Live und in Farbe

Es war der erste Live-Stream von der Landratssitzung, jener, an der über die «langsamen Sonntage» debattiert wurde. Die Demonstranten (und ihre weiblichen Pendants) im Tabaluga-Kostüm als Klöntal-Krokodile nutzten den Rathausplatz genauso wie das stumm protestierende Pflegebett. Schöne neue Politikwelt, nun bist du also im Glarnerland angekommen.



Ständerat Mathias Zopfi im Gespräch mit einem Demonstranten im Tabaluga-Kostüm
Ständerat Mathias Zopfi im Gespräch mit einem Demonstranten im Tabaluga-Kostüm

Dass die Schaltung zum ersten Mal live ging, zeigte zuerst Landratspräsident Hans-Jörg Marti, welcher die Zuschauenden draussen an den Fernsehempfängerinnen und -empfängern in die Begrüssung mit einbezog und die Ratsmitglieder ermahnte, klar zu sprechen und bei Abstimmungen nur einmal zu drücken. Bei ihrer Vereidigung war Neu-Landrätin Marlies Murer, Ennenda, so eifrig, dass sie das Gelöbnis schon vor der Aufforderung durch den Landratspräsidenten ablegte. Murer folgt als Grüne auf Andreas Schlittler. Ohne Wortmeldung wurde das Protokoll der Landsgemeinde vom 5. September verabschiedet und auch die Änderung der Bauverordnung passierte die 2. Lesung stillschweigend.

Acht bleiben acht, vier wäre ein Gegenvorschlag

Von 8.06 Uhr bis 9.02 Uhr debattierte der Rat über den Memorialsantrag der Jungen Grünen und der Grünen zu den mindestens acht Slow Sundays im Klöntal. Kommissionspräsident Fridolin Staub verwies auf den Anregungscharakter der Vorlage und die breit angelegten Diskussionen, wo Fragen über Zuständigkeiten, die teilweise in Kompetenz der Gemeinde liegen, diskutiert wurden. Zwar riet die Kommission mit 7 zu 2 Stimmen, das Geschäft der Landsgemeinde ablehnend vorzulegen und auch der Landrat schloss sich dem mit 35 zu 19 Stimmen an, doch die Debatte war eine, die auch über Mögliches und Unmögliches geführt wurde. Priska Müller Wahl beantragte namens der Grünen Fraktion, dem Memorialsantrag zuzustimmen. Es gehe um die Förderung des Langsamverkehrs. An den «Slow Sundays» sollen Velo, Postauto und Fussgänger Vorfahrt haben. Solche Tage sollten touristisch bewirtschaften werden als Eventtage. «Wir wollen den Sommerverkehr ins Klöntal attraktiv und nachhaltig gestalten, damit wir Einheimischen profitieren.» Es gehe darum, das Klöntal touristisch besser zu vermarkten, nachhaltige Erlebnisse zu schaffen und die nationalen Trends zur Nachhaltigkeit auszunützen.

Ein, zwei Missverständnisse

Das Missverständnis, welches die gesamte Diskussion überschattete, war jenes zwischen Erheblicherklärung und Zustimmung. Müller Wahl warf dem Regierungsrat nämlich implizit vor, er missachte den Willen des Landrates, wenn er – nach der Erheblicherklärung – nicht gleich eine Umsetzung ausarbeite, sondern bloss auf die Risiken des Antrages hinweise, aber nicht auch auf die Chancen dieses Antrages hinweise und eine Strategie entwickle, welche den Langsamverkehr mit einbeziehe.
Andrea Bernhard fehlte ein Vorschlag des Regierungsrates ebenfalls und er schlug vor, das Geschäft an den Regierungsrat zurückzuweisen mit dem Auftrag, den Motorisierten Individualverkehr (MIV) an maximal vier Tagen im Sommer einzuschränken. «Wir wollen ein Verkehrskonzept, das alle wesentlichen Elemente des Verkehrs im Klöntal miteinander abstimmt, es soll das tourististische Konzept fürs Klöntal mit einbeziehen und die geplanten wirtschaftlichen Aktivitäten mit einbinden.» Auch sollen die Kompetenzen mit der Gemeinde Glarus klar geregelt werden. Damit aber hatte er – anstelle eines Umsetzungsvorschlages, welcher allenfalls von der Regierung hätte kommen können, aber nicht kam, einen Gegenvorschlag beantragt, was – wie Mathias Zopfi trotz Sympathien für den Vorschlag selbst – als problematisch respektive nicht im Sinn der politischen Rechte erachtete.
Bernhard gingen acht Tage zu weit, er war aber überzeugt, dass vier Tage im Rat eine Mehrheit finden würden. Regula Keller unterstrich namens der Antragsteller, man habe ja die Mitarbeit für eine Umsetzung in Aussicht gestellt. Das Resultat sei ein knapper Bericht und Antrag zur Ablehnung. «Das ist Arbeitsverweigerung und Missachtung des Antrages. Damit schwächen Sie die demokratischen Rechte. Der Antrag der Regierung ist nicht das, was der Landrat von ihr verlangte.» Sie forderte die Verbesserung der Erholungsqualität im Klöntal und ein ganzheitliches Nutzungskonzept für alle touristischen Hotspots im Kanton. Christian Büttiker stellte – namens der SP-Fraktion – den Antrag, den Memorialsantrag der Landsgemeinde zur Annahme zu empfehlen, als allgemeine Anregung. «Es geht darum, im Klöntal eine Lösung für diese Perle zu bekommen.»

