Glarner Regierungsrat begrüsst weitere Öffnungsschritte

Der Regierungsrat des Kantons Glarus begrüsst, dass der Bundesrat weitere Öffnungsschritte auf den 22. März 2021 vorsieht. Gleichzeitig kritisiert er, dass die Massnahmen zu wenig aufeinander abgestimmt und zu kompliziert geworden sind. Sie sollen sich nach einfachen und nachvollziehbaren Prinzipien richten.



Mitteilung Glarner Regierungsrat (Bild: iStock)
Mitteilung Glarner Regierungsrat (Bild: iStock)

In seiner Stellungnahme zu den vom Bundesrat in Aussicht gestellten Lockerungen der Massnahmen gegen das Coronavirus per 22. März 2021 nimmt der Regierungsrat des Kantons Glarus differenziert Stellung. Er ist der Meinung, dass vorsichtige Öffnungen möglich sind und entsprechend umgesetzt werden sollten. 

Einseitiger Fokus auf gesundheitliche Aspekte

Die Vernehmlassungsunterlagen berücksichtigen sehr einseitig ausschliesslich gesundheitliche Aspekte. Die Anliegen aller anderen Gesellschafts- und Politikbereiche und der Wirtschaft erhalten praktisch keinen Raum. Der Rechtsstaat ist an das Gebot der Verhältnismässigkeit gebunden, das heisst, er muss eine Gesamtschau und eine austarierte Güterabwägung im öffentlichen Interesse vornehmen. Diese findet nach Einschätzung des Regierungsrates (fast) nicht statt.

Oberste Prämisse war bisher stets, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Mit dieser Begründung wurden und werden die einschneidenden Massnahmen begründet. Fakt ist, dass das Gesundheitswesen sogar im November 2020 – als tageweise bis zu 11 000 Ansteckungen pro Tag registriert wurden – zwar enorm stark belastet war, aber nie kollabierte.

Wie der bereits in seiner Stellungnahme vom 19. Februar 2021 zum ersten Öffnungsschritt, kritisiert der Regierungsrat, dass die Strategie des Bundesrates neue Elemente zu wenig berücksichtigt. Die anlaufende Impfung der Risikogruppen – die Bewohnerinnen und Bewohner von Alters- und Pflegeheimen sind mittlerweile zu über 80 Prozent geimpft – müsste dazu führen, dass die Hospitalisations- und Todesfallraten rückläufig sind.

Entsprechend sollte die Auslastung der Intensivplätze mit Covid-19-Plätzen (17,5% am 14.3.2021) das primäre Entscheidungskriterium sein, während die Positivitätsrate, die 14-Tages-Inzidenz oder die durchschnittliche Reproduktionszahl von sekundärer Bedeutung sein müssen. Der entsprechende Wert wie auch die allgemeine Anzahl Hospitalisationen aufgrund Covid-19 (3,7% am 14.3.2021) zeigen, dass weitere Öffnungen möglich sind. Sie sind darüber auch erforderlich. 

Fehlende Kohärenz der Massnahmen

Der Detaillierungsgrad der Verordnung nimmt noch einmal in einem Masse zu, das kaum mehr verkraftbar ist. Die einzelnen Massnahmen sind nur wenig kohärent und schlicht zu kompliziert. Sie sind für die Bevölkerung wie auch Fachpersonen oft nur schwer verständlich und wenig nachvollziehbar. Dies führt letztlich dazu, dass die Massnahmen weniger gut eingehalten werden als dies bei einfacheren, anhand klarer und nachvollziehbarer Prinzipien geltenden Massnahmen der Fall wäre. Das Ad-hoc-Mikromanagement des Bundesrats schnürt hingegen alle betroffenen Bereiche in ein Korsett, aus dem sie sich nicht mehr lösen können.

Anstelle einzelner Regelungen für unterschiedlichste Betriebe und Veranstaltungen wird eine Öffnung anhand weniger einfacher und nachvollziehbarer Prinzipien gefordert, die streng nach dem Grundsatz der Subsidiarität erlassen werden. Damit kann sichergestellt werden, dass die verschiedenen Sektoren (Kultur, Sport, Gastronomie usw.) nicht in einen Wettbewerb zueinander geraten.

Fehlender Ausblick

Der Bundesrat lässt in seinen Erläuterungen offen, wann und in welcher Form ein dritter Öffnungsschritt erfolgen kann. Bei den Massnahmen handelt es sich aber um teils sehr weitgehende Grundrechtseinschränkungen, die nur so lange wie notwendig dauern dürfen. Deshalb erachtet es der Regierungsrat als zwingend erforderlich, dass der Bundesrat die Bedingungen transparent nennt und im Sinne einer Orientierungslinie bekannt gibt, unter denen er eine weitere Öffnung als möglich erachtet. So würde er der Bevölkerung eine klare Perspektive aufzeigen. Wie der Bundesrat selber schreibt, orientiert sich jeder Öffnungsschritt an vorgängig festgelegten Richtwerten.

