Max Küng und Wassserfall

Das Klublokal des VEKA hat es in sich. Es beginnt zuweilen bereits an der Billettkasse samt Vorplatz. Gut Gelaunte stehen rum, schon mal ein Bierchen in der Hand oder tiefe Züge aus der Zigarette geniessend. Man begrüsst sich freundschaftlich, ältere Besucher kramen in solchen Momenten schon mal im Namensgedächtnis rum.



Max Küng und Wassserfall

Der freundliche Ticketverkäufer – gar adrett mit seiner Livree – händigt die Karten aus. Schon ist man im Raum, der für die anschliessenden Stunden für Lesung, Bücherkauf, Verweilen an der Bar, wilder Musik aus dem Schatzkiste des DJs Wasserfall, Gespräche einen doch besonderen Aufenthalt auf Zeit bedeutet. Die Verknüpfung an Fakten hatte es in sich.

Der Raum füllte sich rasch, noch mussten Stühle reingetragen werden. Die Begrüssung ab Bühne war kurz und herzlich. Max Küng nahm vorne Platz, ordnete die Unterlagen und dann ging es über eine Stunde hinweg mit einem wahren Feuerwerk an munteren Feststellungen, wortreich und riesig geschickt verpackt, los. Und es wurde rasch hörbar: Küng ist klug wählend, ist als scharfsinniger Betrachter unterwegs, ist Sammler von Ereignissen, die für andere auf ewig unentdeckt bleiben. Er hat ganz viel «Gschpüri», ist Behutsamem nicht abgeneigt, ist Geniesser und zuweilen gnadenlos Kommentierender.

Er schreibt – und das ist sehr lobenswert – nie primitiv oder ehrverletzend, auch wenn es dazu Grund gäbe. Und wenn man ihn als «Meister seines Fachs» bezeichnet, ist das gleichbedeutend mit Kompliment, Dank für Erlebtes, gehörige Bewunderung über die Gabe des klugen Betrachtens und Auswählens, Staunen über theaterfernes Präsentieren ohne schicksalsschwangere überschwängliche Momente, Staunen über Kreativität und Geschick, aus eigentlich Kleinem etwas ganz Spezielles wachsen zu lassen.

Zu Beginn las Küng aus seinem Roman «Wenn du dein Haus verlässt, beginnt das Unglück».

Beim raschen Durchlesen des Klappentextes erfuhr man, dass er 1969 bei Basel das Licht unserer und seiner Welt erblickte, anfänglich als Computer-Programmierer tätig war und dann die Ringier-Journalistenschule absolvierte – ein übrigens weiser und bei seiner literarischen Fangemeinde sehr willkommener Entscheid. Ganz, ganz knapp vor der Jahrtausendwende begann er als Journalist und Reporter beim Magazin des Tages Anzeigers, veröffentlichte seinen bisher erfolgreichsten Roman «Wir kennen uns doch kaum» und lebt mit seiner Familie seit 2005 in Zürich.

Für den Abend im Holenstein-Areal war das Literarische wesentlich, war mit hoher und verständlicher Spannung erwartet worden. Und Max Küng hatte die Zuhörerschaft bald auf seiner Seite. Sein sorgsames Betrachten und Aufgreifen kleiner Details, die er so gekonnt zum Ganzen, zum klar strukturierten Bild fügt, seine verständliche, lebensnahe Sprache, die kleinen, zuweilen willkommenen Seitenhiebe, der Einbezug von liebenswürdigen Geschehnissen, sein Vermuten, sein kluges Feststellen und Rapportieren waren kleine Sternstunden im Halbminutentakt. Sie gaben Anlass zum Schmunzeln, Lachen, ganz kurzem Innehalten und Reflektieren in gedanklichen Reisen, die überall hin führten.

Es begann mit der unscheinbaren Gurkenscheibe aus dem fernen Spanien. Sie lag im Kies unter einer schweizerischen Sitzbank, in irgend einer Parkanlage, erlebte den beginnenden Morgen in der Grossstadt, träumte vielleicht noch vom sprichwörtlich berauschenden Fest jener, die sich nachts auf eben dieser Bank niedergelassen hatten. Eigentlich hätte sie – die Gurkenscheibe – Teil eines Gin Tonic sein müssen. Aber manchmal kommt es ganz anders. Sie wurde im wahrsten Sinne des Wortes fallengelassen. Eine ganz gewöhnliche, lästig brummende Fliege traf auf sie, verfing sich später in einem Spinnennetz, wurde kunstvoll leergesaugt (samt Gurkensafttröpfelchen), was für eine Amsel keinen Hinderungsgrund darstellte, sich ausgerechnet diese Spinne einzuverleiben. Der Kater hätte die Amsel beinahe erwischt, schliesslich hiess er trotz seiner Bedächtigkeit «Speedy». Aufgescheucht wurde er durch den Hund Shiva, der bei dieser Jagd unter ein Auto geriet, was zum Zwiegespräch zwischen Hundehalter und Autofahrer und der Fahrt ins Tierspital führte – alles beobachtet von einem noch leicht müden Briefträger, dessen Arbeit Küng wiederum sezierte, kommentierte. Einem Haus, das vom Briefträger beliefert wird, streift er das Dach ab, gelangt in Zimmer, zu Familienschicksalen, Schlafenden, An- und Abwesenden.

Mit dem Lesen verschiedenster Kolumnen, die letzte dieser Reihe noch brandneu, ja exklusiv bis zum 11. Februar, entführte Küng so geniesserisch, klug schildernd, mit riesiger sprachlicher Eleganz ins Alltagsgetratsche, in nahe und ferne Länder, in exotische und geografisch nahe Gegenden (sogar Aeugstenbahn, Schwarzstöckli, Tödi und anderes fanden beim damals sehr müden Wanderer Erwähnung), liess einen bei elend langen Namen verweilen, gab Einblicke ins Leben politischer Zeitgeister oder liess Gourmetfreunde an der Vermischung von Schabzieger und Darwida teilnehmen. Er zeigte auf, wie gar Geschickte, einen Wurstsalat einnehmen und gleichzeitig ausführlich zu reden vermögen; Motto: «Wurst rein – Wort raus». Es war ein riesiges Rumsausen, das eigentlich fast zu rasch endete.

Und wie lange und intensiv es weiterging, wissen jene, die ausharrten, zu geniessen bereit waren und sich eine vielleicht kurze Nachtruhe gönnten. Auf alle Fälle darf man sich auf neue Begegnungen im VEKA freuen.