In Freiheit zu leben ist ein Privileg

Die traditionelle Rede im Schneisigen während der Näfelser Fahrt hielt in diesem Jahr Landammann Röbi Marti. Im Folgenden seine Worte:



Landammann Röbi Marti bei der Fahrtsrede. (Bilder: ehuber)
Landammann Röbi Marti bei der Fahrtsrede. (Bilder: ehuber)

Hochgeachteter Herr Landesstatthalter

Hochgeachtete Frau Nationalratspräsidentin

Hochvertraute, liebe Mitlandleute

Liebe Jugendliche und Kinder.

Das Land Glarus hat im vergangenen Jahr das Jubiläum zum Jahrestag der Verleihung der Reichsfreiheit in Zusammenarbeit mit dem Historischen Verein offiziell gefeiert und würdig in Erinnerung gerufen. Das 600-Jahr-Jubiläum ist Geschichte und so freut es mich, dass wir heute wiederum gemeinsam ein weiteres friedliches, historisches Fest – unsere Näfelser Fahrt – feiern können.

Nur schwer können wir uns vorstellen, wie auf diesem Gelände, das wir einträchtig miteinander abschreiten, vor 628 Jahren die Schlacht tobte – jene Schlacht bei Näfels, in der 600 todesmutige Bauern den Kampf gegen 6000 Mann Ritter und Fussvolk ausgetragen hatten.

Am 9. April 1388 griff ein habsburgisches Heer das Land Glarus an. Nachdem die Habsburger zuerst die Letzi bei Näfels durchstossen hatten, konnten diese dank Hartnäckigkeit, Mut und geschicktem Einsatz ihrer Kenntnisse und Mittel von ein paar hundert Glarnern, verstärkt durch einige Urner und Schwyzer, vernichtend geschlagen werden.

Dies wird jedoch historisch teilweise bestritten, haben sich doch vor den letztjährigen Erinnerungsanlässen von Morgarten vereinzelt Historiker zu Wort gemeldet: Aus Sicht dieser ist unsere ganze Geschichte nur ein patriotisches Trugbild. Vieles sei frei erfunden oder falsch verstanden. Das sei alles nicht so bedeutend. Es sei ganz anders gewesen.

Ich möchte nicht über den staatspolitischen Wert der Geschichte sprechen. Klar ist aber, dass uns Geschichte und Geschichten prägen und lehren. Wer einem Volk die Geschichte nimmt, der nimmt ihm die Identität. Wer ihm die Identität nimmt, der nimmt ihm die Werte. Ein Volk ohne Werte, das wird manipulierbar, denn es fehlt ihm der Kompass. Dazu gibt es Beispiele auch aus der jüngeren Geschichte, wo Völkern bewusst die Geschichte genommen wurde, um sie manipulieren zu können.

Unbestritten ist, dass im Jahre 1388 eine kleine Minderheit eine grosse Übermacht besiegte und so ist für uns Glarner die Schlacht bei Näfels oder eben die Näfelser Fahrt ein Symbol für Widerstandsgeist und Freiheitswille selbst in schwierigster Lage. Dieser wichtige Sieg der Glarner hat ganz verschiedenen Generationen immer wieder Selbstvertrauen und Zuversicht gegeben.

Natürlich hat sich das Gedenken über die Zeit verändert, aber die politische Bedeutung, die der Schlacht bei Näfels auf dem Weg zur definitiven, vollwertigen Integration des Landes Glarus in die Eidgenossenschaft zukam, war nie bestritten. Näfels steht bis heute für unser grosses gemeinsames Ziel: Selber zu bestimmen und frei zu bleiben – für diese Freiheit einzustehen und zu kämpfen.

Mit der Fahrtsfeier setzen wir aber auch ein wichtiges weiteres Zeichen: Unsere Geschichte und unsere Identität sind uns nicht gleichgültig. Diese Feier ist darum auch eine Kundgebung fürs Glarnerland und für unsere Unabhängigkeit.

Hochvertraute liebe Mitlandleute, geschätzte Gäste

Zur Gegenwart. Ein Blick über die Grenze zeigt auf, dass die Welt kleiner geworden ist. Sie ist zusammengewachsen – technologisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich.

Und ein zweiter Blick über die Grenze zeigt, dass wir in einer unfriedlichen Zeit leben: Die Welt ist aus den Fugen geraten – die Flut von furchtbaren Bildern in den täglichen Nachrichtensendungen zeigen, dass sich jede Zeit, auch unsere Zeit, unvermittelt vor harte Bewährungsproben gestellt sehen kann.

Terrorismus, blinde und brutale Gewalt, Flüchtlingskrisen mit Menschen, die vor Krieg oder Armut flüchten, kennen keine Grenzen. Nach den Terroranschlägen in Brüssel ist die Arbeit der Geheimdienste wieder prominent ins Zentrum der Diskussionen gerückt – auch in der Schweiz. Brüssel hat gezeigt, dass die Bedrohung durch Terrorismus real ist. Sicherheitspolitik ist auch in der heutigen Zeit eine zentrale Staatsaufgabe, um die Handlungsfähigkeit, Selbstbestimmung und Integrität des eigenen Landes und der Bevölkerung gegen direkte und indirekte Bedrohungen und Gefahren zu schützen.

Und so hat die Fahrtsfeier über das ehrende Gedenken und das Gesellschaftliche hinaus ihren guten Sinn. Die Fahrt soll uns Jahr für Jahr dazu veranlassen, unsere Situation zu überdenken: Ist es nicht ein Privileg, dass wir in Freiheit leben dürfen und dass wir unsere Freiheit nicht mit Waffengewalt erkämpfen und verteidigen müssen, sondern diese seit Jahrhunderten nach unseren Bedürfnissen gestalten können? Tun wir dies weiter – mit Bedacht, Toleranz und in gegenseitigem Vertrauen. Dafür sind wir dankbar.

Die Fahrt gibt uns aber jährlich auch die Gelegenheit, uns die Frage zu stellen, ob wir unsere Sache recht machen, jede und jeder nach seinen Möglichkeiten. Und die Antwort auf diese Frage wollen wir ohne Überheblichkeit geben. Lassen Sie uns schlicht und einfach antworten, aber dafür ernst gemeint: Wir wollen heute und in Zukunft für unseren Kanton unser Bestes und unser Möglichstes tun – nicht gegeneinander, sondern miteinander!

In diesem Sinne bitte ich für Land und Volk von Glarus um den Machtschutz Gottes.