Kommt jetzt die Motion?

Mathias Zopfi sah im Rückweisungsantrag Bernhard einen Gegenvorschlag, was der Artikel über die politischen Rechte nicht vorsieht. Er riet Bernhard, diesen Gegenvorschlag mit einer Motion anzuregen. «Der Memorialsantrag ist das grösste Recht der Glarner Bevölkerung. Eine Erheblicherklärung durch den Landrat ist aber kein Antrag an den Regierungsrat, eine Umsetzung auszuarbeiten.» Es sei aber schade, dass der Regierungsrat das nicht ausgearbeitet habe. Er rief die Ratskollegen auf, den Memorialsantrag zu befürworten, «auch wenn Sie kritisch sind.» Dagegen sprach sich Susanne Elmer Feuz – namens der FDP-Fraktion – aus und rief dazu auf, den Regierungsrat zu unterstützen und den Antrag abzulehnen. «Die geforderten acht Sonntage sind keine ökologisch sinnvolle Massnahme. Es ist auch kontraproduktiv für den Tourismus – mit diesem starren Antrag, lösen wir das Problem nicht. Ein Konzept durch die Gemeinde, wie es schon besteht und laufend verbessert wird, ist die bessere Lösung.» Anzunehmen, dass Zustimmung zur Erheblichkeit gleich Zustimmung zum Antrag sei, sei eine schlimme Entwicklung.

Viehhandel?

Markus Schnyder beantragte ebenfalls – namens der SVP-Fraktion – den Regierungsrat zu unterstützen und den Memorialsantrag abzulehnen. «Ich hege gewisse Sympathien für ein Klöntal, welches uns Eingeborenen gehört. Doch der Antrag lässt uns keinen Spielraum – es gibt kaum Sommer mit acht schönen Sonntagen.» Das Klöntal, so Schnyder, sei nicht nur ein Ort für ein kurzes Insta-Foto, sondern dort werde gelebt und gearbeitet und ein Fahrverbot führe zum Erwerbsausfall bei den Restaurants und anderen Anbietern. «Es ist dann eine Sache der Gemeinde, das Problem zu lösen. Dieser Antrag ist ein Eingriff in die Gemeindeautonomie. Der Rückweisungsantrag Bernhard erscheint mir wie ein Viehhandel.» Die Rückweisung beantragen, damit man quasi doch noch zu vier autofreien Tagen komme. Regierungsrat Andrea Bettiga pries das Klöntal als weit herum schönstes Juwel. «Das haben andere auch bemerkt und so kam es zum Verkehrsproblem. Doch die Gemeinde hat dieses Problem angepackt. Die Parkierung ist geregelt worden, der öV wurde verbessert.» Doch lehne der Regierungsrat den Antrag ab, unter anderem weil eben die Planbarkeit der autofreien Tage an schönen Sonntagen nicht durchsetzbar sei. Fridolin Staub unterstrich, die Rückweisung führe zu einem «Chrüsimüsi» und mahnte: «Wenn wir an diesem Memorialsantrag rumschrauben, machen wir ihn kaputt.» Der Landratspräsident verwies auf das Zeitproblem bei einer Rückweisung und sie wurde mit 40 zu 12 Stimmen abgelehnt. In der Detailberatung verwies die Grüne Nadine Landolt Rüegg noch einmal auf verschiedene Punkte im Bericht, Regula Keller regte an, mit diesen Sonntagen eine andere Klientel anzusprechen, so wie etwa bei Ride the Alps. Und sie verwies auf den Ausgang der FRIDOLIN-Umfrage, wo sich eine Mehrheit für autofreie Sonntag aussprach. Schliesslich aber empfahl der Landrat, wie von der Regierung beantrag, der Landsgemeinde die Ablehnung.

