Literatursommer im «Richisau» – Lukas Bärfuss las aus «Koala»

Dass sich mehr als 90 Literaturbegeisterte am vergangenen Sonntagmittag im «Richisau» einfanden, hatte mit der Einladung von Bäschlin littèraire und Lukas Bärfuss gleichermassen zu tun. Im Namen der Veranstaltenden begrüsste Hansruedi Frei wortreich, zuweilen leicht ausschweifend für viele – auch für den Autoren – gar ausführlich.



Gut 90 Literaturfreunde fanden sich im Gasthaus Richisau ein. (Bilder: p.meier) Das Gasthaus Richisau – ein ganz besonderer Treffpunkt. Lukas Bärfuss las aus einem neuesten Roman «Koala». Hansruedi Frei begrüsste Lukas Bärfuss – man lauschte entspannt.
Gut 90 Literaturfreunde fanden sich im Gasthaus Richisau ein. (Bilder: p.meier) Das Gasthaus Richisau – ein ganz besonderer Treffpunkt. Lukas Bärfuss las aus einem neuesten Roman «Koala». Hansruedi Frei begrüsste Lukas Bärfuss – man lauschte entspannt.

Draussen war es sommerlich heiss, passend zum diesjährigen Richisauer Literatursommer, der auch im kommenden Jahr erfreulicherweise weitergeführt wird. Gäste waren in diesem Jahr neben Lukas Bärfuss, Adolf Muschg und Asta Scheib.

Mit der Einführung lernte man unter anderem die verschiedenen Berufe des heute anerkannten, mit vielen bedeutenden Preisen bedachten Autors. Tabakbauer, Eisenleger, Gärtner, Buchhändler und Werbebeauftragter in Biel fanden umfassend Erwähnung. Dann setzte bei Bärfuss das Verfassen verschiedenster Buchtexte ein, nach oft belastendem Recherchieren. Er ist ein zu Recht stark beachteter Literat, der sich mit grosser, nachhaltiger Deutlichkeit und pointierten Aussagen auch mit Politischem auseinandersetzt.

Bärfuss schreibt mit beeindruckend globalem Erfassen, mit dem Einbeziehen vieler Fragen und dem Versuch, Antworten zu finden. Er sprach in Beantwortung einiger Fragen am Schluss davon, dass jedes Buch in seiner Form ein erstes Buch sei, keine Wiederholung von vielleicht Erfolgreichem dulde. Er gehe – und das zeichnet sein Schildern nachhaltig aus – dorthin, wo er noch nicht Bescheid wisse, wo beim ersten Begegnen nichts Sichtbares, Greifbares bestehe, wo vermutet und hinterfragt werde. Es ist für ihn ein Privileg, sich an immer Neues heranzuwagen, sich in Inhalte rein zu begeben, im tiefsten Innern wissend, dass viele Zusammenhänge möglich seien, dass damit stets eine Reichhaltigkeit im Darstellen bestehe.

In «Koala» – daraus, also aus seinem neuesten Roman, las Lukas Bärfuss. Es geht um einen Menschen, wie es wohl viele gibt. Üblicherweise nimmt man den Namen und Hauptsächliches, Auffälliges zur Kenntnis, lässt sich eventuell davon berühren, legt dann alles ad acta, um sich wieder Neuem zuzuwenden. Lukas Bärfuss lässt das mit diesem Roman nicht zu. Er bewegt, rüttelt auf, es wachsen Betroffenheit, Anteilnahme – und Staunen über die wortreiche, kunstvolle Vielfalt des bewegten Lebens seines Bruders, der sich im Alter von 45 Jahren das Leben nahm. Der Frage dieses Suizids geht Bärfuss mit riesiger Hartnäckigkeit nach. Er befasst sich mit Reaktionen von Freunden, mit seinem persönlichen Umgang mit dem Bruder. Er ist ein einfühlsam Beschreibender, lässt persönlichen Fragen, Ängsten, Erfahrungen, Erkenntnissen viel Raum. Er zollt Respekt, urteilt, schildert wortreich, detailliert, kenntnisreich, ist zuweilen fast Spielball des berührenden Geschehens. Wieso es zu diesem Suizid kam, bleibt unbeantwortet, ist verständlicherweise nicht erklärbar. Bärfuss zeigt, wie sein Bruder zum Pfadinamen kam, was bei der brutalen Pfaditaufe alles passierte, wie er von diesem pelzigen, fremdländischen , eigentlich possierlichen Tier gefangen genommen wird. Er beschreibt die Pfadikameraden, die sich aus heutiger Sicht absolut unverständlich brutal verhalten, niederträchtig werten.

Es ist eine Reise mit Lebensstationen, durch die Bärfuss führt, mit spannenden, detaillierten Inhalten, mit kunstvollem Wortreichtum. Und diese Stationen sind voller Leidenschaft, wertendem Betrachten, Vermutungen, Fragen, detailgetreuem Protokollieren. Sie lassen den Lesenden nicht, zwingen zuweilen zum Innehalten, dem Zurückblättern, dem neugierigen, Seiten mal auslassenden Weiterlesen.

Mit seiner Lesung liess Bärfuss seine Sprache lebendig werden. Er zeigte auf, dass neben Belastendem, Traurigem, auch Schalk, leiser Humor ihren glücklicherweise berechtigten Platz haben.

Und wer weiter verweilen wollte, machte vom Mittagsbuffet gerne Gebrauch und blieb gerne an einem ganz besonderen Ort, der im kommenden Jahr wieder literarischer Treffpunkt auf Zeit sein wird.