NOS-Schwingerverband entrüstet

Die Entscheidung, dass 120 ausgewählten Schwingern ab 17. März der Zugang zum Training im Sägemehl erlaubt wird, hat für Wirbel gesorgt. In der Nordostschweiz ist sogar zu vernehmen, dass der Entscheid von zehn Eidgenossen zu einem Verzicht führen wird. Sie wollen erst wieder ins Geschehen eingreifen, wenn für alle das Training erlaubt ist. In den anderen Teilverbänden hat man sich mit dem Entscheid grösstenteils arrangiert.



Im Schwingsport scheint man den Durchblick verloren zu haben. NOS-Schwinger wehren sich. (Bild: j.heer)
Im Schwingsport scheint man den Durchblick verloren zu haben. NOS-Schwinger wehren sich. (Bild: j.heer)

Nicht unerwartet hat der Entscheid des Eidgenössischen Schwingerverbandes in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sport (BASPO) und Swiss Olympic Trainings für 120 Schwinger ab 17. März wieder zu erlauben, für viel Diskussionen in der Schwingerszene gesorgt.

Nachdem per 1. März die Altersgrenze in einem ersten Schritt von 16 auf 20 Jahre angehoben wurde, durften per 1. März alle Schwinger mit Jahrgang 2001 und jünger wieder ins Sägemehl. Mit dem Brunnener Michael Gwerder (Jahrgang 2001) jedoch nur ein einziger Eidgenosse. Diese erste Lockerungsphase führte dazu, dass gewisse Schwinger (in erster Linie aus dem Kanton Bern, zum Beispiel Kilian Wenger) den Druck auf den Eidgenössischen Schwingerverband ESV erhöhten. Nachdem erste Versuche des Technischen Leiters Stefan Strebel im Zentralvorstand noch untendurch mussten, ist nach den Anregungen mehrerer Spitzenschwinger der Zentralvorstand gekippt. Dabei wurde eine Gruppe von 120 Schwingern definiert, denen das Training im Sägemehl wieder vollständig möglich ist. Dazu gehören alle «Bösen», genannt Eidgenossen, und zusätzlich aufgefüllt mit Berg- und Teilverbandskranzer. Der ESV bezeichnete dies als schrittweise Öffnung auf dem Weg zurück in die Normalität.

Zentralvorstand kippte

Beim ersten Versuch wurde Strebel vom Zentralvorstand von seinem Unterfangen noch ausgebremst. Entweder «alle oder keiner» hiess der damalige Grundsatz. Damit wollte man eine Zweitklassengesellschaft im Schwingsport unbedingt verhindern. Strebel schwebte vor, Schwingfeste für die besten 300 Aktiv- und Nachwuchsschwinger an zwei Standpunkten im Land (zur Debatte standen die Eishallen in Winterthur und Huttwil) durchzuführen. Diese besten auserwählten 300 Sportler hätten einen Sonderstatus genossen und wären quasi als Profisportler deklariert worden. Sportjuristisch gilt der Schwingsport immer noch als Breitensport. Darum wären per 1. März auch nur Nachwuchswettkämpfe (bis 20. Altersjahr) erlaubt worden. Nun aber ruderte der Zentralvorstand zurück und schuf eine Klasse von 120 Privilegierten.

Bewusstsein vorhanden

Zur Technischen Kommission bestehend aus Stefen Strebel und den fünf Technischen Leitern der fünf Teilverbände des Landes gehört auch die Stimme des Aktivenrates. Sie bestehen ebenfalls aus je einem Vertreter pro Teilverband und sie werden bei Beschlüssen miteinbezogen. Der zweifache Eidgenosse Florian Gnägi, für die Berner Schwinger Vertreter im Aktivenrat, hat die Entscheidung vom Zentralvorstand Eidgenössischen Schwingerverband mit positiven Gefühlen entgegengenommen. «Für den Schwingsport ist es wichtig, dass wieder etwas läuft.» Angesprochen auf die Bevorteilung gewisser Athleten entgegnet der Seeländer: «Man darf das Ganze nicht als Zweiklassengesellschaft anschauen, sondern als Start, damit bald wieder alle Schwingen können. Jedem Spitzenschwinger ist es bewusst und auch sehr wichtig zu erwähnen, dass es für den Schwingsport alle braucht.»

