Mord à la carte Schreckliches in heiler Bergwelt

Ein ganz klein bisschen Mut brauchte es, um bis zum herrlich gelegenen Grotzenbühl in Braunwald hochzufahren und sich – von majestätischen Bergen umgeben – mit einem Mord auseinanderzusetzen. Es luden die Bruuwalder Spiellüüt zu einer Theateraufführung ein, in die das Publikum einbezogen war – Wettbewerb sei Dank, und in deren Verlauf man ein ganz feines, mehrgängiges Nachtessen aus der Küche von Claudio Keller geniessen konnte.



in die das Publikum einbezogen war. (Bilder: p.meier)
in die das Publikum einbezogen war. (Bilder: p.meier)

Aber alles der Reihe nach. Mit dem Proben begann man unter Regie von Ursi Kessler im Frühling, machte über die Sommerferien hinweg eine Pause, studierte die zugeteilte Rolle eingehend und fand sich mindestens einmal pro Woche im Braunwaldner Proberaum zusammen. Als Aufführungsort wählte man die «Chämistube» auf dem Grotzenbühl. Der dort wirtende Claudio Keller nahm die Intentionen zu diesem Krimi samt Dinner gerne auf und setzte den inhaltlichen Reichtum des Theaterstücks «Familienbande» von Madeleine Giese kulinarisch so um, dass dem «guten Gelingen» gar nichts mehr im Wege stand. Das Publikum fand sich gar zahlreich ein, das Personal bediente zuvorkommend. Auf der Bühne stand ein festlich gedeckter Tisch. Aber wer nun glaubte, dass sich Schauspieler einfach hinsetzen lange, das Geschehen erhellende Dialoge führen und mit Tafeln beginnen, hatte sich gründlichst getäuscht. Auch nach Schluss des schaurig quirligen, manchmal verwirrlichen Geschehens – wer ist nun effektiv mit wem liiert, wer liess sich schon mehrmals scheiden, wer führt mit wem eine zärtliche Liaison, wann wird wie und wo angebandelt, wer ist vom Enterben am stärksten betroffen, wem schuldet der Patron am meisten Geld, wer hegt, dies mehr oder weniger berechtigt, den stärksten Groll, wer geht welcher geregelten Arbeit nach, wieviel Geld ist eigentlich für die Erbberechtigten verfügbar – hatten die Mitglieder des Ensembles noch keinen Bissen runtergebracht.

Da hatten es die gut gelaunten, erwartungsfrohen Gäste im Saal weit besser. Vor oder nach dem jeweiligen Gang, mit leckerem Salat, Kürbissuppe samt Zutaten und Hauptteil wurde man mit Theaterkost verwöhnt, die fern gängiger Klatsch- und Tratschstücke mit platten, voraussehbaren Abläufen garniert ist.

Im Zentrum des Bühnengeschehens ist der alte, mit Geld reich gesegnete Patron Steiner, der seine Lieben zu einem Essen eingeladen hat. Die nähere Begründung kennt niemand.

So findet man sich ein, begrüsst sich mehr oder weniger herzlich und harrt mit begreiflicher Spannung auf die Erklärungen zur Einladung. Je nach Provenienz sind die Gäste auf der Bühne zwischen gar festlich bis enorm lässig gekleidet. Einer witzelt über die beispielsweise zwei schönsten Tage in einer Ehe – es sei die Heirat und später die Bestattung der Liebsten. Damit wird schon mal auf einen möglichen Mord auf der Bühne eingestimmt. Man erfährt zudem Aufschlussreiches, nicht unbedingt Lebenswichtiges über die einst geknüpften Familienbande, die einem bunten Flickenteppich nicht unähnlich sind. Familienbande können auch Fallstricke sein – ein salopper Spruch ab Bühne, gefolgt von deutlichen Kommentaren. Eitel Freud herrscht gar nicht – so will es die Handlung. So setzt man sich, wartet auf die längst fällige Begründung, die zu dieser Einladung geführt hat. Das würde nun in jeder Regenbogenpresse genüsslichst kolportiert: Da hat sich der Patron wirklich entschieden, nochmals zu heiraten, seine Zukünftige ist satte 30 Jahre jünger. Ist der Name der florierenden, gewinnorientierten Unternehmung Steiner ein Begriff für die Ewigkeit? Man hegt als Zuhörender gleich grosse Zweifel, wie es bei den munter Agierenden der Fall ist. Die sind wahrlich in ihrem Element, kommen immer besser in Schuss, streifen die anfängliche Nervosität ab. Alle legen sich so ins Zeug, dass die anderen an die Unschuld glauben müssen – wenn dem so wäre. Jeder rückt sich ins rechte Licht, macht auf unschuldig, erwähnt so den einen oder anderen Schicksalsschlag, den es im persönlichen Leben zu verkraften galt. Es wird auch argwöhnisch vermutet, geurteilt. Da fällt – situationsgerecht – das Bühnenlicht aus. Nach der Behebung der Panne ist der Patron tot. Es wird tiefste Betroffenheit gemimt. Der Anwalt, zugleich Treuhänder des nun toten Patrons, schlägt vor, den Fall selber zu lösen. Das sei weit besser, als wenn die Polizei erscheine und mit ihren Ermittlungen beginne. Dem schliesst sich die Tafelrunde an. Es wird weiter tüchtig auf Entgleisungen im jeweiligen Familienleben hingewiesen. Eigentlich ist es sattsam Bekanntes, Alltägliches, wie es da und dort zuweilen passiert. Die Inhalte sind bühnenwirksam überzeichnet. Lacher aus dem Publikum bleiben nicht aus.

Man gewinnt den Eindruck, dass es sich bei dieser Steinerschen Gemeinschaft um eine sehr, sehr schwierige Familienkonstellation handelt. Die Familienmitglieder bringen es effektiv fertig, den Täter dank eigenem, verblüffend gradlinigem Recherchieren samt logischen Schlussfolgerungen herauszufinden. Es ist ausgerechnet der durchtriebene Anwalt. Er kommt im wahrsten Sinne des Wortes riesig «unter die Räder». Aber Mitleid will mit ihm keiner haben. Zu despektierlich hat er sich schliesslich aufgeführt.

Nach drei Stunden war das muntere, elend wirblige Begegnen vorbei. Es fand am Samstag seine Wiederholung.

Es sei aufs nächste Vorhaben der Theaterleute bereits jetzt hingewiesen. Zum Jahreswechsel wird «Mary Poppins» aufgeführt.