Beantwortung der Fragen

Sind die Kantone mit der vorgeschlagenen Drei-Pfeiler-Strategie einverstanden oder haben Sie Verbesserungsvorschläge?
Regierungsrat: Der Regierungsrat unterstützt die Drei-Pfeiler-Strategie. Allerdings müssen endlich alle notwendigen Massnahmen und insbesondere notwendige Materialien flächendeckend und in genügender Menge bereitstehen. Die drei Pfeiler können ihre Wirkung nur entfalten, wenn Impfstoff nicht nur versprochen, sondern auch geliefert wird. Gleiches gilt für die Testkapazitäten und die Testutensilien. Der Kanton Glarus wäre heute in der Lage, mehr zu impfen und mehr zu testen. Ihm fehlen jedoch Impfstoffe und genügend Testkapazitäten. Er kann dies selber nicht direkt beeinflussen, sondern steht in Abhängigkeitsverhältnissen. Die Kommunikation des Bundesrates und des Bundesamtes für Gesundheit wird als wenig glücklich erachtet. Es wird der Eindruck erweckt, dass jede Person, die sich impfen oder testen lassen will, dies auch tun kann. Das ist aber nicht der Fall und schadet so der Glaubwürdigkeit der eidgenössischen und kantonalen Behörden. Es wird um eine realistische Darlegung der aktuellen Situation gebeten, was das Impfen und das Testen betreffen.

Auch gilt es festzuhalten, dass der Ausbau eines Pfeilers zwangsweise zu einem Rückbau eines anderen Pfeilers führen muss. Das heisst, dass verstärkte Präventivtests und Impfkampagnen andere Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie, wie z. B. die Schliessung von Gaststätten und Betrieben, überflüssig machen.

Sind die Kantone mit dem Inhalt des zweiten Öffnungspakets einverstanden?
Regierungsrat: Wie erläutert, sollte sich die Öffnung anstelle des untauglichen und nicht mehr nachvollziehbaren Mikromanagements nach wenigen, einfachen und nachvollziehbaren Prinzipien richten. Das Öffnungspaket ist auf diese Prinzipien hin zu überprüfen und umfassend zu überarbeiten.

Inhaltlich sollte zudem die Home-Office-Pflicht wieder in eine Empfehlung umgewandelt werden. Im Übrigen nimmt der Regierungsrat des Kantons Glarus zu den einzelnen Bereichen wie folgt Stellung:

Veranstaltungen

Eine Durchführung im Freien ist bei den meisten kulturellen Veranstaltungen von Kulturinstitutionen und zum Teil Sportveranstaltungen unmöglich. Es braucht differenzierte Beschränkungen, die sich an der Kapazität und infrastrukturellen Voraussetzungen anstelle von fixen Maximalzahlen orientieren. Zudem ist in Betracht zu ziehen, bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine Frist zu definieren, bis wann Grossveranstaltungen mit mehr als 1000 Personen vorerst nicht möglich sein werden, um so Rechtssicherheit für Veranstaltende von Grossveranstaltungen bis mindestens zum Sommer zu schaffen.

Bildung

Das Verbot von Präsenzunterricht auf Tertiärstufe (Hochschulen, berufliche Weiterbildung) hat weitreichende negative Auswirkungen. Die Studierenden befinden sich faktisch seit einem Jahr im Fernunterricht, was insbesondere für Studierende am Anfang des Studiums und vor dem Abschluss eine äusserst schwierige Situation darstellt. Lockerungen dieses Präsenzverbots sind dringend nötig. Der Vorschlag des Bundesrats, den Präsenzunterricht für maximal 15 Personen zuzulassen, ist keine praxistaugliche Lösung. Das Verbot des Präsenzunterrichts ist aufzuheben und durch die Anordnung von Schutzmassnahmen zu ersetzen. Damit kann eine schrittweise Rückkehr zum Präsenzunterricht im Tertiärbereich unter sicheren Bedingungen gewährleistet werden. Weiter fordert der Glarner Regierungsrat den Bundesrat dazu auf, die Regelungen im Bildungsbereich unter Beizug der dafür zuständigen Kantone vorzubereiten, damit künftig praktikable Lösungen gefunden werden können.

Sport

Die Beschränkungen bei der Personenzahl und die minimalen Quadratmetervorgaben für Sportvereine sind unverhältnismässig und kaum praktikabel. Ein noch länger andauerndes faktisches «Vereinsverbot» richtet enormen Schaden an und trägt dazu bei, dass sich die Gräben in der Bevölkerung weiter öffnen.

