König für einen Tag

Am sechsten Januar wird das Essen genauer inspiziert als an anderen Tagen und ausnahmsweise ist man nicht sauer, wenn man etwas im Essen findet, was dort nichts zu suchen hat.


Am sechsten Januar wird das Essen genauer inspiziert als an anderen Tagen und ausnahmsweise ist man nicht sauer, wenn man etwas im Essen findet, was dort nichts zu suchen hat. Denn, dass heisst, man ist für einen Tag König und kann tun und lassen, was man will! Vorausgesetzt, man ist am kleinen König im Brot nicht erstickt, oder muss ganz schnell zum Zahnarzt, weil man zu beherzt draufgebissen hat. Ob jetzt mit einer dicken Backe oder nicht - König zu sein, ist wohl ein geheimer Wunsch in uns allen. Machtgierig mit der papierenen Krone auf dem Haupt durch die Wohnung oder das Büro stolzieren und die Mitmenschen zu einem Bückling zu zwingen. Ein überaus schöner Gedanke. Der süsse Traum zerplatzt leider all zu schnell. Schallendes Gelächter begleitet den Flug der Krone vom Haupt auf den Boden. Einer der Untertanen hat den Staatsstreich verübt und man ist schnell wieder in den Niederungen normaler, menschlicher Existenzen angekommen. Oder wenn man sich von der nunmehr zerknitterten Krone vom Bett erhebt und merkt, dass es schon der siebte Januar ist, sieht man ein, dass die Regierungszeit leider schon wieder abgelaufen ist. Der Dreikönigstag ist ein gefährlicher Tag, den er spielt mit unseren geheimsten Wünschen und offenbart auf perfide Art und Weise unsere Nichtigkeit. Für den König am heutigen Frühstückstisch wünsche ich eine harmonische und friedliche Regentschaft. Er soll sich stets vor Augen halten, was schon den römischen Kaisern ins Ohr geflüstert wurde: „Bedenke, dass auch du nur ein Mensch bist!“