«Il disastro» im Güterschuppen Glarus

Nina Dimitri und Silvana Gargiulo, beide aus der Scuola Dimitri in Verscio, gastierten vor wahrlich «ausverkauftem Hause» auf einer für sie wohl eher ungewohnten Spielfläche. Hatte damit «Il desastro», also das «schwere Unglück» seinen unguten Anfang genommen? Den beiden Damen war die Spielfläche zu klein, dazu hallte es bei jedem energischen Schritte – und deren waren es gar viele. Dann stimmte irgendetwas mit dem Licht nicht, war es zu grell, zu bläulich, falsch eingestellt? Der Bühnenboden war zu staubig – wohl deshalb stand der grosse Besen griffbereit da. Irgendwie waren die Vorhänge am hinteren Bühnenrand reichlich abgegriffen.



Die Verantwortlichen fürs Dritte Programm (von links): Corinne Reusser, Susanne Schwegler, Heini Nold, Angelika Echsel (Bilder: p.meire)
Die Verantwortlichen fürs Dritte Programm (von links): Corinne Reusser, Susanne Schwegler, Heini Nold, Angelika Echsel (Bilder: p.meire)

Aber alles traf nur beim ersten Hinhören und Zusehen zu, machte bald einmal vielen berechtigten Lachern Platz. Witzig, gekonnt, mit hoher Bühnenpräsenz, mit wundersam wechselnder Gestik, munterer Mimik, mit vorgetäuschter Empörung, dann wieder grosser Verzweiflung, ja Trauer und Resignation, dem aufkeimenden kreativen Willen für eine Rettung der gesamten Aufführung – es drohte ja echt die hohe Gefahr der frühzeitigen Entlassung des gesamten, so vergnügten und stark Anteil nehmenden Publikums – wickelte sich das wirblige Geschehen ab.

Was war eigentlich los?

Erstmals begrüsste Angelika Echsel als «Wortführerin» der verantwortlichen Truppe ums Dritte Programm, stellte Corinne Reusser, Susanne Schwegler und Heini Nold samt deren riesigem Einsatz vor, wies aufs hundertjährige Bestehen der Kulturgesellschaft und die damit verbundenen Festivitäten hin. Das dauerte nicht lange.

Dann ging`s gewaltig los – mit immensem Geschimpfe, wortstark, überdeutlich bemängelnd. Nicht mal einen Lift habe es in diesem Schuppen, die Akustik sei lausig, «troppo secco» wie sich Silvana Gargiulo in ihrem liebenswürdigen, herrlich pointierten Kauderwelsch, rasanten Wechseln zwischen Italienisch, Deutsch und ein klein wenig Französisch ausdrückte. Sie mimte die Unzufriedene, Ungeduldige, Resignierte, Verständnisarme, wenn beispielsweise der grosse Kasten (der zugleich Badewanne, Fischerboot und geheiminiserfüllter Kleiderschrank war) auf den Boden krachte und eben zum grossartig ausgespielten «Disastro», zum Beinahe-Zusammenbruch, geführt hätte.

Nina Dimitri war die weltoffene Dame mit riesig guten Manieren, der stämmigen und sympathisch wirbligen Silvana Gargiulo scheinbar hoch überlegen. Sie liebte schöne Kleider, die gar adrett an einem Kleiderständer hingen, sie sang im Stil der Edith Piaf, zeigte ihre Bindung zu Frankreich unverhohlen, beherrschte den Flamenco, mimte die einsame Fischersgattin, die ihren Mann bei Antritt der Fahrt aufs offene, wilde Meer zu verlieren drohte, war grad wieder im Kasten, als der zum zweiten Mal auf den Bühnenboden krachte. Aber ihre fundierten Deutschkenntnisse kehrten nicht so zurück, wie es sich die Bühnenpartnerin vorgestellt hatte.

Was da alles an Vergnüglichem, Unterhaltsamem, dann wieder hoch Tragischem, Farbigem, sehr Schicksalsträchtigem zusammenkam, war bezüglich Kompaktheit und bühnenwirksamen Wechseln bemerkenswert. So erfuhr man en passant, was Silvana Gargiulo punkto Aufnahme ins schweizerische Bürgerrecht schon alles beherrschte, weshalb sie ihre so kunstreich mitagierende Partnerin als «Spargel» raufbeschwor, weshalb die gelbe Jacke ihr liebstes Kleidungsstück war.

Aber der Sturz des Kastens machte so viel Geplantes zunichte. Nina Dimitros Deutschkenntnisse, ihr wortreiches, adrettes Spiel waren weg – unwiderruflich? Sie drückte sich nur noch in Französisch aus, hatte einfach alles vergessen. Zwanzig gemeinsame Bühnenjahre, so Silvana Gargiulo, seien einfach weggeputzt. Sie entwickelte so viel Kreatives, um wieder aufs Kerngeschehen zurückzuführen. Da waren die überdeutlichen Beweise auf einst so toll beherrschte Tanzschritte, das intensive Betrachten einer Familienfoto, die Nummer mit dem «Sushi-Kleid». Aber Nina Dimitri erwachte nicht, kehrte nicht auf jene Bretter zurück, die für so viele die Welt bedeuten. Sie amüsierte sich in der Rolle als Zuschauerin.

Was konnte da helfen? Reizend und höchst kunstvoll waren die Auftritte als Sängerin und Bläserin, Sequenzen aus Carmen und Don Giovanni, Singen, Sehnen, Schmelz und Schmalz flossen ein. Gargiulo fasste das so zusammen: «L`amour contre la morale catholique». Berichtet wurde bereits über die waghalsige Wegfahrt im Fischerboot – nicht aber über die Rückkehr zur trauernden, verzweifelten Gattin. Die schlug nämlich den Kopf fürchterlich an, als das Boot anlegte.

Und ab diesem Moment war alles so, dass weitergespielt und am Schluss ganz lange applaudiert werden konnte.