Fahrtsrede von Landammann Röbi Marti

Dieses Jahr hielt Landammann Röbi Marti die Fahrtsrede. Trotz Kälte, Regen und teilweise Schneetreiben erschienen auch dieses Jahr wieder viele Leute im Schneisigen. Nachstehend nun die Fahrtsrede 2008 im Originaltext.



Landammann Röbi Marti anlässlich seiner Fahrtsrede 2008 (Bild: ehuber)
Landammann Röbi Marti anlässlich seiner Fahrtsrede 2008 (Bild: ehuber)

Hochgeachteter Herr Bundesrat
Hochgeachteter Herr Landesstatthalter
Hochvertraute, liebe Mitlandleute

Die Näfelser Fahrt, die wir heute wieder feiern, ist ein friedliches Fest. Nur schwer können wir uns vorstellen, wie auf diesem Gelände, das wir heute einträchtig miteinander abschreiten, vor 620 Jahren die Schlacht tobte – jene Schlacht bei Näfels, in der laut Jakob Winteler (ich zitiere) «600 todesmutige Bauern den Kampf gegen 6000 Mann Ritter und Fussvolk ausgetragen» hatten. Und auch wenn wir Christoph Brunner zu Rate ziehen, der die zeitgenössischen Quellen zitiert, so ändern die dortigen Zahlen, die untereinander und von denen Wintelers abweichen, nichts an unserer Mühe, uns das blutige Geschehen von damals auf diesen Feldern von heute vorzustellen.

Und doch soll die alljährliche Fahrtsfeier genau dieses Gedenken wachhalten. Sie soll daran erinnern, wie die Glarner (ich zitiere nochmals Winteler) «durch einen unerwarteten Angriff den Feind verwirrten (…), wie das feindliche Heer, fortwährend bedrängt durch die wütenden Angriffe seines Gegners, sich zur Flucht wandte und wie der zusammenbrechende Übergang über die Maag die Katastrophe vollendete» (Zitat Ende).

Mit Katastrophe meint der Historiker die je nach Quellen 1700, 1800, ja gar 2400 Toten, die der österreichische Feind zu beklagen hatte. Zu ihrer Mehrzahl waren diese Österreicher wohl junge Männer aus der Nordostschweiz. Ihr Schicksal teilten jene 54 oder 55 Kämpfer auf Glarner Seite, die wir alljährlich mit der Verlesung des nachträglich entstandenen Fahrtsbriefes ehren. Und doch, ich wiederhole es, haben wir Mühe, an diesem friedlichen Ort im 21. Jahrhundert uns wirklich vorzustellen, was sich am 9. April 1388 auf demselben Gelände abspielte.

Was wir aber wissen, ist zweierlei. Erstens kennen wir die politische Bedeutung, die der Schlacht bei Näfels auf dem Weg zur definitiven, vollwertigen Integration des Landes Glarus in die Eidgenossenschaft zukam. Und zweitens wissen wir, dass sich jede Zeit, auch unsere Zeit, unvermittelt vor harte Bewährungsproben gestellt sehen kann. Womit sich die Frage stellt, ob die jährliche Fahrtsfeier auch einen erzieherischen Auftrag hat – ob es also darum gehen kann und soll, aus dem Kampf der «600 todesmutigen Bauern», von denen Jakob Winteler schrieb, die entsprechenden Forderungen an uns selber abzuleiten, also direkt die Lehren für uns heutige Glarnerinnen und Glarner zu ziehen.

Hochvertraute liebe Mitlandleute, geschätzte Gäste

In der Tat dürfte die Näfelser Fahrt auch für diesen erzieherischen Zweck gedacht sein. Und doch, so meine ich, ist Vorsicht geboten bei dem, was wir direkt aus einem Geschehen ableiten, das 620 Jahre zurückliegt. Die Gefahr ist gross, dass wir dabei etwas historisch Einmaliges auf respektlose, oberflächliche Art für den politischen Tageskampf missbrauchen.

Sicher, die Schlacht bei Näfels ist ein Symbol für die Selbstbehauptung eines kleinen Volkes nach aussen. Und sie wurde es ganz besonders wieder in der Weltkriegszeit, als unser Land von totalitären Mächten umzingelt war. Aber die Schlacht bei Näfels stand gleichzeitig auch im Zusammenhang mit neuen, aktiven Aussenbeziehungen, nämlich zu den Eidgenossen. Es ging also in den Bewährungsproben, die vom Land Glarus am Ende des 14. Jahrhunderts zu bestehen waren, um zweierlei: Erstens um die Abschirmung gegen aussen, zweitens aber auch um Neuorientierung nach aussen. Das ist offensichtlich ein Spannungsfeld, das wir auch heute kennen, jedoch unter völlig anderen Umständen und in grösseren geografischen Massstäben. Das heisst aber, dass wir dieses heutige Spannungsfeld auch entsprechend den heutigen Umständen bewältigen müssen, ohne das Rezept dazu einfach in den Geschichtsbüchern ablesen zu können.

