Näfelser Fahrt gedenkt jedes Jahr vier tödlich verunglückten Soldaten

In Erinnerung an das Minenwerfer-Unglück vom 15. Dezember 1941. Bei einer kombinierten Schiessübung am Montagabend, des 15. Dezember 1941, verloren vier Minenwerfer-Soldaten der Stabskompanie 85 nach einem Rohrkrepierer ihr Leben. Die Unfallursache konnte nie ermittelt werden.



Das Denkmal in unmittelbarer Nähe der Unglücksstätte (Bild: hasp)
Das Denkmal in unmittelbarer Nähe der Unglücksstätte (Bild: hasp)

Im Jahre 1944 weihte die Stabskompanie ein Denkmal in unmittelbarer Nähe der Unglücksstätte feierlich ein. Soldaten und Fussvolk gedenken jedes Jahr am Tag der Näfelser Fahrt den vier tödlich verunglückten Soldaten. Eine Ehrenformation legt dabei beim Denkmal einen Kranz mit rotweisser Schlaufe nieder. Zu diesem bewegenden, feierlichen Akt intoniert die Harmoniemusik aus Näfels oder Glarus, je nach Turnus, das Lied vom «Guten Kamerad». Als kleiner Bube musste ich stets mit meinem Vater an die Näfelser Fahrt. Mein Vater legte grossen Wert darauf, diesem Anlass bei Wind und Wetter teilzunehmen. Das galt auch für mich, und jedes Mal nahmen wir über viele Jahre gemeinsam den idyllischen, traditionellen Fahrtsweg entlang des Wiggis nach Näfels unter die Füsse. Dieser Tradition bin ich bis zum heutigen Tage treu geblieben. Das soll, solange Gott will, auch noch einige Jahre so bleiben. Ich habe tatsächlich bis zum heutigen Tage nebst der Corona-Fahrt im 2020 praktisch keine Fahrt ausgelassen!

Den schrecklichen Abend des 15. Dezember 1941, den mein Vater als Mitrailleur und Selbstbeteiligter an der Schiessübung live miterleben musste, und bei dem er liebe Kameraden im eigenen Blut sterben sah, hat bei ihm zeitlebens eine tiefe Wunde hinterlassen und ihn geprägt. Viel hat er mir über diesen schrecklichen Abend erzählt und jedes Mal, wenn das Lied vom guten Kameraden durch die Harmoniemusik vor dem Denkmal im Unter Bühl intoniert wurde, hat es ihn buchstäblich durchgeschüttelt. Zu tief waren die Erinnerungen an den Tod seiner lieben Kameraden. Er konnte dieses Trauma zeitlebens nie richtig verarbeiten.

Im Buch «Das Glarner Bataillon», herausgegeben aus Anlass des Jubiläums «125 Jahre Geb Füs Bat 85» schildert Hauptmann Werner Tschappu, von 1945 bis 1959 Kommandant der Stabskompanie 85, eindrücklich die dramatischen Ereignisse von damals:

«Am 11. November rückten wir wiederum ein und dislozierten über die Ennetbergen-Mullern-Mollis nach Weesen. Am 15. Dezember 1941 ist unterhalb von Netstal eine kombinierte Schiessübung angesagt. Ein Angriff einer Füsilier-Kompanie, verstärkt mit einem Grenadierzug, auf einen supponierten Bunker am Wiggishang wird von Maschinengewehr, Minenwerfer und Infanteriekanone unterstützt. Das ganze Szenario wird am Nachmittag durchgespielt, die Sicherheitsvorschriften werden genau beachtet. Am Abend wird das ganze Regiment als Zuschauer der Übung beiwohnen.

Alles ist bereit! Auf eine grüne Rakete beginnt der Feuerschlag der Unterstützungswaffen. Dann erhellt ein Blitz die Nacht, eine Explosion erschüttert die Luft. Beim ersten Schuss eines Minenwerfers krepiert eine Wurfgranate kurz nach Verlassen des Rohres. Einen Moment Stille, dann Schreie der Verwundeten. Diese werden zur nahen Scheune gebracht und dort verarztet. Es sieht schlimm aus! Zwei Spitalwagen bringen die 17 Verwundeten nach Glarus, darunter Leutnant Hermann, der später sehr schwer verletzt ins Universitätsspital Zürich überführt wird. Schon in der Nacht erliegt Mienenwerfer-Kanonier Karl Lüönd seinen Verletzungen. In den nächsten Tagen sterben Minenwerfer-Gefreiter Vitus Stadler, Minenwerfer-Kanonier Johann Hauser und Minenwerfer-Wachtmeister Willy Zingg.

