Jubiläumsausstellung «Uns reichts!» lockt viele Museumsbesucher an

Zum Auftakt des Jubiläumsjahrs «5 Jahre Museum» und «15 Jahre Anna-Göldi-Stiftung» läuft seit dem 2. April und noch bis zum 30. Oktober 2022 im Anna-Göldi-Museum in Ennenda die Ausstellung «Uns reichts!». Die Sonderausstellung entstand aus einer Zusammenarbeit mit der Menschenrechtsorganisation «Amnesty International».



BLICK IN DIE AUSSTELLUNG _UNS REICHTS!
BLICK IN DIE AUSSTELLUNG _UNS REICHTS!

Sie zeigt in Leuchtkästen inszenierte Fotografien von Anne Gabriel-Jürgens. Diese wurden von den Grafikdesignerinnen Brigitte Lampert und Katharina Hofer sowie der Journalistin Alea Rentmeister mit Texten verbunden. In diesen kommen sieben von sexualisierter Gewalt betroffene Frauen zu Wort. Ihre Erlebnisse verweisen auf die mit dem Thema verbundenen gesellschaftlichen Mythen, Tabus und Stigmata, die oftmals genauso belastend sind wie die Tat selbst. Dass die Ausstellung den Bogen schlägt vom tragischen Schicksal der 1782 durch das Schwert hingerichteten Anna Göldi bis in die Gegenwart, ist wichtiger Teil des Konzeptes. Obwohl es keinerlei Beweise dafür gibt, dass Anna Göldi ein Opfer sexualisierter Gewalt war, ist die Zahl der im Zusammenhang mit den Hexenverfolgungen direkt oder indirekt von sexualisierter Gewalt Betroffenen hoch.

Die Ausstellung «Uns reichts!» ist zweifellos eine ganz spezielle. Sie berührt und macht betroffen, regt aber auch zum Nachdenken an. Sexualisierte Gewalt ist ein Thema, das uns alle angeht und gerade deshalb die unterschiedlichsten Emotionen und Erinnerungen auslösen kann. Im Wissen darum wird von den Kuratorinnen gleich zu Beginn an alle Besuchenden der Ausstellung eine Trigger-Warnung abgegeben. 

Seit acht Wochen läuft nun die äusserst erfolgreiche Ausstellung «Uns reichts!». Das Interesse ist gross und die vielen Feedbacks zeigen, dass sich die Besucher auch nach der Ausstellung intensiv sich mit dem Thema befassen. In diesem Zusammenhang habe ich mich mit der neuen Museumsleiterin Dr. Ursula Helg kürzlich unterhalten und ihr einige Fragen zur Ausstellung gestellt.

Interview mit Museumsleiterin Dr. Ursula Helg

Ursula Helg, Sie sind seit Januar dieses Jahres in Ihrem Amt als Leiterin des Anna-Göldi-Museums. Wie sind Sie gestartet und was ist Ihr Fazit nach fünf Monaten Museumsleitung?

Danke. Ich bin gut in ein ganz spezielles Jahr gestartet: Die Stiftung feiert 2022 ihr 15-jähriges Jubiläum und das Museum sein 5-jähriges Bestehen. Nach zwei wegen Corona eher schwierigen Jahren, kommen die Besucherinnen und Besucher wieder zahlreich in den Hänggiturm nach Ennenda. Dieses anhaltende schweizweite Interesse am Anna-Göldi-Museum ist ebenso überwältigend wie motivierend.

Seit dem 2. April dieses Jahres läuft im Anna-Göldi-Museum in Ennenda die gemeinsam mit Amnesty International erarbeitete Ausstellung «Uns reichts!». In dieser Ausstellung brechen sieben von sexualisierter Gewalt betroffene Frauen mit Mythen, Tabus und Stigmata. Was hat Sie dazu bewogen, dieses äusserst brisante Thema in Form einer Ausstellung ins Anna-Göldi-Museum zu bringen?

Das Anna-Göldi-Museum ist nicht nur Erinnerungsort, sondern auch Menschenrechtsmuseum. Der Blick in die Vergangenheit wird gezielt verknüpft mit Gegenwartsthemen. Sexualisierte Gewalt gegen Frauen zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte und ist eng mit dem Phänomen des Hexenwahns verbunden. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion zur Revision des Sexualstrafrechts in der Schweiz zeigt der Blick in die Vergangenheit erst deutlich, wie veraltet die Strukturen sind, auf denen dieses beruht.

In dieser Ausstellung werden Gewalthandlungen und die Folgen für die Betroffenen anhand von Fotos und Texten geschildert. Gemäss Trigger-Warnung kann sie bei den Ausstellungsbesuchern «schwierige Gefühle, Erinnerungen oder Flashbacks» auslösen. War das nicht ein bisschen zu mutig, denn schliesslich wird das Museum auch von Schulklassen besucht? 

