Lehrermangel in Glarus Süd – Was ist schuld daran?



Lehrermangel in Glarus Süd Was ist Schuld daran? Leserbrief Paul Aebli
Lehrermangel in Glarus Süd Was ist Schuld daran? Leserbrief Paul Aebli

Schon 1972 war der Lehrermangel bei meiner Ausbildung im Reallehrerseminar in Zürich ein wichtiges Thema, das allerdings von den Entscheidungsträgern nie ernst genommen wurde! Sicher ist allerdings, dass nicht der Stimmbürger Schuld an dieser Misere trägt, wie man aus dem Bericht entnehmen könnte. Was läuft falsch?

Folgende Tatsachen geben mir zu denken:

  • Leider schlagen nur sehr wenige männliche Studenten den tollen Weg als Lehrer ein.
  • Die sehr guten Seminar-Ausbildungen sind in der Schweiz abgeschafft worden, obwohl von vielen Fachleuten das Gegenteil gefordert worden ist!
  • Akademisierte Schreibtischtäter und von ihrer Schulzeit gefrustete Politiker geben heute den Ton an.
  • Im Kanton Glarus gibt es seit 10 Jahren keine einheitlichen Strukturen mehr. Die Unterschiede im Lohn und in den Infrastrukturen sind sehr gross.
  • Heute wohnt kaum mehr eine Lehrkraft im Dorf, was sich sehr negativ auf die Schule auswirkt. Es ist nur noch ein «Job», eine Integration gibt es nicht mehr. Was Glarus Süd betrifft, ist die Tatsache, dass die Pensen wegen schwankenden Schülerzahlen von Jahr zu Jahr variieren können. Kaum jemand hat einen Vertrag mit einem 100%-Job. Kann sich ein Familienvater darauf einlassen, bei bekanntlich tieferen Löhnen als in Glarus oder Glarus Nord, geschweige denn ausserkantonal?
  • Die Eltern sind verunsichert. Das Vertrauen in die unbekannte Lehrkraft fehlt. Sie verlangen, dass ihre Kinder nach ihren Ideen erzogen werden und mischen sich in der Folge viel zu stark in die schulische Arbeit ein.
  • Die vielen Ausländerkinder verursachen riesige Integrations-Probleme.
  • Die unbesetzten Stellen mit ausländischen Pädagogen zu besetzen, ist in Ausnahmefällen möglich, aber nicht unbedingt ideal.
  • Statt eine grundsolide Ausbildung, wie sie bereits Pestalozzi propagiert hat: «mit Kopf, Herz und Hand», fallen viele wichtige Erfahrungen dem unsagbaren Sprachenrausch und dem Programmieren am PC zum Opfer.
  • Was leider auf der Strecke bleibt, sind Grundfähigkeiten im sprachlichen Ausdruck in der Muttersprache, im einfachen Rechnen, in musischen Fächern, in wissenschaftlichen Fächern, wie Physik, Biologie, Geografie usw. Da wurde immer nur abgebaut. Heute müssen die Jugendlichen vier Sprachen (Mundart, Hochdeutsch, Französisch und Englisch) gleichzeitig lernen. Wo ist da die Vernunft? Erschwerend kommt dazu, dass rund 50% eine andere Muttersprache haben.
  • Im digitalen Zeitalter muss man eigentlich bald keine Sprachen mehr lernen, die Übersetzungen gehen an Telefonkonferenzen in allen Sprachen. Warum ärgern wir die Jugendlichen so sehr mit dem mühevollen Erlernen von Sprachen? Viel Zeit und Mühe umsonst, die man besser bei Grundfähigkeiten einsetzen müsste.

Was ist zu tun?

