Fahrtsrede 2022

Nach einer Unterbrechung von zwei Jahren infolge der Corona-Pandemie konnte die Näfelser Fahrt dieses Jahr endlich wieder traditionell mit der Fahrtsrede von Frau Landammann Marianne Lienhard in Schneisingen gestartet werden.



Fahrtsrede 2022

«Sempach und Näfels waren für die Habsburger eine Katastrophe, für Glarus Zeichen einer neuen Zeit.» Dieses Zitat von Rolf Kamm befindet sich im neuen Glarner Heimatbuch.

Mit der Schlacht bei Näfels wurde für Glarus nicht sofort alles gut. Weitere Verträge, aber auch Schlachten folgten dem Jahr 1388. Glarus war weiterhin Untertanenland von Habsburg. Nach den Burgunderkriegen (1474–1478) bekam Glarus schliesslich auch einen besseren Bund. Dieser wurde auf 1352 zurückdatiert, weshalb diese Zahl bis heute den Beitritt Glarus zur Eidgenossenschaft markiert, obwohl es diese Eidgenossenschaft 1352 noch gar nicht gab.

Bis dann aber die Demokratie nach unseren Vorstellungen eingeführt wurde, dauerte es noch mehrere hundert Jahre, während denen Glarus immer wieder vor Herausforderungen stand. Aussenpolitische wie innenpolitische Unruhen haben das Land Glarus mehrmals auf die Probe gestellt.

Erst seit rund 175 Jahren kennen wir die heute gültige demokratische Ordnung mit Rechten und Pflichten für die Bürger. Diese doch erst kurze Dauer könnte die Vermutung aufwerfen, die Demokratie sei eine sehr anspruchsvolle Form des Zusammenlebens. Die Macht in die Hände der Bürger zu legen und die Vielfalt an Meinungen zuzulassen, findet sich in der demokratischen Ordnung. Also das Resultat, für welches unsere Vorfahren hunderte von Jahren seit Sempach und Näfels gekämpft hatten.

Die freie Meinungsäusserung, die Teilhabe an der Politik ist für uns ganz selbstverständlich. Wir leiten daraus unsere Freiheit und unsere Wertevorstellung ab und erliegen der Versuchung zu glauben, das bleibe ohne Zutun bestehen.

Freiheit ist eine dynamische Bezeichnung, die stets erneuert werden muss und wofür es den Einbezug der gesamten Bevölkerung braucht: Arme und Reiche, Gesunde und Kranke, Frauen und Männer, Kinder und Betagte.

Gerade diese Tage blicken wir sorgenvoll nach Russland, in die Ukraine und in den Osten von Europa. Die täglichen Meldungen erinnern mich an meine Jugendzeit. Es war die Zeit des kalten Krieges. Die Differenzen zwischen dem Machtblock im Westen und demjenigen im Osten wurden damals durch die sich gegenseitig aufschaukelnde Aufrüstung mit Atomwaffen ausgeglichen. Die westliche Weltvorstellung mit Amerika in der Führung lag uns näher als die ausstrahlungslose kommunistische Ordnung im Einflussbereich der Sowjetunion. Dieses Bild hat sich in meinem Kopf eingeprägt.

Als dann Anfang der 90er-Jahre der eiserne Vorhang fiel, war die Erleichterung in Europa gross. Die kommunistische Sowjetunion zerfiel und dem Warschau Pakt schien damit ein Ende gesetzt zu sein. West und Ost haben mit den Abrüstungsverhandlungen eine neue Balance angestossen. Die westliche Wertevorstellung mit Demokratie und persönlichen Freiheitsrechten weitete sich nach Osten aus und ihr folgten für einen wesentlichen Teil der Bevölkerung wirtschaftliche Unabhängigkeit und Wohlstand.

An der Grenze zu Europa entstanden die baltischen Staaten, Belarus und die Ukraine, Moldawien, Georgien und noch einige mehr. Moskau blieb aber das Machtzentrum in Russland.

