Interpellation zur reduzierten Sozialhilfe: Kein Verstoss gegen Bundesrecht 12. Januar 2021

Der Regierungsrat beantwortet eine Interpellation der SP-Fraktion. Er weist darauf hin, dass die Sozialhilfe-Praxis des Kantons Glarus bundesrechtskonform sei. Für eine Praxisänderung sieht er demzufolge keinen Bedarf.



Der Kanton Glarus weist bei den vorläufig Aufgenommenen und Flüchtlingen eine der schweizweit höchsten Erwerbsquoten auf • (Foto: Koordinationsstelle Integration)
Der Kanton Glarus weist bei den vorläufig Aufgenommenen und Flüchtlingen eine der schweizweit höchsten Erwerbsquoten auf • (Foto: Koordinationsstelle Integration)

Die SP-Fraktion des Kantons Glarus reichte im Oktober 2020 eine Interpellation zur reduzierten Sozialhilfe für vorläufig aufgenommene Personen ein. Sie erläutert darin, dass sich der Kanton Aargau per 1. Oktober 2020 von einer Praxis, wie sie der Kanton Glarus kenne, verabschiedet habe und neu rund 73,5 Prozent des Beitrages gemäss Schweizer Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) an reduzierter Sozialhilfe auszahle. Dies betreffe vor allem Personen, welche vorläufig aufgenommen sind und nach entsprechender Gesetzgebung Anspruch auf reduzierte Sozialhilfe haben.

Entgegen den Aussagen der Interpellanten geht es aber im Kanton Aargau um anerkannte und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge und nicht um vorläufig aufgenommene Personen. Vorläufig aufgenommene und anerkannte Flüchtlinge haben nach mehr als sechs Monaten Aufenthalt im Kanton Glarus schon heute Anspruch auf reguläre Sozialhilfe. Gemäss Sozialhilfegesetz des Kantons Glarus sind für die Bemessung der regulären Sozialhilfe in der Regel die Richtlinien der SKOS massgebend. Die im Kanton Aargau geänderte Praxis wird somit im Kanton Glarus seit jeher gelebt. 

Asylstatus – das ist der Unterschied

Das Staatssekretariat für Migration SEM Personen, die einen Asylantrag in der Schweiz stellen und gibt ihnen einen Status (Quelle: SEM):

Anerkannter Flüchtling: 
Als Flüchtling gilt eine Person, welche in ihrem Heimat- oder Herkunftsstaat wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauung ernsthaften Nachteilen ausgesetzt ist oder begründete Furcht hat, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Diese Definition basiert auf dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention). Als ernsthafte Nachteile gelten insbesondere die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Frauenspezifischen Fluchtgründen wird Rechnung getragen. Die Genfer Flüchtlingskonvention legt zudem fest, dass niemand in einen Staat abgeschoben werden darf, in dem die Person den oben genannten Gefährdungen ausgesetzt würde.

Vorläufig aufgenommener Flüchtling 
Ein vorläufig aufgenommener Flüchtling ist eine Person, welche zwar die Flüchtlingseigenschaft erfüllt, welcher jedoch aufgrund von Asylausschlussgründen kein Asyl gewährt wird. Dies ist dann der Fall, wenn eine Person erst durch die Ausreise aus dem Heimat- oder Herkunftsstaat oder wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise zum Flüchtling wird. Flüchtlinge, bei denen Asylausschlussgründe vorliegen, werden vorläufig aufgenommen.

Vorläufig Aufgenommene
Vorläufig aufgenommen werden Personen, deren Asylgesuch abgelehnt worden ist, die Wegweisung aber aus folgenden Gründen nicht durchgeführt werden kann: Der Vollzug der Wegweisung ist nicht möglich (wenn beispielsweise keine Reisedokumente beschafft werden können), nicht zulässig (wenn der Vollzug gegen völkerrechtliche Bestimmungen verstösst) oder nicht zumutbar (beispielsweise wegen Krieg oder einer Situation allgemeiner Gewalt im Herkunftsstaat).

Frage 1: Sind die Richtlinien über die reduzierte Sozialhilfe des Kantons Glarus mit der Grundpauschale von 11 Franken pro Tag bundesrechtswidrig?

