Interpellation «Istanbul-Konvention»

Der Regierungsrat beantwortet die Anfang Dezember 2018 von der SP-Fraktion eingereichte Interpellation «Istanbul-Konvention» wie folgt:



(Archivbild: e.huber)
(Archivbild: e.huber)

Welche Stellen sind innerhalb der Verwaltung für das Thema «Gewalt gegen Frauen und Opfer von häuslicher Gewalt» zuständig? Wo sind diese Stellen angesiedelt, was sind deren Aufgaben und um wieviel Stellenprozente handelt es sich? – In der Verwaltung des Kantons Glarus ist die Opferberatungsstelle der Sozialen Dienste für gewaltbetroffene Personen zuständig. Sie berät und begleitet Personen, welche durch eine Straftat in ihrer physischen, psychischen oder sexuellen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden sind. Es werden auch Angehörige und Vertrauenspersonen von Gewaltbetroffenen beraten. Zuständig sind zwei Opferberaterinnen, die über eine entsprechende Ausbildung im Fachbereich Opferhilfe verfügen. Ihr Pensum in diesem Bereich beträgt derzeit insgesamt 40 Prozent. Sie werden von einem Sekretariat unterstützt.  

Die Hilfe nach dem Opferhilfegesetz besteht aus der sogenannten Soforthilfe, aus der längerfristigen Hilfe sowie aus Entschädigung und Genugtuung. Die Opferberatungsstelle ist im Bereich der Soforthilfe tätig. Sie beinhaltet die Erfassung der dringendsten Bedürfnisse, welche weder zeitlich noch sachlich warten können. Der Umfang der Leistungen besteht aus medizinischer, psychologischer, juristischer, sozialer und materieller Hilfe.

Die Aufgaben der Opferberatungsstelle umfassen insbesondere:

·         Informationsvermittlung zu allen rechtlichen Fragestellungen, die im Zusammenhang mit einer Straftat entstehen;

·         gemeinsame Lösungsfindung mit den Betroffenen und Erarbeitung von Strategien für das weitere Vorgehen;

·         Begleitung der Betroffenen im Opferhilfe- und Strafverfahren;

·         Einleitung und Begleitung von Schutzmassnahmen;

·         Unterstützung bei Gesuchen zu längerfristiger Hilfe, Entschädigung und Genugtuung sowie bei Gesuchen um unentgeltliche Rechtsvertretung;

·         Vermittlung von finanziellen Leistungen, Notunterkünften und externen Fachpersonen (Rechtsanwälte, Psychologen, Therapeuten usw.);

·         Abklärung von subsidiären Ansprüchen insbesondere bei Sozialversicherungen und Rechtsschutzversicherungen;

·         Geltendmachung von Regressansprüchen des Kantons Glarus gegenüber gewaltausübenden Personen; und

·         Triage an zuständige Fachpersonen und Institutionen.

Die Zuständigkeiten für längerfristige Hilfe sowie Entschädigung und Genugtuung liegen bei der kantonalen Opferhilfe bzw. beim Departement für Volkswirtschaft und Inneres. Der Übergang von Soforthilfe zu längerfristiger Hilfe ist fliessend und bezweckt die Stabilisierung der betroffenen Person. Entsprechende Schnittstellen sind zahlreich. Die Opferberatungsstelle pflegt deshalb mit der kantonalen Opferhilfe eine gute Zusammenarbeit.

Wieder neu aktiviert wurde die Beratung von gewaltausübenden Personen. Diese Aufgabe zur Prävention von häuslicher Gewalt ist bei der Bewährungshilfe des Kantons Glarus angesiedelt. Die Bewährungshilfe ist ebenfalls ein Fachbereich der Sozialen Dienste. Gewaltausübende Personen können sich für Beratungsgespräche melden. Auch können andere Fachstellen, wie zum Beispiel die Gerichte oder die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, Weisungen für die Inanspruchnahme von Gewaltberatung erlassen.

Für strafrechtliche Belange ist die Kantonspolizei im Rahmen der Grundversorgung zuständig. Das kantonale Bedrohungsmanagement befasst sich ebenfalls mit Fällen häuslicher Gewalt, nimmt Einschätzungen vor und leitet Massnahmen ein. Die fachliche Betreuung ist bei der Kriminalpolizei angesiedelt.

