Fahrtsrede von Frau Landammann Marianne Dürst

Turnusgemäss hielt dieses Jahr Frau Landammann Marianne Dürst die Fahrtsrede im Schneisingen. Wie bereits im vergangenen Jahr, war das Wetter dem Gedenktag wohlgesinnt. Die wärmenden Sonnenstrahlen lockten viele Glarnerinnen und Glarner, aber auch Gäste aus nah und fern nach Näfels. Langjährige Besucher der Näfelser Fahrt waren sogar der Ansicht, das schon lange nicht mehrt so viele Leute anwesend waren und der Fahrtsrede lauschten. Nachstehend nun den Originaltext der diesjährigen Festrede.



Fahrtsrede von Frau Landammann Marianne Dürst

Hochgeachteter Herr Landesstatthalter Hochvertraute, liebe Mitlandleute

Liebe Gäste im Namen des Glarner Regierungsrates begrüsse ich Sie herzlich zur diesjährigen Näfelser Fahrt.

Ich freue mich, dass auch in diesem Jahr wieder so viele Menschen zusammengefunden haben, um gemeinsam diese traditionsreiche Feier zu begehen. Neben der Landsgemeinde ist die Näfelser Fahrt der zweite Grossanlass im Jahr, wo sich die Glarner Gemeinschaft versammelt – und dies bereits seit 622 Jahren! Genau so lange nämlich schreitet das Glarner Volk schon über diese Wege und Stege, um unserer Vorfahren zu gedenken, die hier schwere Not erlitten haben. An diesem Ort haben sie sich in kriegerischer Auseinandersetzung von fremder Obrigkeit befreit.

622 Jahre - in unserer schnelllebigen Zeit ist es doch fast ein Wunder, dass sich das Gedenken an die Gefallenen des Krieges von 1388 als Brauch und Tradition bis heute erhalten hat. Selbstverständlich ist es auf jeden Fall nicht. Oder haben Sie gewusst, dass die Art und Weise, wie wir heute die Näfelser Fahrt begehen, das Resultat von schmerzhaften innerglarnerischen Konflikten und Auseinandersetzungen ist? Denn nicht immer wurden diese Wege und Stege gemeinsam beschritten.

Im Zuge der Reformation entstanden nämlich vor rund 350 Jahren unterschiedliche Auffassungen über die religiösen Formen der Fahrtsgestaltung. Die reformierten Landsleute blieben deshalb der Näfelser Fahrt eine Zeit lang fern. Die Katholiken begingen diesen Gedenktag während 180 Jahren alleine. Die Reformierten hielten währenddessen in einzelnen Pfarreien Gedenkgottesdienste ab. Doch nicht nur an der Näfelser Fahrt war das Volk geteilt, sondern der ganze Kanton war gespalten: Das Land Glarus war zweigeteilt in Evangelisch-Glarus und Katholisch-Glarus mit eigenen Räten, Gerichten und Landsgemeinden. Sogar das Militär- und das Postwesen waren getrennt, wie auch der Salzhandel. Zusätzlich gab es aber nach wie vor auch noch die gemeinsamen Räte, Gerichte und Landsgemeinden.

Im Jahr 1835 fand der langwierige Streit dann endlich ein Ende. Klugen politischen Kräften und vor allem der Landsgemeinde ist es zu verdanken, dass die beiden Konfessionen wieder eine gemeinsame Fahrt organisiert haben. Die Landsgemeinde stimmte fast einhellig dem „Gesetz betreffend die Feier der Näfelser Fahrt“ zu. Dieses Gesetz von 1835 ist nach wie vor gültig und Bestandteil unserer heutigen Glarner Gesetzessammlung. Darin wird der Regierungsrat beauftragt, alljährlich die Fahrt zu organisieren. Es wird vorgeschrieben, dass die Predigt auf der Fahrtsstätte das eine Mal durch einen evangelischen, das andere Mal durch einen katholischen Geistlichen gehalten werden soll. Und sogar die Begrüssungsrede ist geregelt. Es heisst nämlich: „Die übliche Begrüssungsrede wird abwechselnd das eine Jahr vom Amtslandammann, das andere Jahr vom Landesstatthalter, respektive im Behinderungsfall vom nächstfolgenden Mitglied des Regierungsrates gehalten“. Dass einmal eine Frau Landammann diese Rede halten würde, das konnte man sich wohl vor 175 Jahren noch nicht vorstellen. Umso mehr freut es mich, heute vor Ihnen stehen zu dürfen!

