Eveline Hasler hatte sorgsam und mit immensem Aufwand recherchiert. Irgendwie sei diese Thematik auf sie zugekommen, habe sie immer stärker beschäftigt. Die Schicksale der von den Nazis in den Kriegsjahren 40 / 41 verfolgten Künstler und Intellektuellen und die drohenden Deportationen der bald 16-jährigen Kinder aus Heimen in Frankreich in Vernichtungslager arbeitete Eveline Hasler mit akribischer Genauigkeit auf und stiess bei dieser Suche unter anderem auf die einst in Ennenda wohnhafte Rösy Näf, die ein Kinderheim in Toulouse leitete und mit ihrem beherzten, zuweilen nicht ungefährlichen Engagement viele Kinder vor dem sicheren Tod retten konnte.
Die Lesung wurde zu einer Vermischung aus dem von Roman- und geschichtlichen Sequenzen geprägten Buchinhalt, den Hinweisen zu Rösy Näf und der Preisgabe von persönlichen Erlebnissen der engagiert forschenden und mit spürbarem Einfühlungsvermögen schreibenden Autorin. Zudem wurde eine von Barbara Streiff geschaffene Erinnerungstafel gezeigt. Sie wird dereinst am Wohnhaus von Rösy Näf angebracht. Für diesen Schritt eingesetzt hat sich auch der einst an diesem Ort wohnhafte und als Buchhändler tätige Jon Häberli, der mit Rösy Näf verwandtschaftlich verbunden war. Mit ihrer Begrüssung wies Gabi Ferndriger, Geschäftsführerin der Buchhandlung Bäschlin, Glarus, auf das spannungsvolle, intensive Begegnen hin und heisst unter anderem Roland Schubiger als Behördenvertreter willkommen.
Zum Wirken von Rösy Näf
In den damaligen Kriegswirren wurde die im Jahre 1911 geborene Ennendanerin Rösy Näf Leiterin eines Waisenhauses in Toulouse. Den Namen «La Hill» wählte man wohl bewusst. Näf wurde mit der Leitung beauftragt, weil sie sich als unerschrockene, junge Kraft aus einem neutralen Lande nachhaltig zu engagieren wusste. Das Waisenhaus wurde unter der Schirmherrschaft des Roten Kreuzes geführt. Die unter dem Begriff der Neutralität gültige Führung bewahrte einen Teil der aufgenommenen Kinder nicht vor dem sicheren Tod. Mit der Leitung beauftragt wurde Näf durch ihren Vorgesetzten Maurice Dubois. Näf hatte während ihrer Arbeit in Lambarene gelernt, auch unter widrigen Umständen tätig zu bleiben. Als Vichy-Polizisten im Auftrage der Nazi-Besetzer mit der Durchführung von Razzien in diesen Heimen begannen, um unerwünschte und suspekte Leute, darunter auch bald 16-Jährige, in Vernichtungslager zu überführen, setzte sie sich energisch und nachhaltig für ihre Kinder ein und scheute auch vor Konfrontationen mit vorgesetzten Stellen in der Schweiz nicht zurück. Mehrmals führte sie Kinder illegal über die Grenze. Ihr sehnlichster Wunsch auf amtlich gutgeheissenes Überführen der betroffenen Kind in die sichere Schweiz scheiterte an der Sturheit eines Obersten, der in Bern wirkte, mit den Nazis offensichtlich sympathisierte und Rösy Näf ihres Amtes enthob, als sie zu stark – zu lautstark – intervenierte. Sie schrieb darüber: «Er (der Oberst) hät mich wie n ä Hudle behandlet » ... Irgendwie versöhnlich stimmt, dass die illegalen Grenzübertritte ab Frankreich weiterhin möglich blieben. Junge Frauen setzten sich dafür ein. Rösy Näfs Engagement wurde Jahre später mit hohen Auszeichnungen gewürdigt. Im Wohnkanton blieb ihr das bis heute versagt. Im Auftrage von Eveline Hasler hat Barbara Streiff eine kreisförmige Gedenktafel gestaltet, auf der ein symbolstarker, farbintensiver Stern heraussticht. Finanziell mitgetragen haben unter anderem die Buchautorin und die glarnerischen Soroptimisten, vertreten durch Hedi Steiger.
Eveline Haslers Schreibkunst
Der Buchtitel «Mit dem letzten Schiff» lässt mannigfaltiges Vermuten zu. Ist es irgend eine Schiffsreise? Handelt es sich um ein Unglücksschiff? Hat jemand mit letzter Anstrengung doch noch sein Schiff erreicht? Eveline Hasler gewährt keinen Spielraum für Derartiges. Sie führt mit ihrem ersten Kapitel in ein spannendes Geschehen ein, das zusehends an Dramatik, Direktheit, mit romanhaften Elementen durchsetzter Wirklichkeit gewinnt. Spannend und gekonnt spinnt die Autorin ihr Beschreiben weiter, lässt alles zu Handlungen werden, deren Abläufe faszinieren, Mitleid und Betroffenheit, Angst, Anteilnahme und abgrundtiefe Ablehnung auslösen. Die USA, das Kriegsgeschehen in Europa vorerst aus Distanz und zumeist unbeteiligt mitverfolgend, werden wach, als Erika Mann mit einer flammenden Rede auf die Bedrohung jüdischstämmiger Künstler und Intellektueller und Gegner des Nazi-Regimes aufmerksam macht. In der Person von Varian Fry wird einer ins ferne Europa geschickt, um sich dem Schicksal dieser oft prominenten Personen – wie Golo Mann, Max Ernst, Walter Mehring, Hannah Arendt, Lion Feuchtwanger – anzunehmen und ihnen unter Einsatz seines Lebens die rettende Reise in die USA zu ermöglichen. Fry und seine Helfer retten mit ungeheuer kreativen, nicht ungefährlichen Methoden, gegen 2000 Bedrohte. Eveline Hasler zeichnet diese Schicksale in packender, literarisch überzeugender Weise nach. Der Inhalt lässt einen fast nicht mehr los, gar leidenschaftlich und einfühlend ist so vieles beschrieben.
Auf subtile, detaillierte Art weist Eveline Hasler auf ein Stück Kriegsgeschichte hin. Sie löst Nachdenken aus und weckt hoffentlich auch Bereitschaft zum Einsatz gegen Gewalt, Brutalität und Ungerechtigkeit.
«Mit dem letzten Schiff»
Ein unschönes, heute noch belastendes Stück Zeitgeschichte brachte Eveline Hasler mit ihrer Lesung aus dem neuesten Buch «Mit dem letzten Schiff» einem spürbar interessierten Publikum im Soldenhoff-Saal Glarus näher. Bei vielen lösten die Inhalte Betroffenheit und Unverständnis über die damalige Haltung von Verantwortlichen aus unserem Lande aus.