Die detaillierte Konvention beinhaltet eine Reihe von sehr konkreten Massnahmen wie beispielsweise die Bereitstellung von genügend Zufluchtsorten für von Gewalt betroffenen Frauen, Angebote für von Gewalt betroffenen Flüchtlingsfrauen, eine telefonische Hotline oder Beratungsstellen für Kinder, die Zeugen von häuslicher Gewalt geworden sind. Ist der Regierungsrat der Meinung, dass der Kanton Glarus diese Vorgaben genügend erfüllen kann? Wenn ja, inwiefern? – Die Fachkonferenzen in den Bereichen Justiz und Soziales haben den Kantonen zu folgenden Bereichen Empfehlungen abgegeben, die der Kanton Glarus wie folgt umgesetzt hat:

·         Finanzierung: Die Finanzierung der Beratung und der Opferhilfe ist via Budget sichergestellt.

·         Gesamtschweizerische Bildung: Die Empfehlungen bezüglich Ausbildung von Fachpersonal werden an den Fachhochschulen für soziale Arbeit umgesetzt. Für die Umsetzung an den Schulen nimmt sich die Schulsozialarbeit diesem Thema an. Diese ist dafür jedoch auf die Kooperation der Schulleitungen und der Lehrerteams angewiesen.

·         Arbeit mit gewaltausübenden Menschen: Das Fachpersonal ist im Kanton Glarus in der Opferberatung und bei der Bewährungshilfe vorhanden.

·         Erhöhung der Bekanntheit der Opferhilfe: Das Beratungsangebot des Kantons wurde Mitte 2018 der Staatsanwaltschaft und der KESB vorgestellt. Die Opferberatungsstelle hat anlässlich einer Fachtagung im Oktober 2018, Schnittstellen geklärt und sich als Partnerin für von Gewalt betroffenen Personen präsentiert. Auch medial wurde der Anlass gewürdigt und die beiden Opferberaterinnen haben ein «Gesicht bekommen». Auch wird auf der Website des Kantons neu auf dieses Angebot aufmerksam gemacht.

·         Genügend Schutzunterkünfte: Der Kanton Glarus verfügt wie viele andere kleine Kantone über keine speziellen Schutzunterkünfte für gewaltbetroffene Frauen und Kinder. Dies wäre in Anbetracht der Zahlen auch unverhältnismässig. Die Opferberatungsstelle des Kantons Glarus arbeitet aber mit den Frauenhäusern Chur und Zürich zusammen. Von Gewalt betroffene Frauen und Kinder können bei Bedarf unkompliziert dort platziert werden. Für Kinder und Jugendliche besteht die Möglichkeit, diese in SOS-Familien innerhalb des Kantons zu platzieren, sollte dies aufgrund besonderer Umstände (z. B. Schule) die geeignetere Lösung sein. Kinder und Jugendliche (insbesondere Mädchen) können auch im Mädchenhaus Zürich und im Schlupfhuus Zürich platziert werden. In den letzten fünf Jahren kam es zu folgenden Platzierungen:


Jahr                Anzahl Platzierungen

2014                          1
2015                          4
2016                          5
2017                          1
2018                          1

·         Krisenzentren für Opfer sexueller Gewalt und Dokumentation von Verletzungen und Spuren der Gewalt: Die Opferberaterinnen verweisen bei einem Kontakt mit involvierten Ärzten auf die Wichtigkeit der Dokumentation von Spuren der Gewalt bzw. Verletzungen hin. Es werden durch diese Fotos erstellt und Arztberichte verfasst. Im Kantonsspital Glarus sind spezielle «Spurensicherungssets» vorhanden.

·         Gewaltbetroffene Kinder: Der Schutz wird einerseits via Kindesschutzmassnahmen durch die KESB (z. B. mit Beistandschaften) sichergestellt. Daneben ist auch die Opferberatung Ansprechstelle für gewaltbetroffene Kinder und Jugendliche. Die Opferberatung triagiert diese Kinder zum Beispiel an den Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst Glarus (KJPD) oder an private Kinderpsychologinnen und -psychologen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Kanton Glarus in den priorisierten sieben Themenbereichen der «Istanbul-Konvention» gut unterwegs ist.