Die Jubiläumsausstellung ist nicht belastender als die bisherigen Sonderausstellungen, die im Anna-Göldi-Museum gezeigt wurden. Ein Unterschied liegt vielleicht darin, dass ein Thema zur Sprache kommt, dass ausnahmslos alle sexuell aktiven Menschen direkt angeht, zugleich aber ein gesellschaftliches Tabuthema ist. Die von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International erhobene Forderung nach einem konsensbasierten Sexualstrafrecht rührt somit auch an die vielleicht nie zuvor gestellte Frage nach dem eigenen Verhalten. Aufklären, Sensibilisieren und Enttabuisieren sind wichtige Massnahmen der Prävention, wenn es um sexualisierte Gewalt geht. Gerade Kinder sollten laut der Expertin für sexualisierte Gewalt, Agota Lavoyer, frühzeitig mit dem Thema der sexualisierten Gewalt konfrontiert werden. Selbstverständlich muss dies auf altersgerechte Art und Weise geschehen. Das gilt auch für Oberstufen, deren Schülerinnen und Schüler ja meist über die verschiedensten Medien bereits mit der Problematik konfrontiert werden. Die Fotografin Anna Gabriel-Jürgens ging sehr bewusst der Frage nach, wie sich das sensible Thema in Text und Bild überhaupt darstellen lässt. Damit schliesst sie an ein vieldiskutiertes Thema an, zu dem sich Denkerinnen wie Susan Sontag oder Carolin Emcke wichtige Gedanken gemacht haben. Sie können ein toller Einstieg sein für eine Diskussion mit Jugendlichen.

Sie spannen den Bogen auch zum Fall der Anna Göldi. Warum dieser Vergleich?

Im Fall von Anna Göldi gibt es bekanntlich keine Beweise dafür, dass sie ein Opfer sexualisierter Gewalt war. Gleichwohl spielt die sexualisierte Gewalt im Zusammenhang mit den Hexenverfolgungen direkt wie indirekt eine zentrale Rolle. So gab es zum Beispiel die Vorstellung der weiblichen Buhlschaft mit dem Teufel. Konkret bedeutete dies, dass eine Frau eine intime (sexuelle) Beziehung zum Teufel pflegte. Meist gab sie dies unter Folter auch zu und konnte in der Folge als Hexe hingerichtet werden. Schon damals spielte übrigens die Gegenwehr des Opfers eine wichtige Rolle. Dieses hatte seine Ehre zu verteidigen. Fehlte die Gegenwehr oder wurde eine Frau anlässlich der Vergewaltigung schwanger, galt der sexuelle Übergriff nach damaligem Verständnis nicht als Straftat. Ein solcher Blick in die Vergangenheit macht die veralteten Strukturen, auf denen das Schweizer Sexualstrafrecht beruht, erst richtig sichtbar und zeigt wie dringend nötig ein neues, konsensbasiertes Gesetz ist.

Nach rund zwei Monaten seit der Eröffnung stellt sich die Frage: Wie haben die Besucher auf die Ausstellung reagiert?! Hatten Sie entsprechende Feedbacks?

Die Ausstellung ist mit ihren von den Balken des Hänggiturmes herunterhängenden Leuchtkästen sehr ansprechend gestaltet. Wir bekamen bisher nur positive Feedbacks. Auch dass wir ein solches Thema aufgreifen, wurde gelobt. Gerade unter den jungen Glarnerinnen und Glarnern haben wir viele Fans. Sie wissen das gesellschaftliche Engagement des Hauses besonders zu schätzen. Entsprechend gut besucht war dann auch unsere gemeinsam mit der Frauenzentrale Glarus durchgeführte Podiumsdiskussion vom 18. Mai mit der Berner Strafrechtlerin Dr. Nora Scheidegger, der Zuger Jungpolitikerin Virginia Köpfli und Frau Jorinde Wiese als Vertreterin der Amnesty Betroffenengruppe.

Was waren das für Leute, die diese Ausstellung besucht haben?

Wir haben ein gemischtes Publikum. Dieses schaut sich in der Regel sowohl die Dauer- als auch die Sonderausstellung an.

Wir danken der Museumsdirektorin Dr. Ursula Helg für die Beantwortung meiner Fragen. Weitere Informationen über die aktuelle Ausstellung und Veranstaltungen im Anna-Göldi-Museum erhält man auf  www.annagoeldimuseum.ch

HINWEIS

Die Ausstellung «Uns reichts!» wird von einem reichhaltigen Veranstaltungsprogramm begleitet:

Sonntag, 12. Juni, 11.00 Uhr:
Lauter Frauen. Prof. Dr. Caroline Arni stellt ihr neues Buch vor.

Mittwoch, 28. September, 19.00 Uhr:
Glaris verzellt: Chancen und Grenzen von Opferschutz
Expertinnen und Experten der Opferberatung Glarus geben Einblick in die Praxis.

Sonntag, 30. Oktober, 14.00 Uhr:
Finissage der Ausstellung «Uns reichts!» mit einem Auftritt der Zürcher Aktivistinnen-Gruppe von Amnesty International.