Fahrtsrede von Landesstatthalter Rolf Widmer

Dieses Jahr hielt Landesstatthalter Rolf Widmer die Fahrtsrede. Anders als im vergangenen Jahr war das Wetter dem Gedenktag gut gesinnt. Der Himmel war stets leicht verhangen aber die Temperatur war recht angenehm. Dies war sicher ein wichtiger Grund, dass dieses Jahr sehr viele Glarnerinnen und Glarner, aber auch Gäste aus nah und fern, an der Feier teilnahmen. Nachstehend nun die Festrede im Originaltext.



Die diesjährige Fahrtsrede im Schneidigen hielt Landesstatthalter Rolf Widmer (Bild: ehuber)
Die diesjährige Fahrtsrede im Schneidigen hielt Landesstatthalter Rolf Widmer (Bild: ehuber)

Hochgeachtete Frau Landamann

Hochvertraute, liebe Mitlandleute

Die Näfelser Fahrt ist ein wichtiger Anlass für Land und Volk von Glarus. Unsere Vorfahren haben vor rund 620 Jahren den Grundstein für die heutige Demokratie, Freiheit und Wohlstand gelegt. Dies geschah in einer Zeit, die von Unsicherheit und Zukunftsängsten geprägt war. Das sind Gefühle, die wir auch heute kennen. Die Begehung der Feierlichkeiten bietet Anlass der Frage nachzugehen, wie unsere Vorfahren die damals schwierige Situation gemeistert haben und welche Erkenntnisse sich daraus für die Bewältigung der Probleme der Gegenwart ableiten lassen.

Im April des Jahres 1388 versammelte sich der Feind vor den Toren des Glarnerlands. Die Chronik erzählt von rund 600 Mann zu Pferd und 6000 Mann zu Fuss. Auf Glarner Seite waren es zunächst nur etwa 200 Mann. Erst durch Sturmgeläute kamen weitere tapfere Mannen dazu. Schlussendlich waren es zwischen 600 und 700 Freiheitskämpfer, welche sich der feindlichen Übermacht stellten. Bei angeblich extremen Witterungsverhältnissen mit Regen- und Schneetreiben gelang den tapferen Kriegern der Sieg über die zehnfache Übermacht. Der Kampf forderte auch auf Glarner Seite Verluste. 55 Menschen verloren ihr Leben. Sie opferten es für die Hoffnung auf eine freiheitliche und friedliche Zukunft.

Dieser Traum hat sich verwirklicht. Wir leben in Freiheit und Frieden und haben allen Grund, dankbar und glücklich zu sein. In einer völlig sorgenfreien Zeit leben allerdings auch wir nicht. Die Frage ist nun, wie gehen wir damit um? Heutzutage neigen wir dazu, verbal zu reagieren. Wir haben die Tendenz oder vielleicht sogar die Angewohnheit, unsere Situation schlecht zu reden. Hinzu kommen negative Schlagzeilen und Meldungen, die unser tägliches Leben prägen und sich in unser Unterbewusstsein einnisten. Was bringt das aber, wenn wir ständig über all das nachdenken, was wir falsch gemacht haben oder was uns zum himmlischen Glück fehlt? Selbstanklage, ein schlechtes Gewissen und die Lenkung der Aufmerksamkeit auf das Negative sind kein erfolgsversprechender Weg in die Zukunft.

Unsere Vorfahren hatten es vor 620 Jahren – und ihre Situation war damals wahrlich nicht einfacher – anders gemacht. Handeln statt lamentieren, lautete damals die Devise. Sie hatten ein klares Ziel vor Augen: ein freies und friedliches Glarnerland. Sie übernahmen Verantwortung und stellten ihr Leben in den Dienst der Gesellschaft. Und sie waren vor allem eines: mutig! Wahrscheinlich gab es auch damals Kritik, was man denn gegen eine solche Übermacht ausrichten wolle. Die Freiheitskämpfer hörten nicht auf die Zweifler und Pessimisten. Sie stellten sich nicht die Frage, was wäre wenn. Sie nahmen es in Kauf, dass man sie in Anbetracht der fast auswegslosen Situation mit der feindlichen Übermacht als Verrückte oder Spinner bezeichnete. Und dafür sind wir heute unendlich dankbar: für diese positive Grundeinstellung, für diesen starken Willen und für diesen Mut.