Sind zusätzliche Massnahmen geplant? Wenn ja, welche? Wenn nein, bitten wir um eine Begründung, warum darauf verzichtet wird. – Es wurde gezeigt, dass im Kanton Glarus bereits Angebote bestehen, welche den Anforderungen der «Istanbul-Konvention» in wesentlichen Teilen entsprechen. Allerdings sind die personellen Ressourcen für eine vollständige Umsetzung sehr knapp. Darüber hinaus wären folgende weiteren Massnahmen zu prüfen und nach Möglichkeit umzusetzen:

·         Sensibilisierung der Entscheidbehörden bei Besuchsrechtsregelungen und der KESB (Beistandschaften) im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt;

·         Erleichterung der Kontaktaufnahme durch Betroffene bei der Opferberatung;

·         Sensibilisierung der Stellen und Institutionen, welche mit asylsuchenden Frauen arbeiten;

·         Austausch mit der Gleichstellungskommission sowie Frauenorganisationen im Kanton Glarus.

Wurden jene Stellen, die mit Opfern von häuslicher Gewalt oder mit gewaltbetroffenen Frauen zu tun haben (Gleichstellungsbüros, Polizei, Justiz, Soziale Dienste usw.) zum Thema «Istanbul-Konvention» geschult und ausgebildet? Wenn nein, ist dies noch geplant? Werden Gewaltdelikte gegen Frauen statistisch erfasst und ausgewiesen? – Die Sozialen Dienste befassen sich seit Monaten mit der Istanbul-Konvention. So nahmen auch beide Opferberaterinnen an der Nationalen Konferenz «Umsetzung der Istanbul-Konvention in der Schweiz» im November 2018 teil.

Die Opferhilfefälle werden von der Opferberatungsstelle statistisch erfasst. 2017 hat die Opferberatung 59 weibliche Klientinnen beraten, Minderjährige mitgezählt. 45 davon waren von Gewalt betroffen, die meisten davon in Zusammenhang mit häuslicher Gewalt. Themen waren Tätlichkeit, Körperverletzung, Drohung, Vergewaltigung und Nötigung.

Wie viele aufenthaltsrechtliche Härtefälle sind in Zusammenhang mit häuslicher Gewalt eingegangen? Wie viele davon wurden abgelehnt, wie viele als Härtefälle anerkannt? Wir bitten um eine Zusammenstellung der Anzahl Fälle in den letzten fünf Jahren. – In der betreffenden Periode wurden Härtefallgesuche zufolge häuslicher Gewalt behandelt:

·         2014: 2 eingereichte Gesuche, 1 Gutheissung, 1 Abweisung (alles rechtskräftig)

·         2015: 2 eingereichte Gesuche, 2 Abweisungen (alles rechtskräftig)

·         2016. 5 eingereichte Gesuche, 3 Gutheissungen, 2 Abweisungen (alles rechtskräftig)

·         2017: 4 eingereichte Gesuche, 1 Gutheissung, 3 Abweisungen (alles rechtskräftig)

·         2018: 1 eingereichtes Gesuch, Verwaltungsbeschwerde hängig

Laut Angaben von Transgender Network Switzerland sind Transmenschen häufig von Gewalt und Übergriffen betroffen. Sind diese Übergriffe statistisch ausgewiesen? Gibt es Angebote für betroffene Transmenschen? Sind die zuständigen Stellen auf diese Problematik sensibilisiert? – Es ist kein Vorfall eines Übergriffs auf einen Transmenschen statistisch erfasst. Im Kanton Glarus gibt es keine spezifischen Angebote für Transmenschen. Jedoch ist die Opferberatungsstelle für diese Thematik sensibilisiert. Sie kann bei Bedarf an die Fachstellen in anderen Kantonen verweisen. Dies sind die Fachstelle im Checkpoint in Zürich und die Fachstelle für Aids- und Sexualfragen in St. Gallen. Sie sind die einzigen spezialisierten Fachstellen in der Deutschschweiz. Sie sind für alle Fragen und Informationen zum Thema zuständig.