Die meisten dieser Staaten verfügen über grosse Rohstoffreserven und über eine hohe Produktivität der Agrarwirtschaft. Sie waren und sind Garant für den Aufbau und den Erhalt einer autonomen Volkswirtschaft, auch wenn die diktatorischen Machtverhältnisse nicht überall vollständig überwunden wurden.

Doch der Glanz von Glasnost und Perestroika ist nach aufblühenden Jahren am Verblassen. Seit geraumer Zeit beschäftigt sich der russische Machtzirkel um Machthaber Putin mit einer Wiedervereinigung der slawischen Völker.

Mit dem Verständnis der östlichen Weltordnung lauert aus russischer Sicht eine westliche Übermacht vor seinen Toren und dort, wo diese unterschiedlichen Weltanschauungen aufeinanderprallen, gibt es leider kriegerische Auseinandersetzungen.

Ein Krieg, der es in dieser Aggression und Brutalität in unseren Vorstellungen nicht gab. Wir fragen uns nach dem Sinn dieses Überfalls auf einen souveränen Staat und wir verstehen die Vernichtung von Städten, Kulturen und Ländereinen überhaupt nicht. Unfassbares Leid fällt über ein ganzes Volk.  

Um eine Antwort zu finden, hilft einen Blick in die Geschichtsbücher. Streben nach Macht lässt sich in allen Epochen der Menschheit finden. Die Macht, um Besitze mit einer Gier durchsetzen, die nach realem Denken nicht existieren kann, hat in allen Zeitepochen zu Krieg geführt.

Soweit wir an dieser Stelle auf die Habsburger Zeiten zurückkommen und dabei die aufgeklärte Gesellschaft ausblenden, ging es dem Glarnervolk damals auch um Befreiung von machtsüchtigen Vögten. Das Glarnervolk ist für seine Freiheit eingestanden und hat Eigenverantwortung übernommen. Vielleicht ist es einfach nur Glück. Ich bin überzeugt, nicht nur, denn die Machtkonzentration in die Hände des Volkes zu legen, hält uns ziemlich sicher von Machtgelüsten ein paar weniger ab.

Unser Wohlstand treibt uns an, Solidarität gegenüber den Kriegsgeschädigten zu zeigen und ihnen in der Schweiz Schutz zu bieten. Ich bin überwältigt, von der grossartigen Hilfestellung aus der Bevölkerung. Diese stärkt die Motivation der Behörden, in dieser kurzen Zeit Hilfeleistungen bereitzustellen.

Jede Fluchtbewegung hat eine eigene Geschichte geschrieben. Mit ungarischen und tschechischen Flüchtlingen suchten bereits einmal Menschen aus dem Osten Europas Schutz in der Schweiz. Die Schweizer Bevölkerung zeigte damals eine ähnlich hohe Empathie. Auch im Jahre 1964 erfolgte eine grossherzige Aufnahme von Flüchtenden aus dem Tibet, auch bei uns.

Dem gegenüber verlief die letzte Flüchtlingskrise vor nur wenigen Jahren deutlich kühler. Weshalb diese Willkommenskultur in der Schweiz innert kurzer Zeit eine ganz andere sein kann? Diesem Wandel auf den Grund zu gehen, verlangt wohl von uns einen Blick in den Spiegel. Der Krieg ist nicht nur gegen die Ukraine gerichtet, er ist gegen die westliche Welt gerichtet, womit wir ebenfalls betroffen sind.

Ungeachtet allem wenden wir uns dem Kremelregime ab. Viel zu stark wird eine Ideologie (und diese entspricht im Geringsten nicht der unsrigen) mit einem Machtzentrum verbunden, welches wir kategorisch ablehnen.

Erschüttert über das Leid können wir nur hoffen und beten für die schwer betroffenen Menschen in der Ukraine.

Liebe Mitlandleute, sind wir dankbar, den heutigen Gedenktag in Frieden begehen zu dürfen. Nutzen Sie die Möglichkeit der Andacht aber auch die Geselligkeit.

In diesem Sinne bitte ich für Land und Volk von Glarus um den Machtschutz Gottes.