Unterlagen zum Projekt ist unter anderem zu entnehmen, dass die Dauer verschiedener Dienstleistungen aufgeschrieben wird. Damit erhält man ein Zeitguthaben, das dem Helfenden im Alter so zurückgegeben wird, dass auf Hilfeleistungen gezählt werden kann. Diese Idee gilt schweizweit als vierte Säule der geldfreien Zeitvorsorge. Im Kanton soll eine Genossenschaft aufgebaut werden, damit es im Oktober zur Gründung kommt. Zum Projekt KISS äusserten sich Prof. em. Dr. Theo Wehner, Experte für Arbeits- und Organisationspsychologie der ETH Zürich und Evaluator des Projekts und Karin Pasamontes, Geschäftsführerin Kiss Genossenschaft Cham. Zu den Hauptverantwortlichen des Projekts in unserem Kanton gehört Andrea Fäs, Vizepräsidentin des Gemeinderates Glarus.
Verblüffend einfaches Modell
Das Modell ist von seinen Zielsetzungen her verblüffend einfach, bezüglich Umsetzung eigentlich problemlos. Zu erbringende, dem Zeitguthaben anrechenbare Leistungen sind beispielsweise Reparaturen, Flicken, Wäsche erledigen, Botengänge, gemeinsamer Mittagstisch, leichtere Gartenarbeiten, Fahr- und Begleitfunktionen (Arzt, Behörde, Umzug), Unterstützen von Angehörigen, Bereitschaft zum Verweilen, Ausführen einfacher Büroarbeiten, Lesen, Plaudern und Hinhören, Pflege von Haustieren, kleinere Ausflüge.
Nun kann das Zeitguthaben nicht beliebig aufgestockt werden. Nach den sogenannten Benevol-Standards macht das pro Woche maximal sechs Einsatzstunden aus. Damit die Dienstleistungen auch qualitativ und inhaltlich stimmen, setzen sich Fachleute nachhaltig ein. Die Zeitgutschriften können bei Krankheit, Unfall oder persönlicher Unpässlichkeit im Alter eingezogen oder verschenkt werden. Die Abwicklung erfolgt über KISS-konfigurierte Software. In die jeweilige Genossenschaft aufgenommen werden alle, die hundert Franken einzahlen. Bedürfnisse und Erwartungen werden in einem persönlichen Gespräch geklärt. Anschliessend werden Leute mit ähnlichen Erwartungen gegenseitig bekannt gemacht. Anschliessend beginnt die nachbarschaftliche Hilfe zu spielen. KISS ist das Kürzel für « Keep it small and simple.» Eine verständlichere Umschreibung in Deutsch wäre zielführender und einladender. Zusammengefasst lässt sich KISS wie folgt gliedern: Zusammenhalt, Gemeinschaft, kleiner Rahmen, einfache Handhabung. Genossenschaften sind an verschiedenen Orten im Aufbau (Glarus, Leimental, Lichtensteig, Oberfreiamt, Stadt Zug, Uster, Wallisellen und andernorts).
Gut besuchter Anlass
Im Saal des – immer noch verwaisten – Gesellschaftshauses Ennenda begrüsste Andrea Fäs eine erfreulich grosse Zahl Interessierter. Sie dankte den Verantwortlichen von Axa Winterthur, Generalagentur Glarus mit Urs Tscholl, für die willkommene und grosszügige Unterstützung durch die Axa Stiftung Generationen – Dialog. Andrea Fäs führte aus, wie sie auf das Projekt KISS aufmerksam geworden sei und sich nun mit Gleichgesinnten ans Umsetzen im Glarnerland gemacht habe. Ein wichtiger Tag ist der kommende 26. Oktober. Dann wird die Genossenschaft im Gesellschaftshaus Ennenda gegründet. Bis dahin werden Interessierte zum Beitritt ermuntert. Nachbarschaftshilfe und Zeitgutschrift sollen so angeboten sein, dass man von einer vierten Vorsorgesäule reden, aber bestehende Angebote in keiner Weise konkurrenzieren will. Der gesamte Spitex-Bereich mit ambulanter und stationärer Pflege bleibt so bestehen wie es der Fall ist. Gestiegene Mobilität, kleinere Familien und hohe Alterserwartungen sprechen für die gesamtschweizerische Einführung von KISS.