Kultur

Die Beschränkung der Personenzahl und vor allem die drakonischen Kapazitätsbeschränkungen insbesondere für Gesang- und Blasmusikvereine sind unverhältnismässig bzw. entsprechen de facto weiterhin einem Verbot. So würde z. B. eine 15-köpfige Blaskappelle für ihre Probe eine Halle von 375 Quadratmetern (15 x 25 m2) benötigen. Dieser Öffnungsschritt ist nur praktikabel, wenn die erforderliche Quadratmeterzahl pro Person nicht erhöht oder sogar gesenkt wird. Ein noch länger andauerndes faktisches «Vereinsverbot» richtet enormen Schaden an und trägt dazu bei, dass sich die Gräben in der Bevölkerung weiter öffnen.

Aussenbereiche Restaurants

Der Regierungsrat begrüsst die Öffnung der Aussenbereiche der Restaurants ausdrücklich. Er fordert zusätzlich eine Öffnung in Innenräumen unter Einhaltung von Schutzkonzepten und Begrenzungsvorgaben. Wie wissenschaftliche Studien und die Zahlen des kantonalen Contact Tracing nahelegen, ist das Ansteckungsrisiko bei einer Begrenzung der Kapazitäten nur marginal höher als in Supermärkten. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb Fitnesscenter im Innenbereich geöffnet werden können, dies aber Speiserestaurants mit geordnetem Betrieb an Tischen und Abstandsregeln untersagt sein soll.

Die steigenden Temperaturen im Frühling dürften dazu führen, dass die Kundinnen und Kunden ihre Take-Away-Speisen und -Getränke vermehrt draussen und im unmittelbaren Umfeld des Restaurationsbetriebes konsumieren werden. Es kann zu unerwünschten Ansammlungen von Menschen kommen. Der Regierungsrat fordert erneut ein evidenzbasiertes Handeln. Es sind ihm keine Studien bekannt, die darauf schliessen lassen, dass diese ungeordnete Konsumation gegenüber einer kontrollierten Konsumation auf einer Terrasse mit Schutzkonzepten für die Unterbindung einer Übertragung des Virus (deutlich) vorteilhafter wäre.

Anpassung Quarantäne

Wie bereits früher ausgeführt, dürfte die Befreiung der Unternehmen von der beruflichen Kontaktquarantänepflicht, sofern diese regelmässig ihre Belegschaft testen, nur in seltenen Fällen zur Anwendung gelangen. Bereits heute gilt für Arbeitnehmende in Betrieben grundsätzlich eine Maskentragpflicht, sodass ein enger, ungeschützter Kontakt gar nicht stattfindet und demzufolge bereits heute keine Quarantäne angeordnet werden darf.

Im Übrigen wird eine Quote von 80 Prozent als zu hoch erachtet. Die Befreiung soll jenen zugutekommen, die sich testen lassen, unabhängig der Quote. Eine Quote ist nicht mit der Freiwilligkeit zu vereinbaren. Die Erfahrungen des Kantons Graubünden zeigen, dass sich 50–60 Prozent der Mitarbeitenden der gemeldeten Betriebe regelmässig testen lassen. Daneben sollte eine Aufhebung der Kontaktquarantäne nicht nur das berufliche, sondern auch das private Umfeld umfassen. Schliesslich sollte eine solche Regelung nicht nur für Betriebe, sondern auch für den Schulbereich gelten.

Mit der Aufhebung der Quarantänepflicht für geimpfte und ehemals infizierte Personen ist der Regierungsrat einverstanden. Die Aufhebung der Quarantänepflichte sollte jedoch nicht nur für Personen in Kontaktquarantäne, sondern auch für Einreisende gelten, bei welchen das Risiko nachträglich zu erkranken nachweislich noch geringer ist.

Gehen die Kantone davon aus, dass die lückenlose Kontaktnachverfolgung trotz steigender Fallzahlen weiterhin gewährleistet werden kann?
Regierungsrat: Eine lückenlose Nachverfolgung von Kontakten ist utopisch und nicht umsetzbar, auch nicht bei niedrigsten Fallzahlen. Das Contact Tracing ist und bleibt auf die Ehrlichkeit und das Erinnerungsvermögen der infizierten Personen angewiesen. Backward-Tracing tönt in der Theorie spannend und wirksam, in der Praxis können im Contact Tracing bei der Befragung hingegen oft keine weiteren nützlichen Informationen gesammelt werden und die Ansteckungsquelle bleibt unbekannt. Die bestmögliche Nachverfolgung kann jedoch im Kanton Glarus auch bei einem erneuten Anstieg der Fallzahlen gewährleistet werden.