Am folgenden Tag kommen Untersuchungsrichter und Fachexperten. Die Vorbereitungen und der ganze Hergang werden peinlich genau untersucht. Die Ursache des Unfalls konnte nie ermittelt werden. Dieses tragische Unglück und der Verlust der vier Kameraden schweisst die Stabskompanie noch mehr zusammen. Man ist sich als Kamerad, als Mensch nähergekommen. Als letzten Dienst vor der Entlassung begleitet das ganze Bataillon den Sarg von Wachtmeister Zingg vom Spital zum Bahnhof.»

«Ich hatt einen Kameraden …»

Der Korrespondent der Glarner Nachrichten – Kaspar Freuler – schrieb in der Ausgabe vom 22. Dezember 1941 über die militärische Bestattung eines der tödlich verunglückten Soldaten einen ergreifenden Artikel:

Durch die Schleier des schwindenden Schlafes tönt eine dumpfe Melodie, unregelmässig, als wenn mit einem Knochen auf Holz geschlagen würde, tönt von neuem, wiederholt sich, kommt näher. Es ist, als ob ein alter, todmüder Tambour der Heimat zuschwenken würde. Die letzten Sterne leuchten am Himmel, im ersten Morgengrauen stehen die Konturen der Strassen, die hohen Kirchtürme, die Dächergegen das hellere Grau des Winterhimmels. Der Glärnisch verliert sich im Dunst der Wolken. Da und dort werden Fenster hell, gelbe Vierecke, in denen die Schatten der Menschen stumm in die Strassen hinunter starren. Dann lösen sich aus dem Dunkel der Tiefe die ersten Gestalten, marschieren langsam in den mattgelben Schein der Laterne unter mir. Soldaten begleiten ihren toten Kameraden. Das Spiel voran. Die Instrumente schweigen, das Licht der Laterne spielt um sie. Nur der Tambour im letzten Glied schlägt seinen einförmigen, klagenden Schlag auf das dumpfe, abgespannte Fell. Und hinter ihm in Reih und Glied die Kompanie – Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten. Die Gewehre geschultert, im Gleichschritt, langsam. Mitten aus der Schar der jungen Soldaten ragt die Fahne, schwarz umflort, kaum dass ihr Rot-Weiss durch die Falten des Flores schimmert. Kein Lüftchen geht. Zwei Pferde ziehen den hohen Sargwagen, dessen schwarze Umhänge sich kaum aus dem Dunkel abheben. Der Laterne Schein fällt über das Banner mit dem weissen Kreuz im roten Feld, das den Sarg deckt und über die zwei mächtigen Lorbeerkränze. Die braunen Rösslein haben schon manchen gezogen, gleichmütig schreiten sie aus und verschwinden. Und hinter dem Sarg löst sich Zug um Zug, Kompanie um Kompanie aus der Tiefe des Dunkels, ein langer Heerwurm in Schritt und Tritt – das ganze Bataillon gibt dem Totendie letzte Ehre. Man erkennt keinen: nur Uniformen, Stahlhelme, Gewehre; düsterer Rhythmus der langen Marschkolonnen, aus dem Dunkel auftauchend, im Dunkel der Ferne verschwindend.

So begleiten sie am letzten Tag des Dienstes ihren jungen Kameraden. Eine Frau und ein Büblein warten auf ihn im hintersten Dorf des kleinen Tales. In der gleichen Stunde, wo sie sich sonst herzlich und voller Freude in die Arme geschlossen hätten, warten sie an diesem grauen, kalten Samstagmorgen auf einen Toten. Mit ihnen das ganze kleine Dorf…

Um vier Tote trauert das Bataillon. Ein unseliger Zufall hat sie mitten aus der Arbeit gerissen niemandem kann die Schuld gegeben werden. Vier Toten krachen die Salven über das offene Grab. Einen Augenblick lang steigt eine düstere Vision aus anderen Ländern auf: mit starren, blutenden Händen werden Gruben aufgeworfen, werden Hunderte hineingeworfen, indessen am Horizont die Feuergarben aufglühen und Kanonendonner die Stille zerreisst. Noch gilt in unserem Land das Leben, der Mensch, die Seele. Der Soldat rollt auf seiner letzten Fahrt der Heimat zu. Auf dem weiten Landsgemeindeplatz findet der Oberst mannhafte Worte des Dankes und des Trostes. Die rotweisse Fahne flattert im frischen Wind. Die Musik spielt: «Ich hatt einen Kameraden…» Schulkinder mit Tannzweigen und Kerzen wandern vorüber. Bald ist es Weihnachten!

Quellenangabe:
Textautor Kaspar Freuler, erschienen in den Glarner Nachrichten am 22. Dezember 1941