Berufsbedingt reise ich viel. Und ja, fast überall ist Stau. Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen Westeuropa und dem Rest der Welt. In vielen Ländern, die ich bereise, gerade in asiatischen, sieht die Infrastruktur immer wieder anders aus, denn mit Blick auf das Wachstum von Bevölkerung und Wirtschaft werden vorausschauend ständig neue Strassen und Schienen gebaut. In Westeuropa hingegen herrscht grosse Zurückhaltung. Obwohl ich weiss, dass es nicht so ist, aber manchmal kann der Eindruck entstehen, der Stau werde billigend in Kauf genommen, um die Verkehrsteilnehmenden dazu zu bringen, weniger unterwegs zu sein. Dabei wissen wir doch alle, wie wichtig Mobilität für uns als Menschen ist, und oft sind es falsche Vorurteile, die uns bewegen.
Erstens wird das Auto bei uns fälschlicherweise immer noch als umweltschädlich eingestuft. Doch mit zunehmender Elektrifizierung von Fahrrädern, Autos und Lastwagen wird der Strassenverkehr immer weniger Teil des Problems und immer mehr Teil der Lösung im Klimawandel sein. Meine Erfahrung ist, dass Menschen Mobilität sehr bewusst nutzen.
Zweitens anerkennen wir zu wenig, dass öffentlicher Verkehr den Strassenverkehr zwar entlasten und ergänzen, aber niemals ersetzen kann. Die Schweiz investiert mehr in die Schiene als in die Strassen, wie Bundesrat Rösti immer wieder betont. Man darf dennoch nicht vergessen, dass weit über 70 Prozent der Verkehrsleistung auf der Strasse erbracht werden. Gewerbe, Bau, Transport, Menschen aus Gebieten mit schlechter ÖV-Anbindung, Arbeitende mit Früh- oder Spätschichten, Gebrechliche, mobile Pflege und viele ähnliche Beispiele zeigen es: Wir brauchen Investitionen sowohl in den Strassen- wie auch in den Schienenverkehr. Nicht alle haben immer die Wahl, den öffentlichen Verkehr zu nutzen. Und während wir sehr selbstverständlich all diese Dienste für uns in Anspruch nehmen, schauen wir im Stau oft kritisch auf alle anderen Fahrzeuge und zweifeln paradoxerweise daran, dass diese einen triftigen Grund haben, vor oder hinter uns auf der Strasse zu stehen.
Der dritte Punkt ist, dass wir in einer freiheitlichen Gesellschaft leben: Menschen geniessen die Freiheit der Mobilität, sind offen für Innovationen aber nicht für Gängelei. Wer deshalb denkt, dass weniger Strassen zu weniger Verkehr führen, könnte überrascht werden: Vielleicht führen weniger Strassen auch einfach dazu, dass Arbeitnehmer, Konsumentinnen oder Investoren einen anderen Ort zum Arbeiten, Geniessen oder Investieren auswählen als das Glarnerland, die Schweiz oder Westeuropa.
Deshalb werbe ich sowohl als Unternehmer wie auch als Präsident der Glarner Wirtschaftskammer für eine vorausschauende, umsichtige Weiterentwicklung von Schiene und Strasse. Ich rufe Kanton und Gemeinde Glarus Mitte dazu auf, das Verkehrschaos zu beheben, welches seit der Schliessung der Brücke zwischen Netstal und Mollis entstanden. Nur so können wir eine Abwanderung von Fachleuten, Konsumentinnen und Anwohnern stoppen, die Bevölkerung und Wirtschaft im Glarnerland südlich von Netstal unweigerlich droht. Und ich werbe bei den Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern für ein Ja zum Ausbau der Nationalstrassen. Lassen wir uns bei der Entwicklung von Schiene und Strasse nicht von Vorurteilen leiten, sondern von Mut, Freiheit und Offenheit. Denn gerade der gezielte Ausbau von Infrastrukturen auf beiden Ebenen ist entscheidend, um die Herausforderungen der Zukunft erfolgreich zu bewältigen und eine attraktive Lebens- und Wirtschaftsregion zu fördern.
Johannes Läderach Präsident der Glarner Wirtschaftskammer