Hochvertraute liebe Mitlandleute, geschätzte Gäste

Was sich vor 620 Jahren bewährt hat, kann uns heute nur billig sein. Wir stehen vor grossen Herausforderungen. Die Folgen der Wirtschaftskrise wird manchen von uns hart treffen. Die Altersvorsorge ist nicht nur im Lichte der Finanzkrise, sondern insbesondere mit Blick auf die demographische Alterung unsicher. Mit der Klimaerwärmung spüren wir am eigenen Leib, dass die Umweltzerstörung zunimmt. Schliesslich wissen wir auch, dass wir unseren Kanton zwingend weiter vorwärtsbringen müssen. Die kürzlich erschienene Studie der Credit Suisse weist auf sehr viele positive Entwicklungen in unserem Kanton hin und macht aber zugleich die Feststellung, dass man beim Kanton Glarus mit einem unterdurchschnittlichen Wachstum rechnet. Das heisst, dass wir im Vergleich mit der übrigen Schweiz an Wohlstand einbüssen. Man kann es auch salopp formulieren: wir würden bei diesem Trend zunehmend zum Armenhaus der Schweiz.

Wir dürfen nun aber keinesfalls verzagt auf der Stelle treten. Abwarten und Tee trinken ist die falsche Strategie und macht die Situation nicht besser. Wir wollen uns gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn unsere Vorfahren gezaudert oder gezögert hätten in der Hoffnung, es gehe dann schon vorbei und der Feind ziehe wieder ab. Wir brauchen, auch wenn das vielen Mitmenschen zuwiderläuft, weitere Veränderungen. Wir müssen die angefangenen Reformen zügig abschliessen. Wir müssen neue Reformen an die Hand nehmen. Wir brauchen den Mut, Bewährtes und Liebgewonnenes in Frage zu stellen und Neues zu wagen. Wir brauchen in dieser herausforderdenden Zeit Freiheitskämpfer des 21. Jahrhunderts, die überlegen, was zu tun ist. Menschen, die handeln statt warten und an-klagen. Menschen, die geduldig ein klares Ziel verfolgen und dabei die Realität nicht aus den Augen verlieren. Es sind Leute, die Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen und sich nicht von jeder Kritik sofort vom Weg abbringen lassen.

Es reicht aber nicht, die Verantwortung zu delegieren. Der Einzelne allein kann es nicht selbst richten. Wir wissen aus der Biologie, dass erst kooperative Strukturen das Entstehen von Leben ermöglichen. So kann sich beispielsweise die menschliche Erbsubstanz (DNA) nur unter Einwirkung von Helfermolekülen entwickeln und verdoppeln. Einzelkämpfertum hätte wohl auch kaum den Sieg bei der Schlacht von Näfels gebracht. Es bedurfte der tapferen Mannen aus verschiedenen Kirchgemeinden, die gemeinsam gekämpft haben. Nur eine auf Kooperation basierende Gesellschaft schützt die Freiheit des Einzelnen.

Unsere Vorfahren haben uns ein grosses Vermächtnis hinterlassen und wir müssen lange innehalten, bis wir die wahre Bedeutung vollumfänglich erahnen. Wir nehmen sie als Beispiel und Vorbild. Ein grosser Teil der damaligen Glarner Bevölkerung war sich dem Ernst der Lage bewusst. Sie haben mit ein paar Zugezogenen ihr Schicksal aktiv bestimmt. Sie haben gemeinsam ein klares Ziel verfolgt. Sie haben mir ihrem Handeln das Wohl der Gemeinschaft eindeutig höher gewichtet als Partikulärinteressen. Sie haben Verantwortung übernommen und, ich betone es nochmals, grossen Mut gezeigt. Das sind Eigenschaften und Werte, die zeitlos gültig sind. Handeln wir weiter danach, müssen wir uns vor den zukünftigen Herausforderungen nicht fürchten. In diesem Sinne bitte ich für Land und Volk von Glarus um den Machtschutz Gottes.