Mein Nachbar Urs – Geschichten aus Olten – Buchbesprechung II

Die sommerliche Hitze bringt es mit sich, dass man sich zuweilen am liebsten an einen schattigen, geschützten Ort begibt – mit liebgewordener Lektüre und Tranksame. Der mit seiner Familie in Olten lebende Schriftsteller Alex Capus gibt in gut erfassbarer Art vor, wie sich Gespräche mit vertrauten Nachbarn ergeben. Und wenn die alle Urs heissen, ist der Titel des Buches vorgegeben.



2. Buchbesprechung (peter meier)
2. Buchbesprechung (peter meier)

In Olten sei – mit Bezug auf den Klappentext – das Leben «übersichtlich und friedfertig». Einzubeziehen sind die fünf Nachbarn, die alle Urs heissen. Einer will partout nicht, dass man über ihn schreibt. Deshalb hat sich Capus auf die Zahl Fünf festgelegt.
Und es ist weiterzulesen: «An milden Sommerabenden trifft er sich mit ihnen auf dem kleinen Kiesplatz, um Würste zu braten und zusammen ein Glas zu trinken. Dabei erfährt er die interessantesten Sachen.»

Es sind auf diese Art einfach reizende und kurzweilige Geschichten entstanden. Niemand nimmt ein Blatt vor den Mund. Man kennt sich bestens in dieser kleinen Stadt.
Capus schwärmt drauflos – beispielsweise wie er beim morgendlichen Lesen auf seinem Balkon schon mal den ersten Urs beim Einnehmen des Frühstücks sieht. Wenig später fährt der zweite Urs auf seinem Rad vorbei, er nimmt den Zug nach Bern und ist im Bundesamt für Veterinärwesen tätig. Abends spiele er notabene Bassgitarre in einer Hillbilly Band. Der dritte Urs ist Chemielaborant in einer Fabrik, die Sonnencreme herstellt. Er repariere in seiner Freizeit italienische Motorroller, die er grosszügig ausleiht. Der vierte Urs ist geschieden und wohnt in einem viel zu grossen Haus. Der fünfte Urs versorge alle mit exzellentem Birnenschnaps, der auf einem abgelegenen Hof im Entlebuch schwarz gebrannt werde.

Man trifft sich oft – vorzugsweise auf besagtem, kleinem Kiesplatz, der mit ein paar Stühlen, einem Grill und einem Tisch ausstaffiert ist, damit so etwas wie einen Dorfplatz bildet. Dann geht es mit den intensiven, höchst vergnüglichen Plaudereien los. Man fühlt sich sofort einbezogen, wüsste eventuell eigene Weisheiten beizusteuern.

So erfährt man beispielsweise, dass die zahllosen Chinarestaurants in Paris – in den Achtzigerjahren wie Pilze aus dem Boden geschossen – in Sushi-Lokale umfunktioniert worden seien. Wissenswert ist zudem, dass in allen Tätowierstudios die chinesischen Schriftzeichen für «Weisheit» und «Gelassenheit» weltweit zu den beliebtesten Motiven gehören. Wieder einer gibt preis, dass der typische Kopfschmuck der Indianer (Stirnband mit Feder) eine Hollywood-Erfindung sei. Dann unterhält man sich über die Eichhörnchen im Stadtpark, die allesamt von den Katzen gefressen worden seien – was wiederum zum Philosophieren über die riesige Zahl von Katzen führt.

Irgendwann landet man bei den verschiedensten Velos, der geeigneten Ausrüstung, den Fahrtechniken der Senioren auf den Elektrobikes. Ist diese Thematik erschöpfend ausdiskutiert, wird zur Politik gewechselt. Da kann man sich über die Befindlichkeiten der Regierenden langfädig unterhalten.

Und während man sich auf den währschaften Grillabend vorbereitet, dreht sich eine Unterhaltung um die Selbstmordwelle unter Lehrern in China – es wird mehr oder weniger sachkundig vermutet, dass das mit der Ein-Kind-Politik in diesem fernen Land zu tun haben könnte. Es wird geraucht, ein klein wenig getrunken, über eigene und fremde Kinder geredet, Gedanken über Lebenserwartungen ausgetauscht – alles erfrischend munter, ehrlich, zuweilen enorm leidenschaftlich.

Weitere Kapitel – von Olten und weit anderswo handelnd – tragen die Titel «Räuber und Poulet», «Scheidung», «Ein geostationärer Jetlag», «Olten Road», «Zwei Oltner Buben in der Fremde», «Mein französischer Bistrostuhl», «Kamele und Kokosnüsse», «Vom Sirren der Gleise» oder «Mein Ausflug mit Prinz Charles».

Es ist riesig Vergnügliches angeboten, passend zu Abenden in den eigenen vier Wänden oder dem munteren Gedankenaustausch über nicht Weltbewegendes, aber irgendwie Willkommenes.