Fahrtsrede 2021 in der Hilariuskirche

Die traditionelle Fahrtsrede, dieses Jahr Corona-bedingt in der Hilariuskirche in Näfels, hielt Landesstatthalter Benjamin Mühlemann vor knapp 50 Gästen. Die Feier wurde direkt im regionalen Fernsehen übertragen.



Die traditionlle Näfelser Fahrtfeier wurde dieses Jahr in der Hilariuskirche in Näfels vor rund 50 Gästen und Medienvertretern durchgeführt (zvg)
Die traditionlle Näfelser Fahrtfeier wurde dieses Jahr in der Hilariuskirche in Näfels vor rund 50 Gästen und Medienvertretern durchgeführt (zvg)

Hochgeachtete Frau Landammann
Hochvertraute, liebe Mitlandleute

Freiheit und Frieden: das ist es, was unsere Näfelser Fahrt seit Jahrhunderten in allererster Linie symbolisiert. Am heutigen Tag ist das nicht anders. Wie üblich gedenken wir unserer Vorfahren, die am 9. April 1388 in eklatanter Unterzahl dem feindlichen habsburgischen Heer gegenüberstanden – bei elenden Witterungsverhältnissen im Schnee- und Regentreiben im Kampf um ebendiese Freiheit. In der Aufopferung für Frieden und für Unabhängigkeit.

Und doch haben die Begriffe Freiheit und Frieden am heutigen Tag eine noch etwas speziellere Bedeutung als meistens sonst. Weil eben doch sehr vieles anders ist, heute, im Jahr 2021: Wie gerne würden wir uns in diesem Moment am Waldrand im Schneisigen versammeln und darauf gemeinsam den andächtigen Klängen von Chor und Blasmusik lauschen. Wie gerne hätte ich Sie namens des Regierungsrats auf dem offenen Feld – direkt am Ort der damaligen Geschehnisse – zu diesem Gedenkanlass begrüsst statt hier in der ehrwürdigen Hilariuskirche. Und wie gerne würden Sie zuhause, die sich per Videoübertragung zugeschaltet haben, mit vielen Gleichgesinnten entlang der Gedenksteine pilgern statt alleine und aus der Ferne eine gekappte Fahrt mitzuverfolgen.

Bereits zum zweiten Mal seit Beginn der Krise im letzten Frühling ist es uns heute leider verwehrt, an diesem frühen Donnerstag im April das Gewohnte zu tun. Ein unsichtbarer aber nicht minder aggressiver Feind hat uns diese Freiheit genommen. Seit mehr als einem Jahr sorgt das Virus für viel Leid auf der ganzen Welt. So sind unsere Gedanken heute auch bei den Opfern der Pandemie und bei ihren Angehörigen.

Gleichzeitig sorgen die Massnahmen, die zur Eindämmung der Pandemie getroffen worden sind, für erhebliche Einschränkungen in unserem Alltag. Jeder und jede von uns ist davon so direkt und persönlich betroffen wie sonst kaum. Wir erleben für einmal alle hautnah, was es bedeutet, gewohnte Freiheiten hergeben zu müssen. Vor allem aber nehmen wir einigermassen verblüfft zur Kenntnis, wie stark in einer solchen Krisensituation unsere Grundrechte in Konkurrenz zueinander stehen können. Dass nicht alles absolut und unbedingt gilt, wussten wir. Jetzt aber erfahren wir es heftig und schmerzhaft.

Es existieren viele Ansichten oder Rezepte, wie wir rasch zu einem ungezwungenen Leben zurückkehren könnten. Nur öffnen sich in der Bevölkerung tiefe Gräben zur Frage, wie weit der Staat gehen soll oder darf und wie lange er einschränkende Massnahmen aufrechterhalten muss. Viele lehnen den von der Exekutive eingeschlagenen Weg ab, zum Beispiel, weil sie ernsthaft um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten. Oder weil Sie das gesundheitliche Risiko weniger dramatisch einschätzen. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass sie eindringlich auf die Eigentumsgarantie pochen oder mit Nachdruck das Recht auf Bewegungsfreiheit einfordern.

Anderseits wünschen sich viele Mitmenschen mehr Vorsicht aller im Alltagsleben und ein rigideres Durchgreifen der Behörden. Etwa aus Angst, selber schwer zu erkranken. Oder vielleicht, weil sie im Umfeld Angehörige verloren haben. Sie bestehen dann – und auch das ist legitim – auf der Pflicht des Staates, die physische Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Die Positionen könnten kaum unterschiedlicher sein. Weil die Notlage dermassen lange dauert, zehrt das andauernde Ringen um die richtige Strategie an unseren Kräften. Die Debatten verlaufen je länger, je hitziger. Und glaubt man den Pessimisten, droht die gesellschaftliche Krise, die sich mittlerweile zweifelsohne entwickelt hat, langsam, aber sicher zu eskalieren.

In einem solchen Moment tun wir gut daran, uns die über Jahrhunderte geschärften Werte in Erinnerung zu rufen, welche die Grundlage für unser friedvolles Zusammenleben bilden. Dazu gehört nicht bloss das Einstehen für Freiheit und Selbstbestimmung, so wie es die Glarner anno 1388 zusammen mit ihren Verbündeten auf dem Schlachtfeld taten. Dazu gehört auch das bei uns tief verankerte Prinzip der demokratischen Verständigung. Dazu gehören solidarisches Handeln und das Fördern des Gemeinsinns.

Das Gedächtnis an die kriegerischen Auseinandersetzungen von damals – die Näfelser Fahrt – kann uns ein gutes Muster sein: Der längst zur Tradition gewordene Ablauf, wie wir ihn jährlich begehen, ist bekanntermassen nichts anderes als das Resultat schmerzhafter innerglarnerischer Konflikte und Auseinandersetzungen. Es war ein zähes Ringen, bis man sich erst 1835 auf einen gemeinsamen Ritus einigen konnte und damit den mittlerweile ältesten Erlass in der glarnerischen Rechtssammlung schuf. Vorher war sich die hiesige Bevölkerung uneins, weil sich während der Reformation unterschiedliche Auffassungen über die religiösen Formen der Fahrtsgestaltung entwickelt hatten. Während 180 Jahren begingen die Katholiken den Gedenktag allein, während ihm die reformierten Landsleute lange Zeit fernblieben. Doch nicht nur das: Der ganze Kanton war ganz generell tief gespalten. Das Land Glarus war zweigeteilt in Evangelisch-Glarus und Katholisch-Glarus mit eigenen Räten, Gerichten und Landsgemeinden. Sogar das Militär- und das Postwesen waren getrennt. Klugen politischen Kräften und vor allem der Landsgemeinde mit ihrer integrierenden Wirkung ist es zu verdanken, dass der langwierige Streit dann endlich ein Ende fand und die beiden Konfessionen wieder eine gemeinsame Fahrt organisierten – dass die Gräben in der Gesellschaft nach und nach zugeschüttet werden konnten und die Wunden verheilten.

Wenn wir aktuell zunehmend