Hochmusikalisches in geistreicher Wortwahl

Auf Einladung der Glarner Konzert- und Theatergesellschaft gastierte Alfred Brendel mit komplexen Ausführungen zu Schuberts letzten Klaviersonaten in der Aula der Kantonsschule Glarus. Die Zuhörer waren gefordert, ein Erfassen der zahlreichen Zusammenhänge und die Aufnahme der zahlreichen Querverweise auf adäquate literarische Texte fiel nicht eben leicht.



Alfred Brendel argumentierte unglaublich kunstreich
Alfred Brendel argumentierte unglaublich kunstreich

Nur «wer vom Fach» war, konnte die Inhalte verinnerlichen, vielleicht, weil er das eine oder andere gehört und mit der Interpretation verschiedener Pianisten vergleichen konnte oder eigenes Aufführen in Brendels Worte einzufügen versuchte. Alfred Brendel geniesst – und das war an der beglückenden Vielzahl Musikinteressierter in der Aula schnell klar – verdient hohes Ansehen, ja Bewunderung. Ihm zu begegnen, seine fundierten Hinweise zu vernehmen und den musikalischen Verdeutlichungen zu lauschen, bedeutet vertieftes Auseinandersetzen mit Schuberts Schaffen, insbesonders mit jenen Klaviersonaten, die am Ende seines kurzen Lebens entstanden. Sein Gastauftritt in Glarus darf durchaus als Geschenk an zahlreiche, motivierte Musikfreunde gedeutet werden; als Geschenk eines bedeutenden Pianisten, Schriftstellers, kenntnisreichen und fundiert argumentierenden Referenten und Leiters von Meisterkursen. Und im Verlaufe des nie langatmigen oder sich verästelnden Referats wurde bald in angenehmster Weise spürbar, wie umfassend, tiefgründig und kenntnisreich Brendel auszuführen vermochte. Es gedieh zum Genuss und zuweilen neidvollen Mitvollziehen dieses Mit- und Nebeneinanders musikalischer und verbaler Kunstfertigkeit, Brendel argumentierte nie über die Köpfe der Zuhörenden hinweg, auch das eine Kunstform, die nicht alle gleichermassen geschickt beherrschen. Er befasste sich beispielsweise mit den Anfängen dieser Sonaten, die zuweilen als lang, ja langweilig galten und nie ans Schaffen eines Beethovens herankamen. An Schubert wurde lange herumgekrittelt.

Er komponierte an die tausend Werke und schuf damit für eine Vielzahl von Interpreten ungeheure Gestaltungsspielräume. Brendel charakterisierte ihn als einen, der zuletzt in rauschhafter Produktivität, aber ohne Angst und Todesfurcht arbeitete und zuweilen Werke voller Glanz und strahlender Kraft entstehen liessArtikel. Schubert, so Brendel, war lange; zu lange verkannt. Damals bedeutsame Literaten und Komponisten äusserten sich mehrmals abschätzig. Adorno und Spitteler schrieben von Süssigkeit und fehlender Spannung, vom Aneinanderreihen von Themen ohne innere Verbindung. Wien hat in Schuberts Leben einen grossen Stellenwert, Brendel fragte nach der wienerschen Schubert-Tradition im Damals und Heute. Brendels Aussagen waren derart vielschichtig, weit fassend, vergleichend, dass ein adäquates Wiedergeben in jedem Falle zum Scheitern verurteilt ist, gezwungenermassen rudimentär bleibt. Tempobezeichnungen und deren Ausspielen, das Einfliessen des musikalischen Schaffens anderer Komponisten, der Weg ab musikalischer Skizze bis zum fertigen Motiv oder Werk, Bedeutung von Wiederholungen, Schuberts Schaffen im Vergleich mit einem grossen Wanderer, das Einbringen von Zäsuren, Verspieltheit und Träumereien, Schuberts Entdeckungen des «Fiebers in der Musik» seien stellvertretend für den Reichtum aller Ausführungen und die hohe interpretatorische Spielkunst erwähnt. Brendel war ein hochwillkommener, liebenswürdiger und enorm kenntnisreich ausführender Gast, der selbst bei musikalischen Beispielen ab CD mitmusizierte, auf den Knien die Läufe mitspielte, in durch und durch erfüllender Art offenbarte, was in ihm lebt, mitschwingt, auch in derartigen Momenten präsent ist.