Geborgenheit im Kleinen

Viele Kantone der Schweiz jammern über Lehrermangel, nicht so das Glarnerland. Vor allem Einheimische zieht es nach der Ausbildung zurück ins Tal und in die kleinen Schulhäuser.



Im Glarnerland gibt man gerne Schule. (Bild: Jürg Huber)
Im Glarnerland gibt man gerne Schule. (Bild: Jürg Huber)

Die schöne heile Welt? Eine Vorstellung, die uns alle ein Leben lang begleitet, die wir suchen und die wir meistens mit der Kindheit in Verbindung bringen. Aber auch oft mit dem Land, dem Provinziellen. Und tatsächlich: Ein bisschen heile Welt gibt es im Glarnerland und in den Glarner Schulen.
Wer kennt sie nicht, die Schlagzeilen über Jugendliche, die über die Stränge schlagen. Und zwar nicht einfach Lausbubenstreiche, sondern harte Vergehen. Gewalt an unschuldigen Passanten oder Mitschülern, sexuelle Übergriffe an Mitschülerinnen, veröffentlicht im Internet, oder immer wieder Drogenexzesse. Auch mit ein Grund, dass viele Kantone über akuten Lehrermangel klagen, vor allem in den Städten. Das Glarnerland hingegen kennt solchen Mangel momentan nicht.

Das soziale Umfeld

Vor allem Einheimische zieht es nach der Ausbildung zurück ins Tal und da bleiben sie dann auch. «Zum Glück haben wir nicht die gleichen Probleme mit Schülern wie die Städte», sagt Kurt Zwicky, der seit 35 Jahren im Kanton unterrichtet. Warum er als gebürtiger Glarner in seiner Heimat geblieben sei? Weil im hier alles vertraut war. Auch bei jüngeren Arbeitskollegen ist es das Gleiche: «Hier bin ich zu Hause. Meine Familie und die meisten Freunde leben hier», meint dazu Angela Stüssi, die seit zwei Jahren eine Primarklasse betreut.

Raum für Freiheit

Aber nicht nur das soziale Umfeld ist ausschlaggebend, dass viele Lehrer gerne im Glarnerland unterrichten. «In den gemütlichen schmucken Schulhäusern herrscht eine persönliche manchmal sogar familiäre Atmosphäre», so Zwicky. Schulhäuser, in denen der Kontakt zwischen den Klassen und Schulstufen gepflegt wird. «Am Sporttag waren Schüler aus der sechsten Klasse zusammen mit Kindergärtner in einem Team und nahmen in den Wettkämpfen auf sie Rücksicht», schildert Carla Glarner, die seit letztem Sommer eine Kindergartenklasse unterrichtet, eine der schönsten Erinnerungen. Das Kleine führt aber auch zu administrativ kurzen Wegen und zu einer gewissen Portion Freiheit. Zwicky resümiert: «35 Jahre lange konnte ich den Unterricht selbstständig individuell gestalten.» Auch in speziellen Situationen können Lehrer flexibel und frei reagieren. Im letzten Herbst waren acht von 14 Kindern in der Klasse von Angela Stüssi krank. «In so einer Situation macht normaler Unterricht einfach keinen Sinn.» Mit den verbliebenen sechs Kindern habe sie Ausflüge gemacht oder die Zeit für intensive Gespräche genutzt.

Teil des Dorflebens

Das Kleine hört aber nicht beim Schulgebäude auf, auch im Dorf ist es spürbar. Man kennt sich, man trifft die Kinder auf der Strasse, die Eltern beim Einkaufen. Dass dies aber nicht nur positiv sein kann, räumt Stüssi ein: «Es ist bestimmt nicht jedermanns Sache, plötzlich ein Elterngespräch auf der Strasse zu führen.» Vielleicht auch ein Grund, warum vor allem gebürtige Glarner in unserem Kanton unterrichten. Die Nähe kennt man bereits aus der eigenen Jugend. Und vielleicht auch deshalb wagen eher wenige den Sprung aus dem Geborgenen in die grosse weite Welt. «Da draussen wartet das Unbekannte. Wohl auch aus diesem Grund blieb ich im Glarnerland. Hier war mir alles vertraut», meint Zwicky. «Die Nähe der Natur, der Berge und Seen ist mir auch sehr wichtig», beschreibt Glarner einen nicht nur für sie wichtigen Vorteil des Glarnerlands.

Neue Situation

Mit der Fusion wachsen im Glarnerland die Gemeinden und die Strukturen. Das geht auch an den Lehrpersonen nicht spurlos vorbei. «Ich hoffe, dass das Spezielle der Glarner Schulen weiterhin bestehen bleibt und nicht die Bürokratie die Oberhand gewinnt.» Denn so – meint Zwicky – kann die Schule weiterhin ein Ort der Ruhe für die Kinder sein. Und ein angenehmer Arbeitsplatz für die Lehrpersonen.