Ostschweizer dagegen

Weniger mit dieser Entscheidung anfreunden können sich die Nordostschweizer. Der Technische Leiter vom Schwingerverband Hinterthurgau Marc Zbinden hat sich schriftlich an den Zentralvorstand des Eidgenössischen Schwingerverbandes gewendet. Zbinden verlangt, dass der Entscheid zurückgenommen wird. «Der Entscheid zerschmettert eigentlich alle Grundsätze, die mit dem Schwingsport in Verbindung gebracht werden.» Der Thurgauer Turnerschwinger befürchtet, dass aufgrund des Entscheides Mittelschwinger, die jetzt ausgeschlossen sind und eigentlich das Rückgrat des Schwingsportes bilden, die Motivation verlieren und so nicht nur Schwinger, sondern auch zukünftige, wichtige Funktionäre verloren gehen.

Die Nordostschweiz lässt aber nicht nur wegen dem schriftlichen Einwand von Marc Zbinden aufhorchen, sondern auch wegen der Tatsache, dass sich 10 von 12 befragten NOSV-Eidgenossen dafür ausgesprochen haben, dass man auf den Entscheid vom ESV nicht eintritt und trotz Erlaubnis vorderhand nicht ins Sägemehl steigt. Sie werden erst wieder ins Geschehen eingreifen, wenn alle trainieren dürfen. Dazu gehören unter anderem alle Thurgauer Eidgenossen um Samuel Giger. Auch der Eidgenosse Tobias Krähenbühl, Präsident vom Schwingerverband Unterthurgau, sowie die Gebrüder Domenic und Mario Schneider wandten sich schriftlich an den ESV. Stefan Burkhalter äusserte sich gegenüber Tele Top zum Sinneswandel des ESV. «Die Mittelschwinger hätten das Training im Sägemehl nötig, sie wollen weiterkommen. Warum man jene stärkt, die schon alles erreicht haben, verstehe ich nicht.» Burkhalter verzichtet deshalb ebenfalls aufs Training im Sägemehl. Unterstützung kriegen sie von Marc Zbindens Vater Hansueli, seines Zeichen Eidgenössisches Ehrenmitglied. Er spricht von einem Schritt «Richtung Zweiklassensystem». Dieser Meinung sind zahlreiche weitere Grössen im Schwingsport aus der Nordost- und Innerschweiz, wie auch Hansruedi Hauser, eidg. Ehrenmitglied aus Elm.

Besorgniserregende Auswertung

Dass die Nordostschweizer Eidgenossen so reagieren, überrascht nicht. Der NOSV hat Anfang März unter den Schwingern eine Umfrage gemacht und die Resultate am 17. März auf seiner Website präsentiert. Rund 300 Nachwuchsschwinger, Nichtkranzer, Kranzer und Eidgenossen aus allen sieben NOSV-Kantonalverbänden haben daran teilgenommen. So sind fast 72 Prozent der Meinung, dass erst wieder geschwungen werden soll bei den Jahrgängen 2000 und älter, wenn es für alle erlaubt ist. Über 58% der Befragten finden es aber gut, dass bis 20 Jahre trainiert werden kann. Weitere 30% können damit leben. Besorgniserregend ist die Antwort von 25% der Schwinger, dass sie es als Rücktrittsgrund sehen, wenn nur die Spitzenschwinger an Wettkämpfen teilnehmen könnten.

Hinweis auf ESV-Leitbild

Der Nordostschweizer Schwingerverband verweist in einer schriftlichen Mitteilung auf die Meldung zur Umfrage vom 17. März auf das Leitbild des Eidgenössischen Schwingerverbandes. Darin heisst es: «Wir pflegen und fördern die traditionelle Sportart Schwingen in der ganzen Schweiz. Das Schwingen soll attraktiv und traditionell bleiben, präsentiert sich aber zeitgemäss. Die Bräuche und Werte des Schwingens werden von uns gepflegt, vorgelebt und an die kommenden Generationen weitergegeben.» Der Entscheid, eine ganze Gruppe an Schwingern so quasi auszuschliessen, widerspreche diesem Leitbild definitiv, sagen die Kritiker. Hinter dem Entscheid seiner Aktiven steht auch Fridolin Beglinger aus Mollis, Technischer Leiter des Nordostschweizer Schwingerverbandes. «Eine grosse Mehrheit in unserem Verband lehnt eine Bevorzugung einiger weniger Schwinger ab.» Der Maurer vertritt die Meinung der allermeisten Aktiven im Verband. «Wir machen uns Sorgen. Viele Schwinger haben angekündigt, dass sie aufhören, wenn eine Zweiklassengesellschaft eingeführt wird.» Beglinger wäre es auch, der innerhalb der Berg- und Teilverbandskranzer selektionieren müsste, wer zu den 26 Auserlesenen gehört, die Sonderrechte geniessen. Eine Auswahl, die zwangsläufig böses Blut auslöst.