Vaterschaftsrechnung

Das Gesetz über das Personalwesen soll so angepasst werden, dass zukünftige beim Kanton angestellte Väter zwei Wochen Vaterschaftsurlaub mit 100-prozentiger Lohnfortzahlung geniessen. Kommissionspräsident Luca Rimini stellte das Geschäft vor. «Die Änderung geht weiter als die Bundevorgaben, sie ist eine bewusste Besserstellung der kantonalen Angestellten.» Der Kanton müsse nämlich bei der zweiten Woche für die restlichen 20% des Lohns, welche nicht von der EO getragen werden, aufkommen. Thomas Kistler beantragte namens der SP Zustimmung zu dieser kleinen Anpassung, nur sei man deswegen noch lange kein moderner Kanton. Dies wäre anders, wenn man den Vaterschaftsurlaub, wie von ihm in der Kommission beantragt, auf vier Wochen ausdehne. Karl Stadler unterstützte namens der Grünen Fraktion die Vorlage. Landesstatthalter Benjamin Mühlemann stellte fest: «Es geht darum, Bundesrecht nachzuvollziehen.» Er bezog sich auf die Einigkeit der Parteien in der Vernehmlassung und richtig – die Vorlage wurde ohne Wortmeldung in der Detailberatung an die Landsgemeinde überwiesen.

Laufbahnberatung und Beitrag ans Personal

Auch nach der Pause ging es um soziale Anliegen – einerseits darum, die Laufbahnberatung des Kantons im Erwachsenenbereich neu auszurichten und einen vierjährigen Pilotbetrieb einzurichten. Dazu sollte der Rat maximal 800 000 Franken bereitstellen. Kommissionspräsidentin Priska Müller Wahl unterstrich: «Der Bund steuert etwa die Hälfte bei, es geht also um eine Investition von 100 000 Franken pro Jahr. Der Arbeitsmarkt verändert sich schnell, lebenslanges Lernen wird immer wichtiger. Da es nach wie vor Leute ohne Ausbildung gibt, sind sie vom Abrutschen in die Sozialhilfe bedroht. Die beantragte Verstärkung der kantonalen Beratung ist deshalb wichtig.» 23% der Menschen zwischen 25 und 64 Jahren haben keinen Lehrabschluss und keine Matura – diese Personen, so Müller Wahl, hätten im sich verändernden Arbeitsmarkt ein hohes Risiko, in die Sozialhilfe abzurutschen. Auch Sarah Küng verlangte – namens der SP-Fraktion – unveränderte Zustimmung. «Die Neuausrichtung ist dringend nötig, da fast ein Viertel der Arbeitnehmenden davon betroffen sind. Es geht um jene, die schlecht ausgebildet sind, da der Arbeitsmarkt für schlecht Qualifizierte immer härter wird. Wenn also immer mehr Menschen arbeitslos werden, so kostet das sehr viel Geld.» Auch Ruedi Schwitter – er namens der einstimmigen Mitte/GLP-Fraktion – forderte die Zustimmung zum Geschäft mit Pilotbetrieb und Neuausrichtung der Berufsberatung. Namens der SVP-Fraktion beantragte Barbara Rhyner Rückweisung. Es werde nicht zu wenig gemacht, es stelle sich vielmehr die Frage, wann ist gut gut genug? «Wir müssen aufpassen, dass wir uns mit solchen Pilotbetrieben nicht in Abhängigkeiten begeben.» Rhyner führte die vielen Glarner Unternehmer an, welche ihre Mitarbeitenden bei Aus- und Weiterbildung unterstützen, und auch die Kurse von «Einfach besser», wo sich schlecht Ausgebildete Schlüsselkompetenzen aneignen können. Marius Grossenbacher verlangte – namens der Grünen Fraktion – Eintreten und Zustimmung. Auch Regierungsrat Dr. Markus Heer forderte: «Wir müssen den Realitäten in die Augen schauen. Berufe ändern sich oder verschwinden, im Sekundärsektor gehen Arbeitsplätze verloren, der tertiäre Sektor wächst. Glarus hat schweizweit den grössten Teil an Beschäftigten im zweiten Sektor. Deshalb ist es wichtig, diese Personen im Arbeitsmarkt zu behalten. Sie brauchen zusätzliche Unterstützung, auf sie wollen wir zugehen und die klassische persönliche Beratung verstärken. In Kooperation mit anderen Kantonen.» Der Rückweisungsantrag Rhyner unterlag mit 35 zu 19 Stimmen, ohne Wortmeldungen in der Detailberatung stimmte der Rat dem Geschäft zu.