Antwort Regierungsrat: Die festgelegten Ansätze für Asylsuchende, schutzbedürftige und vorläufig aufgenommene Personen mit weniger als sieben Jahren Aufenthalt in der Schweiz sind bundesrechtskonform. Die Kantone regeln die Festsetzung und die Ausrichtung der Sozialhilfe für diese Personengruppe, wobei die Unterstützung in Sachleistungen erfolgen kann. Der Unterstützungsansatz muss unter demjenigen für die einheimische Bevölkerung liegen. Es besteht ein bundesrechtlicher Auftrag, vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer beruflich und sozial zu integrieren. Damit dies möglich ist, muss die Asylsozialhilfe über den Nothilfe-Ansätzen liegen. Beides wird im Kanton Glarus umgesetzt. Es ist ausserdem auf die hohe Erwerbsquote von 62 Prozent bei den vorläufig aufgenommenen Personen hinzuweisen, dies dank systematischer Integrationsförderung.

Die Grundpauschale von 11 Franken pro Person und Tag zeigt im Übrigen nicht das Gesamtbild. Dazu kommen gemäss Richtlinien des Departements Volkswirtschaft und Inneres über die reduzierte Sozialhilfe ein Taschengeld von 3 Franken sowie ein Kleidergeld von 1 Franken pro Tag, die Übernahme der Unterkunftskosten, der allfälligen Erwerbsunkosten und der medizinischen Grundversorgung. Zu erwähnen sind ausserdem neben der Beratung und Betreuung die Sachleistungen, welche vorläufig aufgenommene Personen erhalten, während sie in den Asylunterkünften leben. Beispiele sind Reinigungsmittel, Gebührensäcke und Entsorgung, nicht verschreibungspflichtige Medikamente aus der Apotheke, Zahnarzt und Optiker, Dolmetscher, Bettzeug für Allergiker, Tickets zur Rechtsberatung und die unentgeltliche Integrationsförderung mit Lebensweltworkshops, Deutschkursen, Integrationsvorlehre und Nachhilfeunterricht. Für die Lernenden aus dem Asylbereich gilt die reguläre Sozialhilfe. Mit dieser im Vergleich zu anderen Kantonen grosszügigen Lösung, will der Kanton Glarus die nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt fördern.

Frage 2: Wie rechtfertigt der Kanton Glarus eine Reduktion um 60 Prozent gegenüber einer ordentlichen Sozialhilfe?

Antwort Regierungsrat: Der Status der vorläufigen Aufnahme nach negativem Asyl- und Wegweisungsentscheid rechtfertigt eine reduzierte Sozialhilfe. Das Ausmass der Reduktion ist eine politisch zu beantwortende Frage. Immerhin ist an dieser Stelle zu wiederholen, dass die Grundpauschale von 11 Franken nicht das ganze Gesamtbild zeigt. Die reduzierte Sozialhilfe des Kantons Glarus ist gemäss Erhebung der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren vergleichbar mit den Ansätzen anderer Kantone und entspricht in einer Gesamtbeurteilung insbesondere den Unterstützungsleistungen der Ostschweizer Kantone. 

Frage 3: Besteht im Kanton Glarus aufgrund von Änderungen in anderen Kantonen Handlungsbedarf in Bezug auf die Anpassung der Sozialhilfe?

Antwort Regierungsrat: Aufgrund von Änderungen in anderen Kantonen besteht im Kanton Glarus kein Bedarf für eine Anpassung der Sozialhilfe. Bei der in der Interpellation erwähnten Praxisänderung im Kanton Aargau geht es nicht um vorläufig aufgenommene Personen, sondern um anerkannte und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge. Da setzt der Kanton Aargau die Inländergleichbehandlung gemäss Bundesrecht und Flüchtlingskonvention um, wie sie im Kanton Glarus seit jeher sichergestellt ist. Auch die übrigen Kantone planen keine Änderungen bei der reduzierten Sozialhilfe. Im Asyl- und Flüchtlingswesen zahlen sich Kontinuität bei der Sozialhilfe und der Fokus auf die Integrationsförderung aus.