Es gibt zwei Seiten

In der Innerschweiz ist die Haltung gegenüber dem Entscheid auch eher skeptisch. Der routinierte Eidgenosse Christian Schuler aus Rothenthurm beispielsweise sagte gegenüber Radio Central: «Ich freue mich natürlich sehr, dass ich wieder ins Sägemehl darf. Aber es gibt zwei Seiten, denn jene Schwinger, die jetzt nicht trainieren dürfen, sind mit der gleichen Leidenschaft Schwinger wie ich auch.» Schuler spricht sich klar gegen den Profistatus im Schwingsport aus. Sein Kantonskamerad vom Mythenverband Mike Müllestein ist mit der aktuellen Lösung genausowenig zufrieden wie Schuler ergänzt: «Entweder keiner oder alle, wäre die beste Lösung gewesen.»

Trotzdem entschied sich die Mehrheit der Innerschweizer dafür die neu geschaffene Trainingsmöglichkeit zu nutzen. In einer Medienmitteilung heisst es: «Die ISV-TK wie auch der Vorstand akzeptieren aber den demokratischen Entscheid des ZV und wollen vor allem den selektionierten Schwingern die Trainingsmöglichkeiten nicht verunmöglichen. Einige Schwinger mussten sich verletzungsbedingt abmelden. Es gab auch Schwinger, welche aus Solidarität zu den nicht berücksichtigten Schwingern auf die Selektion verzichteten. Dazu gehört der Urner Andi Imhof. Er sagt, «dass er das Training wieder aufnehme. Jedoch nur um den Jungschwingern im Sägemehl etwas beizubringen. Um mir selber einen Vorteil gegenüber jenen zu verschaffen, die nicht ins Sägemehl dürfen, das entspricht nicht zu meiner Art.»

Mehrheitsentscheid im Zentralvorstand

Während sich die Inner- und Nordostschweizer gegen eine Speziallösung aussprachen, waren die anderen drei Teilverbände Bern, Nordwest- und Südwestschweiz dafür. Am Ende entschied eine Mehrheit im Zentralvorstand für die Speziallösung mit 120 Eidgenossen und ausgewählten Schwingern. Ob auch im Kanton Bern sowie in der Nordwest- und Südwestschweiz Schwinger, die den Zugang erhalten würden, aus Solidarität auf die Trainingseinsätze verzichten, ist nicht bekannt. Sicher ist, dass es auch bei den Mutzen kritische Stimmen von Aktivschwingern gibt. Rolf Gasser, Geschäftsstellenleiter des Eidgenössischen Schwingerverbandes, sagte auf die Frage, ob der Mehrheitsentscheid durch den Meinungsumschwung der Berner möglich gewesen sei. «Nehmen Sie einfach zur Kenntnis, dass es einen Mehrheitsentscheid für dieses Konzept gegeben hat.»

Stufenweise Öffnung

Trotz den kritischen Voten bleibt der Eidgenössische Schwingerverband seiner Linie treu. «Es handelt sich hier um eine stufenweise Öffnung. Wir wollen jetzt beweisen, dass unser Rahmenschutzkonzept funktioniert und es bald für alle wieder möglich ist zu schwingen», sagt der Technische Leiter des Eidgenössischen Schwingerverbandes Stefan Strebel. Strebel gibt zudem zu bedenken, dass mittlerweile zwei Drittel aller Aktivschwinger (120 Eidgenossen und Ausgewählte mit Jahrgang 2000 und älter, alle Aktiven in den Jahrgängen 2001 bis 2005) wieder trainieren können. «Wir kämpfen nun für den letzten Drittel», zeigt sich Strebel optimistisch.

Die kritischen Voten aus der Schwingerszene kann der TK-Chef verstehen, er werde persönlich mit allen Kontakt aufnehmen, die sich bei ihm gemeldet haben. «Auch ich bin mit der Situation nicht zufrieden», erklärt Stefan Strebel weiter und ergänzt: «Ein weiteres Jahr ohne Schwingen können wir uns nicht erlauben.» Der Aargauer bestätigt zudem, dass die jetzige Öffnung fürs Training gelte. Einen Wettkampfvorteil erhalten die 120 auserwählten Schwinger also (noch) nicht. Solange eine Zweiklassengesellschaft verhindert werden kann, setzt man sich in der Nordostschweiz für eine einheitliche Lösung für alle ein. Sollte dies im Hinblick auf die beiden Eidgenössischen Anlässe im September gegenüber den anderen Verbänden für die Nordostschweizer zu einem Nachteil werden, muss auch in der Nordostschweiz über ein Training der Spitzenschwinger nachgedacht werden. «Dann geht es um Schadensbegrenzung», betont Beglinger. (JHE/MR)