Die Zusammenführung der Konfessionen an der Näfelser Fahrt war aber bei Weitem nicht das einzige Verdienst der Landsgemeinde bzw. der damaligen Glarner Gemeinschaft. Es ging noch weiter. Der bedeutendere Schritt stand noch bevor, nämlich die Einführung einer neuen Kantonsverfassung und die damit verbundene Umgestaltung des bestehenden Staatsgebäudes. Die konfessionell getrennten Räume und die üppigen doppelspurigen Strukturen sollten zu Gunsten eines starken Landes Glarus wieder zusammengeführt werden. So gab die Landsgemeinde eine Strukturveränderung in Auftrag, die zuerst einige politische Konflikte lösen und schmerzhafte Auseinandersetzungen bewältigen musste, bevor sie dann 1837 in Kraft trat. Trotz aller Hindernisse war die Strukturveränderung erfolgreich. Warum? Sie war erfolgreich, weil sie nicht von oben, sondern vom Volk selber, von der Glarner Gemeinschaft für sich beschlossen und getragen wurde.

Hochvertraute, liebe Mitlandleute,

Sie fragen sich, weshalb ich Ihnen diese historischen Episoden erzähle? Ich erzähle Ihnen das, weil ich denke, dass es durchaus Parallelen zwischen damals und heute gibt. Denn auch heute befinden wir uns mitten in einer tiefgreifenden Strukturveränderung, die die Landsgemeinde im Jahr 2006 beschlossen hat: die Gemeindestrukturreform. Und die grösste Landsgemeinde aller Zeiten, die ausserordentliche von 2007, hat diesen angezweifelten Entscheid mit unerwarteter Deutlichkeit bekräftigt. Die beschlossene Strukturveränderung bringt drei neue starke Gemeinden hervor, die auf Beginn des kommenden Jahres Realität werden. Die neuen Gemeindebehörden sind gewählt und bereits für die neuen Gemeinden tätig.

Wie schon damals ist auch die gegenwärtige Strukturveränderung nicht frei von Konflikten. Die Entscheide und Anordnungen des Regierungsrats lösten damals wie auch heute nicht überall nur Freude und Verständnis aus. Damals wie auch heute steht das Glarnerland vor einer grossen Herausforderung. Die Gemeindestrukturreform ist der klare Auftrag des Glarner Volkes, Doppel- und Mehrspurigkeiten abzubauen, Mittel und Kräfte zu bündeln, um eine gedeihliche Zukunft für Land und Leute sicherzustellen. Der Beschluss der Landsgemeinde verpflichtet uns, in den drei Gemeinden neue Gemeinschaften zu bilden und zu stärken. Ich bin überzeugt, dass wir miteinander auch die aktuelle Strukturveränderung erfolgreich vollbringen werden. Darauf dürfen wir alle stolz sein.

Hochvertraute, liebe Mitlandleute,

wenn wir uns also heute zusammenfinden, um der kriegerischen Schlacht von damals zu gedenken, wenn wir heute gemeinsam über die Wege und Stege schreiten, dann sollten wir diesen Tag auch nutzen, um uns auf den Wert der Glarner Gemeinschaft zu besinnen. Einer Gemeinschaft, die sich über Hunderte von Jahren immer wieder zusammengerauft, neu gefunden und bewährt hat.

Gemeinschaft, hochvertraute, liebe Mitlandleute, liebe Gäste, muss immer wieder erneuert und aufs Neue errungen werden, damit sie Bestand hat. Das ist meines Erachtens der tiefere Sinn des heutigen Tages. Das macht die Näfelser Fahrt für mich persönlich zu einem ganz speziellen Feiertag. In diesem Sinne bitte ich für Land und Volk von Glarus um den Machtschutz Gottes.