Bruder Paul öffnet mir die Pforte. Bald ist es halb sieben. Zeit für das Morgengebet. Er begleitet mich in den Andachtsraum. Eine kleine Kapelle, die sich zwischen der Sakristei und der Kirche befindet. Sie ist schlicht eingerichtet, aber strahlt auch eine Ruhe aus. Nach und nach treffen die Brüder ein. Es wird nicht viel gesprochen. Punkt halb sieben sind alle versammelt und Guardian Bruder Paul beginnt mit dem Gebet. Für mich ist es etwas ganz Neues. Nicht das Gebet an sich, aber die Atmosphäre, die herrscht. Und ich bin auch erstaunt, die Gebete sind Psalmen aus dem späten 6. Jahrhundert VOR Christus, die aber gerade in dieser schwierigen Zeit von heute, topaktuell sind.
Nach dem Morgengebet findet noch eine Eucharistiefeier statt. Im Anschluss begeben sich die Brüder ins Refektorium zum gemeinsamen Frühstück. Am heutigen Donnerstag ist Bruder Paul für die Vorbereitungen verantwortlich. Ich begegne ihm in der Küche schmunzelnd beim Milch kochen.
Nach dem Frühstück zeigt mir Bruder Paul das Kloster. Wir gehen durch den Kreuzgang in die Kapelle und weiter in die Kloster-Kirche. Die, wie Bruder Paul erwähnt, noch stark von der Zeit der Kapuziner geprägt ist. Weiter geht es in den Klostergarten. Unter Rosenbögen mit Äpfeln und Birnen vorbei an den Blumen und Gemüsebeeten erzählt Bruder Paul einiges über das Kloster. Es steht im alten Dorfteil auf dem «Burgstock», wo früher eine Burg stand. 1674 gründeten die Kapuziner ein Kloster. Viele Glarner und Glarnerinnen mögen sich noch an die Klosterschule erinnern. 1986 übernahmen die Franziskaner das Kloster.
In einem Teil des grossen Hauptgebäudes sind die Zimmer der Franziskaner untergebracht. Im anderen Teil gibt es Gästezimmer. Die werden gerne benutzt von Menschen, die etwas Ruhe suchen, meint Bruder Paul. «Die Gäste dürfen auch sehr gern an unserem Leben teilnehmen, ob im Gebet oder auch bei den Mahlzeiten.»
Weiter geht es in den Keller des Klosters. Da ist die Bibliothek untergebracht. Ich bin von der Grösse überrascht. Mit Stolz zeigt Bruder Paul, der auch die Bibliothek betreut, seine Schätze. Darunter ist eine Zürcher Bibel aus dem Jahre 1596. Eindrücklich.
Im Lesezimmer entdecke ich einen Tischfussball-Kasten. Meine Augen leuchten. Ein Mitbruder der Franziskaner, der zu Gast ist und uns begleitet, fordert mich zu einer Partie auf. Da kann ich natürlich nicht nein sagen. Nun gut. Ich habe verloren. Ich vermute mal, mir hat die göttliche Unterstützung gefehlt.
Ich habe auch noch Gelegenheit Bruder Paul Zahner ein paar Fragen zu stellen. Mich interessiert, was das Kloster für eine Aufgabe hat:
Bruder Paul: «Unsere Aufgabe als Franziskaner ist es, gemeinsam zu leben und zu beten. Wir engagieren uns aber auch stark in der Seelsorge. Ob draussen in der Gemeinde oder hier im Kloster. Man darf zu uns kommen und um ein Gespräch bitten. Wir betreuen auch das Kantonsspital und begleiten Jugendliche sowie Erwachsene in seelsorgerischen Belangen. Die Aufgaben sind sehr vielseitig.»
glarus24: «Wie finanziert sich das Kloster?»
Bruder Paul: «Ganz normal durch bezahlte Arbeit. Wir werden zum Teil für unsere seelsorgerische Tätigkeit bezahlt. Man fragt das Kloster an, ob wir eine Aufgabe übernehmen würden. Zum Beispiel Gottesdienste in den Gemeinden. Und wir sind natürlich auch auf Spenden angewiesen.» Lächelnd fügt er hinzu: «Das dürfen Sie in Ihrem Bericht ruhig erwähnen.» Was ich hiermit auch gerne mache.
glarus24: «Wie sieht es mit dem Nachwuchs aus?»
Bruder Paul: «Es dürfte durchaus mehr Nachwuchs sein. Wir sind ein kleiner Orden. Aber im August hat ein junger Mitbruder die Erste Profess (Versprechen) im Orden abgelegt.»
glarus24: «Wenn Sie sich jetzt etwas wünschen dürften, was wäre das?»
Bruder Paul: «Ich wünsche mir mehr Menschlichkeit auf der Welt.»
Gleich ist es 10 Uhr. Bruder Paul muss sich verabschieden. Er hat eine ZOOM-Sitzung. Auch im Kloster ist die moderne Zeit angekommen. Ich schlendere noch etwas im Kloster herum und treffe Bruder Benedikt beim Klavier spielen. Er ist schon 89 Jahre alt. Bruder Josef macht sich im Garten nützlich. Und Bruder Louis begibt sich auf den Weg zur Post. Ich habe an diesem Morgen tolle Menschen kennen gelernt, die ihr Leben Gott widmen und dennoch den Bezug zur Welt ausserhalb der Klostermauern nicht verloren haben.
Ich möchte mich beim Guardian des Klosters Näfels, Bruder Paul Zahner und seinen Mitbrüdern herzlich bedanken. Sie haben mir von diesem göttlichen Ort ein sehr menschliches Bild gezeigt.