Linthal 2015 nähert sich dem grossen Ziel

Das Mammutprojekt oberhalb von Tierfehd nähert sich in grossen Schritten seiner Fertigstellung. Noch in diesem Jahr soll die erste Maschinengruppe ans Netz.



Linthal 2015 nähert sich dem grossen Ziel

Es war auch schon hektischer und wusliger auf der grössten Wasserbaustelle von ganz Europa. Ein deutliches Zeichen, dass die grössten Arbeiten am Pumpspeicherwerk «Linthal 2015» abgeschlossen oder sich in der Fertigstellung befinden. Bei der Staumauer beim Muttsee stehen nur noch das Kontrollhaus sowie die Geländer an. Auch tief im Berg warten nur noch zwei Rotoren auf die Endmontage und die ersten Transformatoren haben – zur Überprüfung – schon Spannung drauf. Während so die Bauphase langsam dem Ende entgegen geht, hat auf der anderen Seite bereits der Rückbau begonnen, welcher die Axpo sicher bis ins Jahr 2017 beschäftigen wird. Die leistungsstärkste Transportseilbahn wird dann genauso Geschichte sein wie die Zementaufbereitungsanlage für die längste Staumauer in der Schweiz. Wo früher über 600 Arbeiter gleichzeitig tätig waren, arbeiten momentan nur noch rund 200. Ein ganz grosses Ziel, eigentlich das zweitgrösste, nach der völligen Inbetriebnahme des Werks, steht aber für diesen Herbst noch an. Dann soll nämlich die erste Maschinengruppe ihren Betrieb aufnehmen.

Alles ist bereit

Wie ein Badewannenstöpsel hindert heute noch das verschlossene Ein-/Auslaufbauwerk im Muttsee das Wasser am Abfliessen in das Druckstollensystem. Bald schon aber wird dieser Schutz entfernt. Während die zweite Druckleitung noch geschlossen bleibt – deren Auskleidung ist noch in vollem Gange – wird sich die für die Maschinengruppen 1 und 2 vorgesehene Druckleitung zum ersten Mal bis vor den 700 Meter tiefer gelegenen Kugelschieber füllen.

Der Kugelschieber agiert dabei quasi als «Türsteher» der Maschinengruppe, durch den das Wasser später auf das Laufrad fliessen wird. Vorab jedoch wird die mit Wasser gefüllte Druckleitung noch intensiven Dichtigkeits- und Standproben unterzogen. Schon jetzt steht das Wasser im Zu- und Abflussbereich des Limmernsees direkt vor den Unterwasserschützen der Transformatorenkaverne. Dafür wurden der Limmernsee Ende 2014 eigens abgesenkt und die beiden Betonzapfen im Unterwasserdruckstollen im Januar/Februar 2015 mit mehreren Sprengungen entfernt.

Noch steht also das Laufrad der ersten Maschinengruppe still und wartet auf seine Wassertaufe. Ein spezialisiertes Inbetriebsetzungsteam um Emil Bieri prüft in der Vorbereitungsphase der Trockentests jedes einzelne Puzzle-Teil der ersten Maschinengruppe auf Herz und Nieren und überwacht die Installation der Schutz- und Steuersysteme. Parallel dazu werden die Montagearbeiten an den Maschinengruppen 2, 3 und 4 fortgesetzt und die zweite Druckleitung wird fertiggestellt.

Neue Technologie sorgt für mehr Netzstabilität


Bis zu den ersten Nasstests steigt die Spannung beim Inbetriebsetzungsteam stetig. Auch beim Gesamtprojektleiter Emil Bieri: «Die Tests mit Wasser sind bei unserer grossen und starken Maschine herausfordernd, zumal wir technologisch Neuland betreten.» So ist der Motorgenerator drehzahlvariabel, was schweizweit in dieser Leistungsklasse ein Novum ist. Er kann beim Pumpen, wenn beispielsweise überschüssiger Strom ans Netz abgeführt werden soll, seine Leistung regeln und damit das Stromnetz stabilisieren. Bislang löste man die Leistungsregelung im Pumpbetrieb, indem man zum Ausgleich gleichzeitig eine Turbine in Betrieb nahm. Diese Flexibilität der neuen Anlage dürfte gemäss Bieri im zukünftigen Strommarkt marktfähige Chancen im Bereich der Netzstabilisierung und Systemdienstleistungen eröffnen.

Die neuen, effizienten Motorgeneratoren scheinen wegweisend. Denn im ebenfalls im Bau befindlichen Pumpspeicherwerk Nant de Drance in den Walliser Alpen setzt man auf die gleiche Technologie.

In der Testphase Wasser sparen


Um die Maschinengruppe 1 mit ihrer Leistung von 250 Megawatt anzutreiben, braucht es Wasser. Viel Wasser. Auch schon in der Testphase. Den Inbetriebsetzern steht für ihre Tests jedoch nur das aktuelle Wasservolumen des Muttsees von rund 6 Mio. Kubikmetern zur Verfügung. Grund dafür sind einerseits geringe natürliche Zuflüsse des Muttsees. Andererseits verlangt das Bundesamt für Energie bis zur Freigabe der neuen Staumauer eine Reihe von Prüfschritten. Darum wird die rund ein Kilometer lange Staumauer erst im Sommer 2016 mit Wasser in Berührung kommen und der See danach schrittweise angestaut werden. «Wir organisieren die Tests so, dass die Maschinengruppe 1 möglichst umgehend den Pumpbetrieb aufnehmen kann», so Bieri, der die für die Tests notwendigen Wassermengen berechnet und das Wiederauffüllen des Muttsees minutiös plant.

Ein weiteres Highlight der Inbetriebsetzungsphase wird die erste Synchronisation mit dem elektrischen Netz sein, damit kurz darauf der erste Pumpbetrieb aufgenommen werden kann. Ab diesem Zeitpunkt wird die Maschinengruppe 1 Strom aus dem Netz beziehen oder an dieses abgeben. Um die gewaltigen Energiemengen für die Tests zur Verfügung zu haben, planen die Spezialisten der Axpo diese ein und disponieren entsprechend.

Kommerzieller Betrieb der Maschinengruppe


Nach erfolgreichem Abschluss der Nasstests nimmt die Maschinengruppe 1 einen zweimonatigen Probebetrieb auf, währenddessen die Zuverlässigkeit der Anlage im Betrieb überprüft wird. In dieser Phase setzt Axpo die Maschinengruppe 1 am Markt ein. Nach erfolgreich absolviertem Probebetrieb geht die erste von vier Maschinengruppen in das Eigentum der Kraftwerke Linth-Limmern AG über. Ein Zurücklehnen gibt es aber für Emil Bieri und sein Team nicht. Sie werden die Inbetriebnahme im Jahr 2016 noch drei Mal wiederholen – bei den Maschinengruppen 2, 3 und 4.