Danach beschloss der Rat einen Verpflichtungskredit über 660 000 Franken an die pandemiebedingten Ertragsausfälle des Kantonsspitals Glarus, sprach sich zuerst auch für die Überweisung des SVP-Postulats «Für eine nachhaltige Wirkung einer finanziellen Unterstützung» aus, und lehnte es dann – auf Ordnungsantrag von Martin Landolt – doch ab. Wer es live im Stream erlebte, konnte sich selber ein Bild von den Irrungen und Wirrungen dieser Diskussion machen, tatsächlich aber setzten sich Franz Landolt und Priska Grünenfelder mit ihrer Präzisierung durch, die 660 000 Franken des Kredits für pandemiebedingte Ertragsausfälle seien von der Kantonsspital Glarus AG in vollem Umfang dem Personal weiterzugeben. Dies, obwohl Kommissionspräsidentin Yvonne Carrara darauf hinwies: «Hier geht es nur darum, ob der Kanton das Spital wegen der Ertragsausfälle unterstützt. Da das Spital eine zentrale Aufgabe zur Bewältigung der Pandemie hat, ist es richtig, diesen Kredit zu sprechen. Er soll wie die Härtefallhilfe aus der Kantonsreserve finanziert werden.»  
Und Landesstatthalter Benjamin Mühlemann unterstrich: «Es ist eine politische Frage, ob der Kanton sich an den Ausfällen beteiligt. Der Regierungsrat findet, in bestimmtem Umfang ja. Für Prämien ans Personal ist aber der Arbeitgeber – das Kantonsspital Glarus – zuständig.»

Trägerschaftsmodell hat sich bewährt

Beim Tourismus standen die jährlichen Einlagen des Kantons von je 350 000 Franken in den Jahren 2024 bis 2027 zur Debatte. Dieser Beitrag wurde vom Rat denn auch stillschweigend finanziert. Für Kommissionspräsidentin Priska Müller Wahl zeigt der Tätigkeitsbericht, dass in den letzten zweieinhalb Jahren viel geschehen sei.
Christian Marti sagte – namens der FDP-Fraktion: «Die gesetzten und verfolgten Ziele können erreicht werden. Es ist der richtige Zeitpunkt, um VISIT Glarnerland mit Mitteln auszustatten.» VISIT bekomme sogar für zusätzliche Aufgaben aus der Privatwirtschaft Gelder, die gewünschte Verlagerung von den öffentlichen – anschiebenden – Geldern hin zur privaten Finanzierung komme also in Gang. Andreas Luchsinger lobte – namens Mitte/GLP-Fraktion: «VISIT Glarnerland ist eine effiziente und rasch reagierende Organisation, welche nicht an der Basis vorbeiplant. Auch im Hinblick aufs ESAF ist eine weitere Finanzierung darum wichtig.» Sarah Küng plädierte namens der SP für Eintreten und Zustimmung, Matthias Schnyder namens der SVP-Fraktion. Martin Landolt war zwar ebenfalls für Eintreten und Unterstützung, ihm fehle im Kanton aber nach wie vor eine Tourismusstrategie. «Wir haben keinen Plan, welche Infrastrukturen notwendig sind, welche Investitionen es braucht, welche Destination kantonale oder kommunale Bedeutung haben. Deshalb wird unsere Fraktion einen Vorstoss einreichen, der eine solche Strategie fordert.» Frau Landammann Marianne Lienhard lobte den Erfolg von VISIT Glarnerland – auch mit Blick auf den wahrnehmbaren Auftritt des Kantons, der damit entstand. Doch sei VISIT noch kein Selbstläufer. «Wir nehmen aber wahr, dass die Glarner Touristiker näher zusammenrückten und dass in allen drei Gemeinden eine Dynamik entstand.» Gegenüber Martin Landolt gab sie zu, dass der Titel der Vorlage (Bericht zur Tourismusstrategie, die Red.) irritiere. Es gebe zwar eine kantonale Tourismusstrategie, doch ein Vorstoss, wie von Landolt angekündigt, könne ein Anlass sein, in einen Strategieprozess zu gehen.

Nach der Beantwortung der SP-Interpellation zum Monitoring über häusliche Gewalt, Gewalt an Jugendlichen und an LBGTQUIA+-Personen schloss der Landratspräsident mit den Mitteilungen. Die nächste Landratssitzung wird am 17. November stattfinden.