Im Vergleich zur einstigen Grossfamilie, in der ein Kind zu vielen Menschen eine Beziehung aufbauen konnte, sind heute Eltern im Bild der allein Verantwortlichen für die Erziehung gefangen. Dass daraus eine Überforderung für Kind wie auch Eltern erwächst, auch Defizite auszumachen sind, ist für alle an der Erziehung Beteiligten eine schwierig zu bewältigende Herausforderung. Und oftmals ist in der heutigen Kleinfamilie die Verantwortlichkeit für die Kindererziehung den Müttern zugeordnet, was zu einem belastenden Leidensdruck führen kann, den Anforderungen nicht zu genügen. In der bisherigen menschheitsgeschichtlichen Entwicklung war noch nie auszumachen, dass wie heute ein Kind vergleichsweise alleine aufwächst.
Abkehr vom Wunsch nach „stromlinienförmigem“ Kind
Die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten vierzig Jahren bewirkten durch die Abkehr von der autoritären zum direkten Gegenpol der antiautoritären Erziehung in den siebziger Jahren, dass heute nach einem kinderorientierten Mittelweg der beiden Extremwerte in der Erziehung gesucht werden muss. Remo Largo legte in überzeugender Weise dar, wie die kinderorientierte Entwicklung zu einer positiven Sozialisierung eines Kindes führen wird. In einem weiten Erklärungsbogen von der Geburt bis zum Erwachsenenleben zeigte Largo auf, dass das „stromlinienförmige“ Kind durch die Erblast des Gehorsams nach eltern- und gesellschaftsgerechten Vorstellungen geprägt wird, die jedoch den Bedürfnissen eines Menschen nicht entspricht. Für eine positive Entwicklung eines Kindes sind vertrauensvolle Beziehungen inner- wie auch ausserfamiliär enorm wichtig, denn die gesamte Entwicklung eines Kindes geschieht über ein vielfältiges Beziehungsmuster. Sei dies zu Geschwistern, Gleichaltrigen in Krippe, Kindergarten und Schule, zu Betreuungspersonen während der Abwesenheit der Eltern, zu Lehrern, wichtig ist, dass sich das Kind in seinem Umfeld geborgen fühlt, um als junge/-r Erwachsene/-r als emotional gefestigte, sozial kompetente und selbst bestimmte Persönlichkeit bereit für die beruflichen Anforderungen und gesellschaftlichen Herausforderungen ist.
Es zeigte sich durch die Worte von Remo Largo, dass nicht nur Eltern sondern die gesamte Gesellschaft heute an einem Schnittpunkt steht, weitergehende Veränderungen von grosser Bedeutung sind, denn „was Erwachsene in Familie und Schule prägen, hat Auswirkungen auf unsere Gesellschaft“.