Fridolin Walcher – Es war nicht immer so

Ganz zu Beginn seiner Karriere war er als Lehrer tätig, suchend, organisierend, fordernd, zuweilen sehr unbequem, gar nicht dem oft gehörten «Mainstream» verpflichtet. Er eckte manchmal an, nahm das aber in Kauf, weil der einmal eingeschlagene Weg für ihn so stimmte. Er konnte das mit ihm unterrichtende Team in dieses Argumentieren hin und wieder positiv einbinden.



Fridolin Walcher – Es war nicht immer so

Die Regelmässigkeit dieses Lebens behagte ihm nicht immer. Er reduzierte in solchen Momenten sein Pensum, beispielsweise an der Realschule in Glarus, wandte sich dem Fotografieren zu, war Leiter von Fortbildungskursen für Skilehrer, befasste sich mit politischen Fragen.

Bis ins Jahr 2000 war Walcher Reallehrer im Kanton Glarus. Ab 1990 reduzierte er sein Pensum an der Schule um fünfzig Prozent und wurde in Fotografie für Kommunikation und Industrie aktiv. Bald liess er Schule Schule sein. Ein Nebeneinander war ab Realisierung des Projekts «Glarus – einfach» nicht mehr möglich. Heute ist er unter anderem Mitglied der Vereinigung fotografischer Gestalter und der von ihm vor sechs Jahren mitbegründeten Fotografenagentur «Lumax». Er ist zudem Ausstellungskurator im «Bsinti» Braunwald, damit zuständig für den Ort für Alpine Fotografie. Er arbeitet an Ausstellungsprojekten und Publikationen.

Es fällt beim Durchlesen der publizierten Titel die hohe, bedeutsame Internationalität unweigerlich auf. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien erwähnt: «Die Pyramiden am Berg» (2016, Verlag Hochparterre); «Hunger nach Gerechtigkeit» (2011, Helden Verlag, Zürich); «Glarus – einfach» (1994); «Mitten in der Zukunft» (1998); «In der Lebensmitte (2007); «Von Glarus nach Belo Horizonte» (2007); «Alles unter einem Hut» (2008); «Baustellen Heimat» (Expo 2002); «Vertikale Ebenen (2010, Helden Verlag Zürich). Es kommen Werkaufträge wie «Betriebskultur» (1998, Schätti, Metallwaren AG, Schwanden); «Glarner Identitätskarten» (2003, Migros Klubschule, Glarus); «Des Gletschers Kern» (2018 / 19, Scheidegger & Spiess, Zürich) und eine Vielzahl von Einzel- und Gruppenausstellungen dazu (Brugg, Walenstadt, Zürich, Kunsthaus Glarus, Yverdon, Linthal, Bregenz, New Glarus, New York, Berlin, andernorts). 

Damit verbunden sind verdiente, namhafte Preise und Stipendien wie ein viermonatiges Atelierstipendium in Berlin (Zentralschweizer Kantone); Förderbeitrag des Kantons Glarus im Jahre 2006; Nominierung für den deutschen Fotobuchpreis im Jahre 2011; Gewinn des Fotopreises des Schweizerischen Verbandes Oberärzte (1995).

Man staunt über die kunstreiche, engagierte Vielfalt, die von Fridolin Walcher ausgeht. Er vermag mit seinem Festhalten vieler Momente und deren Präsentieren aufzurütteln; er lädt zum Staunen, ja Bewundern ein. Kalt lassen einen diese Bilder in keiner Weise. Einmal meinte er: «Wir verändern unsere Landschaft und damit uns selbst». Sein Fotografieren ist zuweilen gleichzeitig Suche, Nachfrage, Mahnen, dann wieder Genuss, Träumerei, Staunen, Grundlage von Fragen mit Bezug auf sein persönliches Erleben.

«Die analogen Schwarz-Weiss-Arbeiten der Editionsbilder und der «Vertikalen Ebenen» (2010)» – so ein Zitat aus seiner Dokumentation – «bilden einen ersten, wichtigen Kern» seiner Arbeit.

Es ist ein Hinführen zu Lebensräumen, beispielsweise in Grönland, ein Auseinandersetzen mit äusseren Bedingungen; Ergebnisse und Erkenntnisse von Forschenden, die sich mit dem Schmelzen der Gletscher in Grönland und unseren Alpen befassen.

