Die Reformierte Glarner Kirche will sich dem Zeitgeist entsprechend neu positionieren, indem sie direkt auf Menschen zugeht und ihre Bedürfnisse und Interessen analysiert. Basierend auf dieser Grundlage werden die Stärken der einzelnen Kirchgemeinden sowie die gemeinsame Basis herausgearbeitet. Hierfür wurde eigens das Projekt «Glarner Generationenkirche» ins Leben gerufen. Dieses ist über den Zeitraum von 2013 bis 2016 geplant und in vier Etappen aufgeteilt worden, zu denen die Synode jeweils ihre Zustimmung gibt. Die erste Etappe umfasst Zielgruppengespräche mit rund 222 Menschen im Alter von vier bis 76 Jahren. Mit den Gesprächen, die in sieben Kirchgemeinden durchgeführt wurden, wollen die Verantwortlichen das traditionelle Bild der Kirche erweitern, wie Lisbeth Zogg von der externen Prozessleitung Cottier und Zogg erklärt: «Der Erfolg der Kirche wird zu einseitig an der Besucherzahl am Sonntag gemessen. Wir wollen erfahren, was die Menschen persönlich interessiert, was Glaube und Spiritualität ihnen bedeuten und welche kirchlichen Angebote sie nutzen.»
Begegnung auf Augenhöhe
Wie aus den Zielgruppengesprächen hervorgeht, sind für viele die Zeiten längst vorbei, in denen die Kirche über das Volk bestimmte und teilweise auch Schuldgefühle generierte. «Die Menschen wählen ihren Bezug zur Kirche selber: nah, wohlwollend oder distanziert. Entsprechend suchen sie individuelle Ausdrucksformen für ihren Glauben in der Natur, Musik, in den Gottesdiensten sowie in der Geselligkeit. Daher braucht es heute verschiedene Zugänge», erläutert die Pfarrerin. Des Weiteren resultiert aus der Umfrage, dass für viele Menschen die Kirche nach wie vor von Bedeutung und eine notwendige Institution ist: «In einer zunehmenden Leistungsgesellschaft und dem damit verbundenen Wertewandel steigt sowohl im Familien- wie auch im Berufsleben der Druck. Hier kann die Kirche eine Schlüsselrolle spielen, als Oase und gastlicher Ort, wo man sich entspannen, besinnen, Kontakte und Gemeinschaften pflegen oder auch einem Thema nachgehen kann», betont Theologin Zogg.
Gottesdienste mit Jazzkonzerten
Andrea Trümpy gehört zu den rund 40 Freiwilligen, welche die Zielgruppengespräche anhand von Fragebögen geführt haben. Als Vizepräsidentin des Glarner Kantonalen Kirchenrates wurde sie seit Anbeginn in das Projekt involviert. Daher sei sie neugierig gewesen, an vorderster Front die Meinungen zu erfahren und habe alsdann fünf Personen im Alter zwischen 20 und 72 Jahren aus Glarus und Riedern befragt: «Ich war über die positive Grundeinstellung gegenüber der Reformierten Kirche überrascht. Die Leute sind im Grossen und Ganzen zufrieden», resümiert Andrea Trümpy und fügt an: «Das bedeutet, dass sich die Kirche auf gutem Wege befindet.» Hierbei lobt die Vizepräsidentin auch die Volksnähe des Pfarrerehepaars Dagmar und Sebastian Doll: «Das Paar ist auch sozial sehr aktiv, sei es mit Suppentagen oder dem Kirchenkaffee, der auf Wunsch erneut eingeführt wurde.» Ausserdem sei bei der Befragung auch die individuelle Gestaltung der Trauergottesdienste, Hochzeiten und Taufen gelobt worden. Lediglich jüngere Befragte würden einen abwechslungsreicheren Gottesdienst begrüssen, untermalt mit mehr Musik, wie etwa Jazzkonzerte oder auch Theateraufführungen. Zur Sprache kam auch der Aufbau des Kindereckens in der Glarner Kirche: «Gewünscht wird, dass sowohl der Kirchenplatz wie auch der Innenraum gemütlicher gestaltet wird», erzählt Andrea Trümpy. Besonders erstaunt habe sie die Offenheit der Befragten in Bezug auf ihre Alltagsgebete: «Die einen zitieren die Bibel, andere verwenden vertraute Gebete oder je nach Situation auch eigene Worte.» Die Zielgruppengespräche hätten deutlich aufgezeigt, dass der Aufgabenbereich der Kirche ein breites Spektrum umfasse, verteilt auf etliche Institutionen, wie unter anderem Help Point oder die Schuldenberatung. So besuchte die aktive und engagierte Vizepräsidentin vor Kurzem das «Forum für Christliche Führungskräfte» in Bern. Beeindruckt habe sie vor allem das Vorgehen eines Jungen CEO einer Aargauer Transportfirma: «Ein Chauffeur, der seit 40 Jahren in der Firma tätig war und aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr die gleiche Leistung vollbringen konnte, wurde nicht wegrationalisiert, sondern intern versetzt. Dieser Akt zeugt von Nächstenliebe und Würdigung der geleisteten Arbeit, was mich in einer leistungsorientierten Gesellschaft hoffnungsvoll stimmt», so Trümpy.
Ein Generationen-Mittagstisch
Auch Gabriela Hösli ist der Meinung, dass die Kirche weiterhin volksnah bleiben sollte. Das sei für die Geschäftsführerin des Bergrestaurants Schwammhöhe mit ein Grund gewesen, weshalb sie die Zielgruppengespräche geführt habe. Sie hat vier Frauen zwischen 28 und 64 Jahren aus Glarus befragt. «Im Zusammenhang mit dem optischen Erscheinungsbild der Kirche erhielt ich von allen erfreuliche Rückmeldungen. Sogar der Friedhof mit der schönen Aussenanlage wurde gerühmt», erzählt Gabriela Hösli. Lediglich für die Innenausstattung der Glarner Kirche seien Kinderbänke gewünscht worden. Denn die Kirche gelte als wichtiger Begegnungs- und Austragungsort religiöser Zeremonien, wie etwa Hochzeiten. Entsprechend bestehe nach wie vor das Bedürfnis, den Bund des Lebens durch Gott zu besiegeln. Die befragten Frauen seien der Kirche gegenüber gut gesinnt, doch: «Ich denke, dass sowohl der Wohlstand wie auch etliche Veranstaltungen uns oft daran hindern, das vielseitige Angebot der Kirche zu nutzen», fügt die Glarner Wirtin an. In diesem Zusammenhang sei die Wichtigkeit des Religionsunterrichts hervorgehoben und folgende Angebotserweiterung geäussert worden: «Ein Anliegen betrifft die Einführung eines Mittagstisches für einsame, einkommensschwache sowie ältere oder alleinerziehende Personen. Hier ist der Wunsch geäussert worden, verwertbare Nahrungsmittel zu verwenden, die von Grossverteilern weggeworfen werden. Interessant war auch der Vorschlag einer Notfallnummer für Jugendliche, die anonymer Hilfe bedürfen», berichtet die junge Wirtin. Zudem sei für alleinerziehende Mütter eine Adressliste mit kompetenten Kinderhütediensten gewünscht worden. Die Geschäftsführerin fühlt sich durch die Gespräche bereichert: «Durch die Zielgruppengespräche nehme ich das Alltägliche nun viel bewusster wahr und fühle mich in meinem Glauben bestärkt und bestätigt.»