Interessantes Referat
Das Referat von Prof. em. Dr. Theo Wehner ergab die Vertiefung verschiedener Erkenntnisse. Bezahlung ist nicht das Hauptmotiv. Geben und Nehmen halten sich zeitlich die Waage. Wehner deutete die Begriff Freizeitvorsorge und Freiwilligenarbeit aus. Er redete über unbezahlte, organisierte, soziale und regelmässige Arbeit und wandte sich schon mal an die «KISSianer». Er zeigte auf, wie erfüllend Freiwilligenarbeit sein kann, was partiell zusammengeführt werden muss. Die Organisationsbedingungen müssen stimmen. Anerkennung schaffe Verbundenheit. Er bezog sich auf viele Fragen, die an ein ausgewähltes Zielsegment gestellt wurden. Der Auswertung der Antworten ergab nichts, was revolutionär neu wäre. Lebenszufriedenheit, Wert der Zeit, frei gewählte gemeinnützige Tätigkeiten, Spannungsfeld Arbeit – Privatleben, kritisches Beobachten durch Verantwortliche von Spitex oder Pro Senectute, KISS als neues «Sparmodell» und einzig auf den dritten Lebensabschnitt ausgerichtet, feststellbare Gesamtzufriedenheit und Vertrauen unter Angesprochenen und Genossenschaftsmitgliedern kamen zur Sprache.
Ein kurzer Film der Stiftung Generationendialog trägt den Titel «Schenke Zeit – Werde reich». Verdeutlicht wurde die Arbeit in einer KISS-Genossenschaft.
Karin Pasamontes, Geschäftsführerin der Genossenschaft KISS Cham, erzählte über praktische Erfahrungen. Cham besteht seit einem Jahr und zählt 120 Genossenschafter. Fachfrauen, deren Arbeit bezahlt ist, führen Interessenten zusammen, klären Bedürfnisse und Erwartungen ab, händigen schriftlich Fixiertes aus, sind bei der Bildung der Zusammenarbeitenden, man redet von Tandems, anfänglich dabei. Derartige Gruppen können für verschieden lange Zeiträume bestehen bleiben. Angeboten sind in Cham eine Cafeteria und eine fixe Büro-Öffnungszeit. Eine Genossenschaft sollte nicht zu gross sein.
Genossenschafter werden einmal pro Jahr zur Generalversammlung eingeladen. Das Genossenschaftskapital reicht für die Finanzierung des Betriebs nicht aus, deshalb sind Sponsoren stets willkommen. Es gibt durchaus Mitglieder, die nur ideell mittun.
Gross war die Zahl der Fragen. Es wurde aufgezeigt, dass sich die Initiativgruppe nachhaltig fürs Gelingen einsetzt, dass mit der Spitex, der Pro Senectute und andern Institutionen Gespräche geführt worden sind, dass bei älteren Leuten viele und gute Ressourcen vorhanden sind, das Projekt generationenübergreifend funktionieren muss oder dass unter www.kiss-zeit.ch und www.zeit-macht-reich.ch Informationen abgerufen werden können. Und wer spezifisch glarnerische Fragen hat, wendet sich an [email protected]. Andrea Fäs (079 258 24 38) beantwortet gerne eventuelle Fragen.
Beim sorgsam zubereiteten Apéro wurde verweilt und rege diskutiert.
KISS – Nachbarschaftshilfe für Jung und Alt
Über nachbarschaftliches Helfen, Zeitgutschriften für Jung und Alt, Generationenübergreifendes, Formen möglicher Dienstleistungen, Zeiterfassung, möglichst langes Verbleiben in den eigenen vier Wänden, gelebte Solidarität und anderes wurde kürzlich im Gesellschaftshaus Ennenda informiert. Die Idee ist verblüffend einfach, begrüssenswert, für unseren Kanton noch absolut neu.
Begrüssung im Saal des Gesellschaftshauses Ennenda. (Bilder: p.meier)
Es referierte Prof. em. Dr. Theo Wehner.
Umfangreich war das Bildmaterial.
Andrea Fäs und Prof. em. Dr. Theo Wehner.
Karin Pasamontes sprach zur KISS-Genossenschaft in Cham.
Andrea Fäs (links) und Karin Pasamontes.
Dank und Fragen von Christian Marti