In solchen Momenten wird Fridolin Walcher zum wahren Künstler. Er zeigt beispielsweise auf, wie dekorativ Eismassen und Ablagerungen sein können. Das sind beispielsweise feingliedrige Gewebe, dann wieder klotzig – wuchtige aneinandergereihte Blöcke, wundersame Spiegelungen. Derartiges Aufzählen könnte beliebig fortgesetzt werden.

Und wenn es um technisch Geplantes, Erreichtes, ums sorgsame Planen von Fachleuten und den Einsatz des Maschinenparks im Hochgebirge geht, haben wieder andere Massstäbe Gültigkeit.

Ob es um Lichtspiele in Stallungen, die entbehrungsreiche Arbeit von Schwefelträgern an einem Vulkan in Java, das Elend in Slums, die Vielfalt von Touristen auf Kreuzfahrtschiffen und deren Heimsuchen von angepeilten Destinationen an irgendeinem Weltmeer geht, wird man in wiederum andere Welten hingeführt, man sieht sich mit Aussagen und Stimmungen konfrontiert, die kein flüchtiges Hinschauen und Weiterblättern erlauben. Verweilen und Anteilnahme sind angesagt. Fridolin Walcher sieht das als zweiten Strang seines Schaffens.

Dessen Fortsetzung hat in anderen Publikationen mit der schroffen, abweisenden, wuchtigen Bergwelt, mit Felsformationen, Lawinen, Alpleben, Stauseen, Berglern, Planern zu tun.

Dass sich die Fähigkeit des sensibel Betrachtenden mit Kunstsinn, gründlichen Kenntnissen des Fotografierens und der damit verbundenen Technik, das gut funktionierende Netzwerk mit Auftraggebern und Interessierten fast im Gleichschritt bewegen, stetig in einer Vorwärtsbewegung sind, kommt ohne Zweifel einer glücklichen Fügung gleich.

Es hat vielleicht auch ein klein wenig damit zu tun, dass Fridolin Walcher einst in Braunwald in direkter Nachbarschaft zum Fotografen Emil Brunner aufwuchs, Impulse und Erkenntnisse aus dieser Zeit mitnahm, als Vierzehnjähriger stolzer Besitzer seiner ersten Kamera – von Emil Brunner abgekauft – wurde.

Und er reiste, zuweilen auf «Gut Glück» nach Irgendwo. Es begann anno 1967, als er als damals Fünfzehnjähriger mit der neuen Kamera in die Sowjetunion reiste und sich 1975 mit einem Einfach-Ticket nach Westafrika verabschiedete. Arbeitsaufenthalte zur Umsetzung von Projekten und dem Verfassen von Publikationen führten ihn ab 2001 nach Brasilien, Indonesien, China, Osteuropa, Südafrika und New York.

Vor zwei Jahren war er als Mitglied einer Schweizer Grönlandexpedition für seine freie, künstlerische Arbeit unterwegs. Anschliessend verweilte er vier Wochen als «Artist in Residence» bei den Jägern in Kullorsuaq in Nordwestgrönland. Was daraus resultierte, ist mit dem Besuch des «Bilderlagers» in einer ehemaligen Spinnerei in Linthal in Teilen nachvollziehbar; sei es beim Betrachten der Behausungen, der Jagd auf Narwale, dem Zerlegen der Beute, dem Studium der porträtierten Inuit-Gesichter, dem Beschauen der Eisformationen.

Mit seiner Partnerin Michaela lebt er in Nidfurn. Die Kinder sind inzwischen erwachsen. Sie werden dank ihrem Vater eine Fülle erlebt und ausgestaltet haben, die in ihrer Art gewiss aussergewöhnlich ist. Und wer sich in diese quirlige Welt hineinbegibt, ist – auf Zeit – Teil der Walcherschen Globalität. Man verlässt diese ungeheure Vielfalt ungern, weiss aber im tiefsten Innern, dass man wieder zurückkehrt und Teil einer Welt sein darf, für deren Erhalt man kämpfen soll. Fridolin Walcher lebt das mit Gleichgesinnten beeindruckend, zäh, ruhig und beharrlich. Mit seinem Schaffen teilt er sich in guter und sehr notwendiger Weise mit.

Einige Aspekte seines Lebens sind mit den vielfältigen fotografischen Zeugnissen wohl vergleichbar, waren wirblig, wild, machtvoll, suchend, vielleicht auch leicht chaotisch, eckig und kantig. Und alles hat sich schlussendlich zu diesem riesig beeindruckenden Ganzen so gefügt, wie es im besagten Bilderlager aufliegt. Dessen Realisator und Inhaber hat so viel zu erzählen und vorzuweisen.