Bemerkungen zu den Erläuterungen

Positivitätsrate

Da immer weniger negative Testresultate (v. a. Antigen-Schnelltests, Test in der Eigenanwendung) gemeldet werden, verliert die Positivitätsrate an Zuverlässigkeit und somit an Bedeutung. Sie kann deshalb nur mit Vorsicht für die Beurteilung des Pandemie-Verlaufs beigezogen werden.

Inzidenz und Reproduktionszahl

Mit zunehmender Durchimpfung der Risikogruppen (ältere Personen und Personen mit Vorerkrankungen) verlieren die Fallzahlen (Inzidenz) und die Reproduktionszahl an Bedeutung. Massgebend ist zudem nicht die Fallzahl an sich, sondern die Anzahl schwer erkrankter Fälle, da nur diese eine Belastung des Gesundheitswesens darstellen. Insofern sollte anstelle der Fallzahlen die Anzahl Hospitalisationen bzw. die Bettenbelegung ausserhalb der Intensivstationen als Richtwert beigezogen werden.

Wichtig ist der Schutz der Risikopersonen. Dieser wird primär durch die Impfung und sekundär durch gezielte Massnahmen (z. B. zum Schutz von besonders gefährdeten Arbeitnehmenden) sowie auch eigenverantwortlichem Handeln der Betroffenen ermöglicht. Asymptomatische und leichte Erkrankungen sollen in Zukunft nachgiebiger zugelassen werden, da sie keine Belastung des Gesundheitswesens darstellen.

Alle strengen Massnahmen des letzten Jahres wurden mit der Begründung der Verhinderung schwerer Verläufe, von Todesfällen und von der Belastung des Gesundheitswesens beschlossen. Dieses Argument verfängt mit Fortschreiten der Impfung immer weniger. Für die Eindämmung der Fallzahlen ist auch die repetitive Testung ein wichtiger Pfeiler, dem in den Erwägungen des Bundes zu wenig Rechnung getragen wird.

Modellierungen der Öffnungsschritte 

Der Regierungsrat des Kantons Glarus bezweifelt, dass die dargestellten Modellberechnungen eine verlässliche und damit sinnvolle Grundlage für die Beurteilung der nächsten Öffnungsschritte sind. Neben den bereits erwähnten Unsicherheiten betreffend Virusvarianten, Verhalten der Bevölkerung, Saisonalität und Massnahmendispositiv, stützt sich der Regierungsrat zudem auf folgende Überlegungen:

  • Das repetitive präventive Testen fehlt in den Modellierungen. Diese sind deshalb nur beschränkt anwendbar und können für Entscheidungen nicht beigezogen werden.
  • Bei genauerer Betrachtung der Modellierungen fällt auf, dass trotz zunehmender Impfung, die gemäss Strategie bei Risikopersonen stattfindet, die Hospitalisierungen und Todesfälle höher sind als in den bisherigen Wellen. Das ist nicht nachvollziehbar. Über die Hälfte der bisherigen Todesfälle entfielen auf Bewohnerinnen und Bewohnern von Alters- und Pflegeheimen. Da diese nun zu mehr als 80 Prozent geimpft sind, muss von weniger Todesfällen ausgegangen werden. Die hohen Todesfallzahlen im Modell sind auch dann nicht nachvollziehbar, wenn man davon ausgeht, dass die neuen Varianten des Virus ein höheres Infektionsrisiko mit sich bringen.
  • Wie in früheren Stellungnahmen mehrfach kritisiert, besteht weiterhin eine ungenügende Evidenz zu Nutzen und Kosten einzelner Massnahmen. Im Gegenteil existieren überzeugende Studien, welche nahelegen, dass die Kosten von strengen Massnahmen den Nutzen bei Weitem übersteigen bzw. ähnliche Resultate mit deutlich weniger eingreifenden Massnahmen erreicht werden können. Es bleibt denn auch unklar, welche Massnahmen in den einzelnen Szenarien überhaupt enthalten sind. Dies ganz abgesehen von den massiven Eingriffen in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger, die es immer wieder neu zu begründen und auf ihre Verhältnismässigkeit hin zu überprüfen gilt.

Der Bundesrat kündigt zudem bereits jetzt an, dass er wohl – um die Impfverweigerer zu schützen – auch nach Durchimpfung der Impfwilligen die längerdauernde Beibehaltung von Basismassnahmen Masken, Hygiene, Abstand erwägen werde. Der Bundesrat wird gebeten, auch die Verhältnismässigkeit der Basismassnahmen kritisch zu überprüfen.