Krimiliebhaber, Zürcher Milieu, Indien – Sunil Mann las

Es war schon eine teilweise leicht schräge Sache, die in der Buchhandlung Wortreich in Glarus angeboten war. So stand in der Vorankündigung etwas über scharf gewürzte Krimikost samt weiteren Erläuterungen zum neuesten, sechsten Fall des Privatdetektivs Vijay Kumar. Hinter den Geschehnissen steht der deutschsprachige Autor Sunil Mann, 1972 im Bernbiet geboren, ehemaliger Gymnasiast aus Interlaken. Die Neugierde war geweckt – leider bei nicht allzu vielen Leuten.



Krimiliebhaber, Zürcher Milieu, Indien – Sunil Mann las

Die Zahl der Besucher einer Buchvernissage hat zuweilen sekundäre Bedeutung. Wichtig sind Interesse, Anteilnahme, Herzlichkeit und Offenheit eines langen Gedankenaustauschs, Intensität und Inhalt von Fragen an den Autor, Gastfreundschaft des Veranstalters. In der Buchhandlung an der Abläschstrasse in unserem kleinen, gemütlichen Hauptort stimmte dann vieles zusammen, was fürs gute Gelingen erforderlich war.

Sunil Manns Charme, seine Unbekümmertheit, das ehrliche Argumentieren, die spürbare Lust am rasanten Entwickeln von Sequenzen, die sich zum Ganzen fügen, die zuweilen beinahe grenzenlose Fabulierfreude, der Reichtum an fast unglaublich aufklingenden und mit sprachlicher Vehemenz umgesetzten Ideen entführen in «Schattenschnitt», dem sechsten Krimi, ins zürcherische Milieu, ins indische Mumbai, in Hierarchien, die uns fremd sind. Sie gestatten Einblicke in den fragwürdigen Umgang mit noch nicht zugelassenen Medikamenten und klinischen Versuchen in Schwellenländern, Rache und Abrechnung zwischen Auftragskillern, irrlichternden Personen im Milieu, hin und wieder wahnwitzigem Umgang zwischen Privatdetektiv und der offiziellen Polizei. Es wird aufgezeigt, wie sich eine Dokumentarfilmerin mit Leidenschaft und Hartnäckigkeit um Aufklärung bemüht, wenn es um den Einsatz der Medikamente bei HIV-positiven Personen geht, wie diese Leute leben, leiden und ausgenützt werden. Irgendwo wird vom „Land der Versuchskaninchen“ geschrieben. Es ist eine verrückte Handlung, mit zahllosen Irrungen und Wirrungen, geprägt von enormer Leidenschaft, Heftigkeit, unverblümter Direktheit, Uebertriebenem, Spannendem, auch sehr Alltäglichem und Banalem. Man wird auf eine Reise mitgenommen, die manchmal fast atemlos macht, zum ebenso temporeichen wie sehr kurvigen Mitverfolgen Anlass gibt. Und Sunil Mann ist da mit seiner Titelperson mitten drin, souverän charakterisierend, in schattige, auch schmutzige Momente eintauschend, ein Wechselbad von Besäufnis, Sexabenteuern, indischem Kastendenken, Macht der Eltern, Bewahrung von Traditionen in einer uns fremden Kulturdichte, Macht des Geldes, Ausnützen von Unterprivilegierten weckend.

Diese Atemlosigkeit samt inhaltlich vorgegebenem Temporeichtum provozieren eine verständliche Hektik, geben kaum Zeit zum Innehalten. Sunil Mann hat gründlich recherchiert, hat sich mit seinen Haupt- und Nebenpersonen und der gesamten Problematik von medizinisch und ethisch fragwürdigen Versuchen verdient sorgsam auseinandergesetzt.

Seine Herkunft gestattet ihm, die indische Kultur in einer grossen Bandbreite auszuleuchten, mit Leidenschaft, feinem, auch grobem Humor und der notwendigen Intensität zu berichten. Es ist eine wahrlich geballte Ladung an Fakten und Geschehnissen, die es zu bewältigen gilt.

Auch wenn Sunil Mann angibt, jedes Jahr einen weiterführenden Krimi zu schreiben – so werde es oft verlangt – ist er kein Vielschreiber, der sich mit stereotypem Wiederholen zufrieden gibt, der auf erreichten Erfolgen ausruht. Er ist auf der Suche nach Neuem, bereit auf Erwartungen von Buchverlagen einzugehen. Er ist auf so gute, sympathische Art wissbegierig, einnehmend neugierig. Seine Laufbahn weist eine Hinwendung zu Verschiedenartigem auf. Dias Studium in Psychologie und Germanistik brach er ab. An der zürcherischen Hotelfachschule Belvoirpark machte er eine Gastronomie-Ausbildung. Nun arbeitet er in Teilzeit als Flugbegleiter bei der Swiss, hielt sich zwischenzeitlich über Monate hinweg in Israel, Ägypten, Japan, Indien, Paris, Berlin, Madrid und andernorts auf. Diese «Multikulti»-Phasen beflügeln die ungebrochene Lust am Weiterschreiben. Mann wurde verschiedentlich ausgezeichnet, unter anderem mit dem Zürcher Krimipreis.

Christa Pellicciotta, Wortreich-Geschäftsinhaberin, hatte ganz viele Fragen, zu diesem Mann mit Namen Mann, seiner indischen Herkunft, dem literarischen Werdegang. Dessen Beginn fällt noch in die Schulzeit mit zahlreichen Kurzgeschichten und macht heute Station beim sechsten Krimi mit der Zürcher Langstrasse, dem blutigen Überfall auf die Dokumentarfilmerin Pina Gilardi, den vielen, oft heftigen Zusammentreffen zwischen alles andere als Gleichgesinnten, dem sozialen Elend in einer indischen Grossstadt, dem snobistischen anmassenden Gehabe des indischen «Stargasts» Dr. Shah samt Entourage, Drogenkonsum und anderem.

Mann ist sich bewusst, dass er als Krimiautor und dem Verfassen von Kinderbüchern («Immer dieser Gabriel») eher literarische Randgruppen gewählt hat. Fragen und Antworten flossen hin und her und gingen noch einige Zeit weiter, an der Bar und während dem Signieren.