Die Schlacht bei Näfels, an die wir uns heute erinnern, war die dramatische Auseinandersetzung mit einem äusseren Feind. Aber auch da sollten wir aus Respekt vor der Geschichte mit Parallelen zu unserer eigenen Zeit vorsichtig umgehen. Dabei sind wir uns wohl einig, dass es heute nicht mehr um die Österreicher geht, mit denen wir ja diesen Sommer gemeinsam ein grosses Fest der Freude feiern wollen. Doch abgesehen davon, neigen manche immer noch dazu, den Begriff Feind zu strapazieren. Die Fahrt aber darf nicht der Ort sein, an welchem wir auf leichtfertige Art neue Feindbilder errichten. Gewiss, wir dürfen den heutigen Gefahren gegenüber, die verschiedenste Ursachen haben, nicht blauäugig sein. Aber bevor wir fremde Kulturen, auswärtige Mächte, ja sogar unsere eigenen innenpolitischen Gegenspieler kurzerhand zu Feinden stempeln, sollten wir doch innehalten – schon gar an einem Tag der Besinnung: Gerade die Fahrt muss der Ort sein, an dem wir uns vor Zerrbildern und vor Scharfmacherei in Acht nehmen wollen: Wir dürfen die nötige eigene Festigkeit nicht mit Ausgrenzung und Überheblichkeit verwechseln. Und ich weiss mich in dieser Überzeugung auch einig mit dem höchsten Gast, den wir an der Fahrtsfeier 2008 unter uns haben dürfen, Bundesrat Samuel Schmid, den ich an dieser Stelle im Namen der Glarner Regierung und sicher auch im Namen von Ihnen allen ganz herzlich begrüssen und willkommen heissen darf.

Die nötige eigene Festigkeit nicht mit Ausgrenzung und Überheblichkeit verwechseln: Wenn wir dies beherzigen, dann – hochvertraute, liebe Mitlandleute, geschätzte Gäste – hat die Fahrtsfeier über das ehrende Gedenken und das Gesellschaftliche hinaus ihren guten Sinn: Auch ohne dass wir die Vergangenheit vorschnell zur Kronzeugin für heutige Standpunkte machen wollen, soll uns die Fahrt Jahr für Jahr dazu veranlassen, unseren glarnerischen Standort und unsere Marschrichtung zu durchdenken. Wir können dabei feststellen, dass sich der Kanton Glarus auf einem Weg von Reformen und nötigen neuen Impulsen befindet. Doch wir dürfen es nicht bei dieser selbstzufriedenen Feststellung bewenden lassen. Entscheidend ist, ob wir genügend tun, und entscheidend ist, ob wir es auch gut genug tun. Am Ende zählen nicht die Pläne, sondern die Resultate.

Anders gesagt: Wir müssen für die guten Ideen und Ideale auch die nötige Beharrlichkeit, das richtige Gespür und eine konstruktive Einstellung aufbringen. Dazu müssen wir die Dinge, die wir tun, wichtig genug nehmen – im Privaten, im Beruf, in der Gesellschaft und im Staat. Ich sage: «Die Dinge wichtig genug nehmen!» Das heisst handkehrum, uns selber nicht unnötig aufzuspielen, getreu jenem geflügelten Wort, das Papst Johannes XXIII. jeweils augenzwinkernd über sich selber sagte: «Giovanni, nimm dich nicht zu wichtig!» Wir sind nur Treuhänder auf Zeit für unsere Welt und unsere Heimat, und höchstwahrscheinlich keine «todesmutigen» – wir sollten daher auch nicht unser eigenes neues Denkmal bauen wollen.

Aber die Fahrt gibt uns Gelegenheit, uns die Frage zu stellen, ob wir unsere Sache recht machen, jede und jeder an seinem Platz. Und die Antwort auf diese Frage wollen wir ohne pathetische Überheblichkeit geben. Lassen Sie uns schlicht und einfach antworten, aber dafür ernst gemeint: Wir wollen heute und in Zukunft für unseren Kanton unser Bestes und unser Möglichstes tun – nicht gegeneinander, sondern miteinander! In diesem Sinne bitte ich für Land und Volk von Glarus um den Machtschutz Gottes.