Grenzen überschreiten – Wort und Musik in Schwanden

Die SRF-Mundartsendung «Schnabelweid» und einer ihrer Redaktoren wurde dank Einladung des Kulturvereins Glarus Süd einem spürbar interessierten, stark Anteil nehmenden Publikum auf gar unterhaltsame Art nähergebracht.



(Bilder: pmeier)
(Bilder: pmeier)

Liebenswürdige und recht prominente Gäste waren der in Schaffhausen lebende Christian Schmid, Publizist und Autor und bis 2012 Redaktor der Mundartsendung, und der Musiker Christoph Greuter aus Solothurn. Christian Schmid erzählte über vergangene Zeiten mit Beginn der Fünfzigerjahre, seine Jugend in der Ajoie; später erläuterte er Entstehung und Bedeutung verschiedenster Redensarten. Christoph Greuter, ein begnadeter Gitarrist, der neben der schweizerischen Volksmusik auch die amerikanische Roots-Music pflegt und bewegend zu interpretieren weiss, wartete mit Solistischem auf, untermalte zuweilen auch Teile der Erzählungen.

Dass sich Christian Schmid mit Grenzen, Grenzüberschreitendem und Grenzerfahrungen befasst, ist zur Hauptsache seiner Jugendzeit zuzuschreiben. Er wuchs Anfang der Fünfzigerjahre in einem kleinen Nest in der Ajoie, hart an der Grenze zum benachbarten Frankreich auf. Der Vater war Grenzwächter. Früh hatte Schmid bleibende Kontakte zur Hierarche der Grenzer, zur französischen Sprache und dem Leben in einer grandiosen Landschaft und in einer Gesellschaft mit ganz besonderen Eigenheiten, die einen prägen können, aber auch zur Ablehnung, zu Missverständnissen führen. Wie stark das benachbarte Frankreich, ein fremdes und zugleich so nahes Land, den Heranwachsenden prägte, wie nahe Erlebnisse mit den wenigen Schweizern gingen, schilderte Schmid bewegend, ehrlich, detailliert, mit feinem Humor und willkommener inhaltlicher Deutlichkeit. Er liebt die direkten, klaren, wertenden Aussagen, äusserte sich in breitestem Berndeutsch, das ihm auch am heutigen Wohnort Schaffhausen nicht abhandengekommen ist. Dass vieles echt nostalgisch ist, war bei den im Gemeindezentrum Schwanden gebannt Hinhörenden offensichtlich sehr willkommen. Viele sind in jener Zeitspanne auch mal jung gewesen. Schmids damalige Welt war klein: Drei Häuser, Zollposten, Bauernhof mit Beiz und kleine Uhrenfabrik, viel Landwirtschaftsfläche, wortkarge Leute, Landesgrenze. Der Junge lebte, erlebte, wechselte nicht nur geografische, sondern auch kulturelle Grenzen, outete sich als naturnahen grenzwertigen Grenzfall. Mit Ehemaligem geht er in seinen Erzählungen nie hart ins Gericht, obwohl er Belastendes nie beschönigt oder totschweigt. Er nahm vieles sehr sensibel wahr, schrieb das in Geschichten nieder, die nicht einfach Dutzendware geblieben sind. Schmid ist volksnah, liebenswürdig, interessierend, schafft Kurzweil, weckt zuweilen Betroffenheit.

Er erzählte von der damals sehr rudimentären technisierten Welt, von Rundfunkempfängern mit einigen wenigen Sendern, schlechtem Empfang. Er wies auf die wenigen Telefonapparate, das knappe Argumentieren und die dennoch grosse sprachliche Vielfalt hin. Er äusserte sich zur Länge von Gebeten, die zuweilen auf die Qualität des kulinarischen Angebots abgestimmt schienen. Er kam auf sprachlich Seltsames zu reden, wie beispielsweise die grünen Blätter des Tannenbaums, den Zwetschgeler, der ja keine Zwetschgen herstellt. Da war in ihm der poetische Reichtum entflammt. Er äusserte sich mit leisem Schalk, einfühlend, aufzeigend, wie schwierig es zuweilen ist, sich in Sprachliches genügend intensiv reinzudenken, sich beim Formulieren wohlzufühlen. Schmid ist ein riesig guter Betrachter, der umfassend aufzunehmen und mit sprachlichem Reichtum behutsam und verantwortungsvoll umzugehen weiss. Er liess in einem der Kapitel Nebel nicht einfach Nebel sein, der nur grau, kalt und ungemütlich ist. Da wird der Nebel zur bedrohlichen, feuchten Kälte; zu einer Tatsache, die Melancholie, Trauer, Depressionen auszulösen vermag. Er zeigte in einer anderen Begegnung auf, wie laut und gefährlich damals jene Dreschungetüme waren, die von Hof zu Hof geschleppt und in Gang gesetzt wurden, das jeweilige Arbeitstempo unbarmherzig vorgaben. Dieser Lärm habe alles gefressen, laute Töne, Flüche und Unwillen.

Christoph Greuters Musik war willkommen, wurde gerne gehört, weckte mit ihrer Ruhe und stillen Leidenschaft und der hohen Virtuosität viel Anteilnahme und Freude. Sein Spiel auf der Maultrommel, der Wechsel zwischen verschiedenen Gitarrentypen, sein Rhythmisieren waren gute Begleiter.

Nach der Pause – sie wurde zu gar vielen Gesprächen mit hohem Grad anArtikel Rückbesinnung, des Hervorkramens von längst Vergangenem genutzt – ging es mit einigen träfen Redensarten weiter. Schmid entführte in eine eher unbekannte Welt, zeigte auf, wie alte Redensarten zuweilen sind, was sie ursprünglich bedeutet haben, dass sie mit Handwerksberufen, Kirchlichem und anderem zu tun haben. Einige Ausdrücke haben eine Jahrhundertgeschichte, hatten einst eine andere Bedeutung als heute. Einiges ist verschwunden, anderes dazugekommen. Schmid wusste so viel. Alles konnte und wollte er nicht erzählen, weil die Zeit nicht ausreichte und schliesslich einiges in entsprechenden von ihm verfassten Büchern enthalten ist. So blieben der Gang von «Pontius bis Pilatus», «der isch währli keis Chilcheliecht», das «Aufbinden eines Bären», den «Bärendienst erweisen», das «Uufpasse wie än Häftlimacher» das «Saufen wie ein Bürstenbinder», die «Leviten lesen» und anderes Hinweise, die – je nach Lust und Laune – zum Weitersuchen führten.

Man verabschiedete sich mit viel Beifall und dem Dank, dass auf so unerwartete Weise ein reichhaltiges Geschenk möglich geworden war. Auf weitere Überraschungen des Kulturvereins Glarus Süd darf man sich freuen.