Um ca. 12 Uhr mittags verliessen die letzten in Linthal gesponnenen Baumwollgarne auf einem Zweispänner der Fuhrhalterei Bowald den Linthpark Glarus Süd. Mit diesem Akt endete die rund 180-jährige Textilindustrie im südlichsten Teil des Kantons Glarus. Der Anblick und der Anlass könne einen schon wehmütig machen, erklärte Regierungsrätin Marianne Lienhard an der Veranstaltung «Im Wandel der Zeit» am letzten Freitag in Linthal. «Das heute ist auch ein Zeichen für den Strukturwandel, welcher auch im Kanton Glarus in der Industrie vollzogen werden muss.» Dieser Wandel soll man aber auch als Chance nutzen, wofür dieser Ort in Glarus Süd als gutes Beispiel und vor allem als Vorbild stehen soll. Auch Gemeindepräsident Mathias Vögeli blickte zuerst in die Vergangenheit, in welcher die industrielle Revolution in fast allen Dörfern im Kanton Arbeitsplätze geschaffen und so den Lebensstandard der Bewohner im Allgemeinen erhöhen konnte. «Das ‘blaue Gold’ habe diesen Aufschwung im Kanton Glarus ermöglicht. Aber auch der Pioniergeist der Glarner wie zum Beispiel Heinrich Kunz.» Diese Punkte nahm auch Ständerat Thomas Hefti in seiner Ansprache auf. Wie im 19. Jahrhundert die Wasserkraft der Motor für den Industrie-Boom im Glarnerland war, sei sie auch heute der Ursprung für die Umnutzung der Industriegebäude, «wie man es nicht besser als am Linthpark Glarus Süd sehen kann.» Der zweite und sicher nicht weniger wichtige Motor sind aber Menschen wie Hans-Peter Keller, der mit mutigen Schritten diese Entwicklung voranträgt und bereits die kommende Generation an Bord holt.
Obwohl in Linthal mit der Abfahrt des Zweispänners das Kapitel Textil-Industrie zu Ende geht, ist diese Geschichte im Kanton noch lange nicht fertiggeschrieben. Als Leuchtfeuer erstrahlen nämlich noch die Daniel Jenny & Co in Haslen und die Weseta Textil AG in Engi. Und zu diesen Betrieben war das Gespann unterwegs, um beiden jeweils eine Palette des Garns zu übergeben und ihnen viel Erfolg zu wünschen.
Im Linthpark Glarus Süd könnte nach der Industriellen Revolution bereits der neuste Aufschwung in den Startlöchern stehen. Denn wo früher das Baumwoll-Lager gestanden ist, steht heute das Fundament von «CoCo» Coworking/Coliving. Auch hier sah Geschäftsführer Alexander Keller Kunz als Vorreiter im Geiste. «Auch er brachte Leute in die neue Spinnerei Linthal, um zu arbeiten, und schuf zudem Wohnraum für das gemeinsame Leben.» Auch in dem neuen Gebäude, welches Mitte 2022 eröffnet werden soll, sollen sich die Menschen zum Arbeiten treffen und gegebenenfalls auch übernachten können. «Auch hier sind wir wie vor 180 Jahre Pioniere und realisieren ein in dieser Ausrichtung schweizweit einzigartiges Projekt.» Die wichtigsten Faktoren seien hier erstens die erneuerbare Energie aus der eigenen Produktion durch Wasser und Sonne, aber auch der direkten Bahnanschluss von und nach Zürich, sowie den schnellen Netzanschluss durch das Glasfaserkabel. «Und natürlich das einmalige Bergpanorama. Wer davon nicht inspiriert wird, dem können auch wir nicht helfen.»