Natürlich kann der kleine Kanton Glarus keine schweizerische Ausbildungs-Revolution auslösen. Doch einige alte Ideen könnte man doch versuchen umzusetzen:

  • Es darf nicht sein, dass der Kanton Glarus verschiedene Lohnlisten einsetzt
  • Der Einfluss der Politiker sollte minimal sein. Es gibt niemanden, der über alles fachgerecht entscheiden kann: über Spitalbetten, über Bachverbauungen, über Spitex, über Kindererziehung, über Alpen, über Arztpraxen, über Finanzen und über schulische Ausbildungen. Solche Supermenschen gibt es nicht und wenn es jemanden geben würde, könnten wir ihn nicht bezahlen. Meiner Meinung nach ist hier die Einheitsgemeinde ein Fehlentscheid. Das dreht sich alles nur ums Geld.
  • Wir brauchen wieder etwas wie eigene Schulgemeinden, welche näher am Ball sind und über schulische Bedürfnisse besser entscheiden können.
  • In der Schweiz haben wir eine der besten Berufsausbildung. Warum werden unsere Jugendlichen nicht alle ähnlich ausgebildet? Jugendliche müssen in der Oberstufe über ihre Berufsausbildung entscheiden. Für viele Berufe ist das Alter 16 viel zu früh, um endgültig zu entscheiden. Das habe ich im Berufskundeunterricht oft festgestellt. Das bewährte System mit Berufslehre oder Berufsmatur und anschliessender Fachausbildung wäre auch für eine pädagogische Ausbildung ein ausgezeichnetes Instrument. Die Jugendlichen lernen von der Pike auf, was auf sie zukommen wird. Warum machen wir diese Ausbildung nicht auch im pädagogischen Bereich? Wir könnten die Jugendlichen entschleunigen, ihnen mehr Zeit für Entscheide geben.

Es gibt sehr viele geeignete Jugendliche, auch männliche Kandidaten, die eine Neigung für eine pädagogische Ausbildung hätten, aber in eine Kantonsschule wollen sie nicht. Eine Schulgemeinde wäre in dieser Ausbildung der Lehrbetrieb. Nach der obligatorischen Schulzeit (mit 16 Jahren) besucht der pädagogische Lehrling einen Lehrbetrieb und erhält dafür einen Lehrlingslohn. Es können mehrere Lehrlinge gleichzeitig ausgebildet werden. So ein System bringt allen grosse Vorteile:

  1. Der pädagogische Lehrling macht eine vierjährige Grundausbildung in Pädagogik. In seiner Ausbildung kann er alle Stufen (Primarschule, Oberstufe, Heime, Personalführung) kennen lernen. Er geht pro Woche 1–2 Tage in eine theoretische Ausbildung (Berufsschule). Er lernt alle Stufen und Einsätze kennen.
  2. Jeder Lehrling erhält von der Ausbildungsstätte einen Lehrlingslohn. Das ist ein wichtiges Argument für einen Jugendlichen, sich für einen pädagogischen Beruf zu entscheiden.
  3. Der Lehrling kann nach einiger Zeit in den Klassen oder im Heim als Stellvertreter eingesetzt werden. Die leidige Stellvertretersuche entfällt und ist kostenneutral.
  4. Mit diesem System erfasst man viele Jugendliche, welche sonst nicht so einen Weg einschlagen würden. Wir hätten wieder männliche Lehrkräfte.
  5. Nach vier Jahren schliesst der Lehrling mit einem Diplom oder der Berufsmaturität ab.
  6. Mit diesem Diplom stehen alle Türen offen: 1–3 Jahre Fachausbildung ab dem 20. Altersjahr. Studien an Fachhochschulen, Universitäten oder ETH wären möglich.
  • Gute Schulen sind unsere Zukunft – Sie dürfen etwas kosten – Tragen wir Sorge dazu!

Paul Aebli, Schwanden
Alt Reallehrer
Ausbildung im Seminar in Schiers
Ausbildung im Reallehrerseminar in Zürich
Ehemaliger Präsident der Oberschul- und Reallehrerkonferenz des Kantons Glarus