Mein Leben als «Kampfhund»


Vor ziemlich genau 12 Jahren wurde ich geboren, genau als Milleniumsbaby am 1. 1. 00.
Meine ersten zweieinhalb Jahre verbrachte ich abwechselnd im Tierheim oder bei irgendeinem «Schlufi», der mich dann nach einigen Tagen wieder zurück ins Heim brachte. Schon bald hatte ich den Glauben an die Menschheit verloren.
Ende Juni im Jahr 2002 kam mein neues Fraueli ins Tierheim. Also, sie wusste noch nichts von ihrem Glück … Da sie ja eigentlich einen anderen Hund wollte, vor Kurzem hat sie ihren Colliemischling einschläfern lassen müssen. Sie wollte niemals einen Hund meiner Rasse. Da hat sie die Rechnung ohne mich gemacht. Alles habe ich gegeben, um die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Meinen ersten Spaziergang mit meinem neuen Fraueli werde ich nicht vergessen. Ich liebte sie doch schon auf den ersten Blick, kaum aus dem Zwinger, rammelte ich schon ihr Bein. Hoppla, das hat sie mir aber schnell ausgetrieben! Sie hat mir lieb, aber konsequent gezeigt, dass sie das nicht haben möchte. Sie ging dann aber ohne mich nach Hause. Ich ging in Hungerstreik, auch habe ich ständig an sie gedacht und geheult. Die Tierheimbesitzerin hat dann die Nummer von Jeannette gewählt und hat ihr erzählt, was sie in mir ausgelöst hat. Ein schnelles Wiedersehen wurde vereinbart. Jeannette kam dann mit ihrer ganzen Familie. Diese waren überhaupt nicht begeistert, dass ich ein Listenhund bin. Aber ich weiss noch nicht, mal was diese Worte «Listenhund» oder «Kampfhund» bedeuten und trotzdem begleiten mich diese Worte das ganze Leben lang. Der Vater von Jeannette sagte, ich solle mir einen anderen Hund aussuchen, er wolle nicht mit «so» einem Hund zusammenleben. Aber er hat die Rechnung ohne Jeannette und mich gemacht. Er wollte nur rasch was aus dem Auto holen, diese Gelegenheit nutze ich und sprang in den Kofferraum. Man hat mich um keinen Preis mehr aus diesem Auto gebracht. Ich wollte leben, ich wollte fühlen, wie es sich anfühlt, geliebt zu werden, ich wollte mit nach «Hause», ich wollte einfach HUND sein ...
Ab diesem Tag waren Jeannette und ich unzertrennlich. Wir besuchten die Hundeschule, gingen auf lange Wandertouren, ich war ein toller Reitbegleithund … Genau – ich durfte Hund sein!
Wenn mein Fraueli Liebeskummer hatte, war ich, der sie trösten konnte, wenn sie was Tolles erlebt hatte, war ich dabei oder ich hab mich mit ihr gefreut. Ich bin einfach ein toller Freund … Irgendwann zog es mein Fraueli zurück in ihre alte Heimat – ins Wallis. Schon als Kind war es ihr grösster Wunsch, wieder zurück ins Wallis zu ziehen. Also habe ich sie begleitet. Wir hatten ein wunderschönes Jahr dort. Mein Fraueli ist aufgeblüht, hatte sie doch endlich ihren grossen Traum erfüllt.
Eines Tages kullerten Riesentränen über die Backen, ich habe sie getröstet, es war nicht dieselbe Trauer, die sie sonst hatte, wenn mal was nicht geklappt hatte oder wieder mal Liebekummer hatte. Ich hab es nicht verstanden. Sie hat geweint und mich immer wieder an sich gedrückt und was von Rassismus und unfair geredet, bis ich gemerkt habe, dass ich der Grund bin. Das nur, weil ich ein «Kampfhund» bin. Ein Gesetz zerstörte auf einmal einfach alles. Eine Liste wurde erstellt, dies seien gefährliche Hunde und werden verboten … Mein Fraueli verstand die Welt nicht mehr. Ihr bester Freund «gefährlich».
Aber ihr glaubt nicht, was mein Fraueli getan hat, den Traum, den sie schon als kleines Kind hatte, im Wallis zu leben, hat sie aufgegeben, für mich. Den Job gekündigt und wieder ab ins Glarnerland. Wisst ihr, sie hat mir versichert, dass im Glarnerland die Leute noch normal sind, dass wir dort willkommen sind. So war es auch. Noch nie mussten wir uns beleidigen lassen, noch nie hatte uns jemand beschimpft, keiner erwartet, dass ich Leine und Maulkorb trage.
An einem Montagmorgen, kurz nach dem Aufstehen hat Fraueli wie jeden Morgen die Zeitung gelesen. Plötzlich Tränen, die über ihr Gesicht liefen, genau solche Tränen hatte sie doch vor einigen Jahren schon mal, als wir im Wallis wohnten …
Sie streichelte mir liebevoll über meinen Kopf, schluchzend sagte sie mir, dass es einfach nicht fair ist. Schon wieder werde ich verurteilt was Böses zu sein. Dabei will ich nicht mehr sein als einfach ein Hund, der beste Freund des Menschen.
Langsam schmerzen meine Knochen, das Rennen fällt nicht mehr so leicht wie früher. Am liebsten schlafe ich unter der Bettdecke von meiner besten Freundin, die immer zu mir gestanden ist. Die mit Stolz sagt, sie habe einen tollen American Staffortshire Terrier. Frauchen ist unendlich traurig, sie soll mir meine geliebte Freiheit nehmen, soll mich in meinem hohen Alter noch an einen Maulkorb gewöhnen … Nie wieder mit ihr durch den Schnee tollen können, Schneebälle fangen, mit dem Ball über Wiesen rennen. Ich werde verurteilt, lebenslänglich in Ketten gelegt, obwohl ich einfach nur Hund sein will, obwohl ich einfach seit Jahren der beste Freund des Menschen bin.
Ich lebe in einem Rudel von sechs Hunden. Meine Kollegen dürften weiterhin rennen, toben und ihr Leben geniessen. Ein Gesetz soll nun einfach verbieten, dass ich mein Leben noch geniessen kann. Mein Fraueli kann nicht mehr umziehen, da wir uns ein tolles Leben im Glarnerland aufgebaut haben … Wenn sie könnte, sie würde es tun … Denn ich bin ihr bester Freund, sie hat immer das Gute in mir gesehen und ich liebe sie so sehr dafür!!!
Die letzte Hoffnung ist einfach, dass die Glarner noch normal sind und an der Landsgemeinde nicht rassistisch entscheiden, dass sie das Gute sehen wie es mein Fraueli auch gesehen hat, obwohl sie Vorurteile hatte.
Ich liebe dich über alles, mein geliebter «Kampfschmuser»

dis Fraueli Jeannette Beer