Für richtiges Verhalten bei Staublawinen sensibilisieren

In Netstal besteht das Potenzial für sehr grosse Staublawinen. Ein Merkblatt der Gemeinde an die Bevölkerung soll keine Panikmache sein, sondern sensibilisieren.



Dominik Hauser: Gefahr einer Staublawine ist nie ausgeschlossen (Bilder: willi baumgartner)
Dominik Hauser: Gefahr einer Staublawine ist nie ausgeschlossen (Bilder: willi baumgartner)

Schroff steigen die Felswände des Wiggismassiv in Netstal in die Höhe. Dass von dort jeden Winter kleine, ungefährliche Lawinen ins Tal stürzen, damit können die Bewohner leben. Aber es besteht auch das Potenzial für sehr grosse Staublawinen, welche sehr schnell und vor allem lautlos kommen. Vor allem dann, wenn zusammen mit einem Nord-/Westwind, zuerst grosse Mengen an Schnee fallen und dann Regen bis in hohe Lagen einsetzt.

An einem Mediengespräch orientierte die Gemeinde Glarus über dieses selten vorkommende Ereignis, welches für ungeschützte Personen insbesondere durch herumwirbelndes Material wie Steine oder Ziegel im Freien gefährlich werden kann.

In der kommenden Woche erhält die Bevölkerung von Netstal deshalb ein Merkblatt, wie sie sich in einer solchen Situation zu verhalten hat. Insbesondere richtet sich diese Sensibilisierung an Neuzugezogene, Pendler, Gemeindemitarbeiter/-innen und andere Personen, denen die Situation nicht bekannt ist und welche eine andere Wahrnehmung haben als die Einheimischen, die mit der Lawinengefahr vertraut sind und wissen, wie damit umzugehen.

Bei Gefahr per Push-Nachrichten informiert

Netstal ist in drei Gefahrenzonen eingeteilt: Rot = erhebliche, Blau = mittlere, Gelb = geringe Gefährdung. Dominik Hauser, Hauptabteilungsleiter Wald und Landwirtschaft und Vorsitzender Kommunale Naturgewalten, informierte anhand dieser Gefahrenkarte über das richtige Verhalten. Vor allem nicht zu unterschätzen ist der gewaltige Luftdruck einer Staublawine, welche Personen wie Zündhölzer umwerfen, Dächer abdecken, Steine und Ziegel herumschleudern oder Türen und Fenster eindrücken könne.

Künftig soll bei Gefährdungen durch die Alertswiss App des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz (BABS) informiert werden. Diese Meldungen enthalten Angaben zur aktuellen Gefahrensituation und Warnungen können zusätzlich gebietsbezogene Verhaltensregeln enthalten. Auch wenn z.B. in der blauen Zone in Netstal statistisch alle 30 Jahre mit einer Staublawine zu rechnen ist oder gar alle 300 Jahre einmal eine solche im nördlichen Dorfteil runterkommt, wird eine Installation auf dem Smartphone – mit dem Kanton Glarus als Heimatkanton – empfohlen.

Mittendrin statt nur dabei

Den Lawinenwinter 1999 erlebte Markus Schnyder, Ressortvorsteher Versorgung und Sicherheit (RVS), damals noch Schüler, auf eine ganz besondere Weise. Noch im Februar, als die Schüler wegen des zu gefährlichen Schulwegs frei hatten und auf einem riesigen Schneehaufen spielten, gab er in einem freimütigen Interview bei Tele 24 an, vor einer Staublawine keine Angst zu haben. Das änderte sich dann aber einige Tage später, als sich eine Lawine von besonderem Ausmass löste und er blitzschnell Schutz im Postgebäude suchen musste. Die Wucht der Staublawine habe die Türe eingedrückt, alles war dunkel, der Strassenverkehr zum Erliegen gekommen und rund herum seien die Häuser mit betonhartem Schnee verklebt gewesen. Dieses Schauspiel hat dann auch SRF DRS für die Tagesschau auf den Plan gelockt. Aber auf die Frage, ob er denn Angst gehabt habe, hat sich Schnyder dann definitiv auf ein Ja geeinigt.

Auch Kurt Meyer, pensionierter Lehrer und Stiftungsratsmitglied von Pro Netstal, aufgewachsen im Glarner Hinterland und deshalb im Umgang mit Schnee geübt, hat sich in seiner langjährigen Netstaler Zeit und vor allem als Lehrer, immer wieder mit der Thematik «Lawinen» beschäftigen müssen.

Deshalb konnte er auch die eine oder andere Episode vorstellen und aus dem «Nähtruckli» plaudern. Gut erinnere er sich noch an eine Autofahrt durchs Dorf im Jahre 1973, als er plötzlich keine Sicht mehr hatte oder im Jahre 1986, als das Schulzimmer zentimeterhoch mit Schnee gefüllt wurde. Oder als er eben daran war, während des Unterrichts die Arbeitsabläufe zu erklären, als plötzlich ein Schüler rief: die «Laui» kommt! Dank dem gepanzerten Fensterglas auf der Westseite des Schulhauses konnte das Naturschauspiel so 1:1 verfolgt werden.

Unter www.pronetstal.ch/naturgewalten-schadenereignisse/netstaler-staublawinen sind weitere lesenswerte Informationen zu den Staublawinen von Netstal zu finden.

An künstlicher Auslösung wird gearbeitet

Auf die Frage, ob eine künstliche Auslösung möglich ist und somit auch Überraschungen ausgeschlossen werden können, meinte Dominik Hauser, dass Lösungen angestrebt werden, sich das Ganze aber als schwierig herauskristallisiert. Mit dem Heli ein eher schwieriges Unterfangen (Abwurf). Stationär ist das ebenfalls eine Herkulesaufgabe, denn jedes Mal bei 80 Zentimeter Neuschnee müsste gesprengt werden, d.h. zwischen 6- bis 15-mal während eines Winters. Nebst den Erstellungskosten für eine solche Anlage stehen auch hohe Unterhalts- und Wartungskosten an.

Empfehlungen durch Gemeinde

Die Gemeinde Glarus ist in sechs verschiedene Lawinengefahrengebiete unterteilt, welche die Naturgefahrenkommission betreut. Der Wiggis ob Netstal wird bei grossen Niederschlagsmengen von den Ennetbergen aus visuell beobachtet. Dabei wird intensiv auch mit dem SLF und dem Lawinendienst eng zusammengearbeitet.

Daher sollten die allgemeinen Verhaltensempfehlungen bei grosser Lawinengefahr beachtet werden:

  • Vermeiden Sie unnötige Aufenthalte im Freien
  • Schliessen Sie Fenster und Fensterläden, vor allem zum Westen hin
  • Informieren Sie betroffene Nachbarn und Bekannte telefonisch
  • Handeln Sie immer ruhig und überlegt
  • In dringenden Notfällen informieren Sie die Polizei (117) Feuerwehr (118) oder den Sanitätsnotuf (144)