Mary Poppins in Braunwald

Dass die Bruuwalder Spiellüüt mit ihrer Regisseurin Ursi Kessler der weltbekannten Mary Poppins und ihrem Umfeld zu einem ganz stark beachteten Gastspiel in der Tödihalle verholfen haben, ist in jeder Beziehung aussergewöhnlich.



Mary Poppins in Braunwald

Im Vorfeld gab es so unglaublich viel einzuüben, Rollen zuzuteilen, Details aufeinander abzustimmen, sich mit dem hochgradig exklusiven Zungenbrecher «Supercalifragilisticeexpialidocious» auseinanderzusetzen, Tanzschritte und Gesang zur Bühnenreife zu bringen, Kostüme in zuweilen rassigen Abfolgen zu wechseln, sich die Standorte der mobilen Kulissen einzuprägen, Texte einzuverleiben und Auftritte so zu timen, dass sich alles flüssigem Spiel ohne Hänger fügte.

Um diese hohen Ziele zu erreichen, setzten sich die Spiellüüt so nachhaltig und mit erfüllendem Engagement ein, dass am Schluss alles stimmte. Nach den Weihnachtstagen und mit Beginn des neuen Jahres waren alle Vorstellungen praktisch ausverkauft. Und wieder staunte man über Erreichtes, über die Leistung dieses Ensembles, das ab Primarschulpflichtigen bis hin zu Berufstätigen reicht, die praktisch alle im Bergdorf wohnhaft sind und gerade deshalb einen hohen Zusammenhalt auf den «Brettern der Welt» auszuspielen wissen. Alle setzten sich gleichermassen nachhaltig und leidenschaftlich fürs gute Gelingen ein, das stets dann seinen Anfang nimmt, wenn die rührige, kreative Regisseurin Ursi Kessler ihre Ideen kundtut.

Das Geschehen um Mary Poppins ist weltweit bekannt, die Melodien haben teilweise Kultstatus. Die Umsetzung ist für ein Laienensemble sehr fordernd, wird das Gezeigte doch mit Bekanntem verglichen. Das birgt Risiken. Die Bruuwalder Spiellüüt haben mit dem Realisieren und Aufführen viel Mut bewiesen. Da spielen gewisse Hänger oder zu Ausgedehntes, nicht immer perfekte Tanz- und Gesangseinlagen eine untergeordnete Rolle.

Die Besucher freuen sich, nehmen Anteil, geniessen umfassend

Das Musical Mary Poppins basiert auf der Kinderbuchreihe des australischen Schriftstellers P. L. Travers (1899 – 1996) und der gleichlautenden Disney-Verfilmung aus dem Jahr 1964. Die englische Ausgabe erschien erstmals 1934 in London, die deutsche Fassung 18 Jahre später. Im ersten Akt stellt der Lebenskünstler Bert das Haus in der Cherry Tree Lane vor. Hier wohnen George und Winifred Banks mit den beiden Kindern Jane und Michael. Ein auffallend reger Wechsel an Kindermädchen sorgt im elend gepflegten Heim vor allem beim ungemein strengen, zu harten, ja diktatorischen Erziehungsmethoden neigenden Vater für eine gewisse Unruhe. Er will für seine Kinder eine Dame, die über einen Leistungsausweis verfügt, der ganz auf seine Erwartungen abgestimmt ist. Auf die sanften Einwände und das Unverständnis seiner Kinder hört er gar nicht. Er ist stur, erfolgsorientiert, gewinnmaximiert (er arbeitet in einer Bank), hat absolut keinen Humor, ist gegen jede Form von Abwechslung oder gar Vergnüglichem, ist absolut beratungsresistent.

