie auch nie umsetzen können, dies die Ansicht des Referenten.

Arnold Hottinger verwies auf die prekären Situationen in Staaten mit hohem Flüchtlingsanteil


Die Türkei errichtet bereits Flüchtlingslager auf syrischem Territorium. Ostblockländer machten ihre Grenzen dicht, sie wollen keine Muslime aufnehmen. Libanon und Jordanien haben enorme Flüchtlingsanteile. Griechenland und Italien stehen zuweilen vor unüberwindlichen Schwierigkeiten. Hottinger zeigte auf, wie schnell sich unter Flüchtlingen rumspreche, welche Route auf dem Weg nach Europa noch sicher sei, welche Länder noch Leute aufnähmen. Er zeigte auf, dass Flüchtlinge oft auf Unverständnis und Ablehnung stossen, sich mit grossem Widerstand von Einheimischen konfrontiert sehen. Das Taktieren der Türkei mit der EU wurde detailliert erwähnt.

Für jedes aufnehmende Land ist es eine gewaltige Belastung und mit vielen unlösbaren Problemen verbunden, wenn Massen von Flüchtlingen zur jeweils gleichen Zeit ankommen.

Es wird zunehmend mit Abwehr, Gewalt, Unverständnis, Protest reagiert


Vielen europäischen Ländern, davon ist Hottinger überzeugt, steht eine gefährdende Gratwanderung bevor. Er rät, Attraktives zu reduzieren, Bestehendes unbedingt zu bewahren, in kleinen Schritten vorzugehen, realistische Erwartungen bekannt zu geben, über eigene Probleme (Arbeitslosigkeit, Beschäftigungslage, Wohnungsmarkt, Ausbildungsansprüche, Lehre und Berufsausübung, Sprache, Integrationsschritte, Erwartungen und Forderungen) offen und verständlich zu informieren. Die Schweiz stuft Hottinger als Aufnahmeland nicht als attraktiv ein. Zu gross seien die Hürden.

Diskussion


Fragen betreffend Verwendung ausbezahlter Gelder an die Türkei, Managen der Völkerwanderung, Mitbeteiligung bei der Destabilisierung von Lybien, Korruption, Abdanken von Gewaltherrschern, Einflussnahme durchs Ausland, Achsen Russland – Syrien und USA – Saudi Arabien und anderes konnten zum Teil beantwortet werden. Hottinger ist überzeugt, dass ein Assimilieren nur in kleinen Gruppen möglich ist.

Peter Grimm wies auf die kommenden Veranstaltungen mit den Titeln «Interkulturelle Kompetenz» vom 21. März und «Asyl in Glarus» (Einblicke in das Glarner Asylwesen) vom 25. April hin.