Nach dem Publizieren der Annonce in der Presse taucht Mary Poppins auf – ohne Arbeitszeugnisse oder Empfehlungen aus früheren Anstellungen. An ihr perlen die Einwendungen des Hausherrn und Vaters ab, sehr zur Freude der Kinder und Erleichterung seiner Gattin. Bald einmal ist die zaubernde, tanzende, singende und unkonventionelle Dame mit den Kindern allein. Sie misst die Kinder aus und teilt ihnen Charaktereigenschaften der treffendsten Art zu, aus ihrem Gepäck zaubert sie einen Blumenstrauss hervor – sie ist rundum faszinierend., erledigt alles mit viel Gelassenheit, reisst mit, greift dann korrigierend ein, wenn es brenzlig wird, tollt im Park mit den Kindern rum, stösst auf die geheimnisvolle Taubenfrau, die mit wenig Geld zu ihren gefiederten Lieblingen schaut. Im Park können die Kinder Drachen steigen lassen, Tänze von Feen bewundern. Absolut in die Hosen geht ein Erziehungsversuch des Vaters. Seine Kinder haben ihn an den Arbeitsplatz zu begleiten, sollten spätestens dann merken, wie bedeutsam sein Denken und Handeln ist. Spätestens jetzt beginnt George Banks zu merken, dass auch andere Werte hohe Gültigkeit haben und jene Lebensqualitäten in sich bergen, die für ihn, den einst strammen Banker, noch – aber nicht mehr lange – Neuland sind. Er nimmt das beinahe unaussprechliche Zauberwort auf, beginnt zu tanzen, lässt es zu, dass der Lebemann Bert mit Schornsteinfegern und seinen Kindern tanzt. Er beginnt, sich an Farben und Blumen zu freuen. Es bahnt sich – passend zu aktuell gültigen, sorgsam gepflegten Weihnachtstraditionen – ein Happyend der Sonderklasse an. Alle sind glücklich, verstehen sich weit besser als auch schon. Gute gesellschaftliche Werte haben sich durchgesetzt. Verständlich wehmütig winken die Kinder der wegfliegenden Mary Poppins nach. Sie hat sich auch von Bert verabschiedet. Die Leistungen des Ensembles sind in jeder Beziehung inhaltsstark. Bühnenreife ist ebenso feststellbar wie die Lust am Spiel. Alle setzen in ihren Rollen so gute Akzente. Die Regisseurin Ursi Kessler hat mit feinem Gespür Rollen zugeteilt und alles zu einem absolut beeindruckenden Ganzen zu fügen gewusst. Es wäre vermessen, im Rahmen dieser Besprechung die einzelnen Darsteller besonders hervorzuheben, haben doch alle mit riesigem Einsatz zu einem Gelingen beigetragen, das nicht selten verdienten Szenenapplaus provozierte. Vieles fiel so wohltuend positiv auf. Das waren beispielsweise die Tanzszenen, die dem Könenn so gut angepasst waren, es waren die Gesangseinlagen, die beinahe zum Mitsummen einluden, es tauchten so reizende Kaminfegerchen auf, das Haushaltstrio war umwerfend, Mary Poppins strahlte enorme Ruhe und Coolness aus, der Banker namens Mr. Banks wandelte sich vom stur Befehlenden zum richtigen Genussmenschen, seine Gattin agierte zuweilen als dezidiert argumentierende Frauenrechtlerin, die beiden Kinder der Familie, Bert oder die Taubenfrau weckten enorm viel Gefühle, wieder andere agierten in verschiedensten Rollen. Und mit riesigem Einsatz sorgten andere für die richtige Beleuchtung, den Bühnenaufbau, passende und reizvolle Bildprojektionen, waren für so passende in oft liebevoller Kleinstarbeit gefertigte Kostüme, im Schminkraum und anderswo tätig. Man verweilte in der Pause beim gespendeten Apéro und spürte in vielen Gesprächen, dass die Leistung der Bruuwalder Spiellüüt ganz viel Freude, Anteilnahme und Begeisterung geweckt hat und dass wohl auch die letzte Vorstellung am Neujahrstag wieder ausverkauft sein wird.