«Obacht, da chunnt äs Auto»

In loser Folge veröffentlicht glarus24 in nächster Zeit verschiedene Anekdoten aus dem Leben von Hans Speck. Heute die zweite Geschichte aus seiner Jugendzeit.



Knabe auf Hauptstrasse beim Raben
Knabe auf Hauptstrasse beim Raben

Die älteren Netstaler Semester erinnern sich bestimmt noch gerne an die Zeiten, wo sie als Buben und Mädchen auf den Strassen und Gassen im Dorfe sich frei und unbeschwert bewegen konnten. Es gab damals keinen Verbotstafeln-Dschungel, kein Vorschriften-Wirrwarr, keine unnötigen Tempo-30-Zonen und keine endlosen Autokolonnen, die sich täglich mehrmals durch unser Dorf wälzen, hinter dem Steuerrad meistens genervte und frustrierte Fahrzeugführer. Es gab auch keine unverantwortlichen Raser und Autoposer, welche für erhebliche Lärmbelästigungen sorgen und mit ihren leistungsstarken und mitunter unzulässig getunten Autos unnötig Runden drehen, welche die Gesundheit unserer Dorfbevölkerung gefährden. Zu meinen Zeiten hörte man einzig ab und zu mal das Knattern eines dieselbetriebenen LKWs oder etwas laute Autos und Motorräder. Eine Mehrheit der Bevölkerung benutzte damals das Velo und diese waren technisch so ausgerüstet, dass man gar nicht auf die Idee kam, schnell zu fahren. Ja so war das in den 50er- und 60er-Jahren; eine heile Welt, von der wir heute leider nur noch träumen können!

Velokontrolle obligatorisch!

Die Velos von damals waren äusserst spartanisch ausgerüstet und hatten lediglich 1, maximal 3 Gänge. Den kleinsten Gang benutzte man, wenn es «gäch obsi» ging, den mittleren auf ebenem Terrain und den grossen, um so richtig in Fahrt zu kommen. Zusätzlich waren die Velos von Gesetzes wegen standardmässig mit einer Glocke ausgerüstet und als Bremse diente vielfach ein sogenannter Rücktritt. Trat man allzu brüsk auf diesen Rücktritt, war das manchmal gefährlich und gar mancher machte unsanft Bekanntschaft mit dem Asphalt. Damals war es obligatorisch, dass man immer zu Beginn des Frühlings sein Velo beim Gemeindehaus zur Frühlingskontrolle vorbeibringen musste, wo der Dorfpolizist das Velo auf Herz und Nieren prüfte. Gleichzeitig wurde für 5 Franken eine vorgeschriebene Velonummer mit der aktuellen Jahreszahl eingelöst und gleich am hinteren Schutzblech montiert. Damit war dann auch der Versicherungsschutz abgedeckt. Wurde einmal ein Schaden oder etwas Fehlendes durch die Hermandad entdeckt oder beanstandet, musste man seinen «Stahlesel» rasch möglichst entweder selbst auf den vorgeschriebenen Stand bringen oder unvermittelt beim Reparaturgeschäft von Heiri Merlo am Casinoweg vorbeigehen, wo dann Velomechaniker Heiri dank seinem hervorragenden Fachwissen und zu damals moderaten Reparaturpreisen das Velo nach den Wünschen der Polizisten wieder auf Vordermann brachte. Im Anschluss verlangte die Polizei nochmals eine Nachkontrolle. Nach erfolgter Abnahme gab es einen Stempel ins blaue Velobüchlein. Das alles gehört heute der Vergangenheit an – leider, muss man sagen. Die Velos von heute haben vielfach weder Beleuchtung noch eine Glocke installiert. Das Gesetz verlangt das offenbar nicht mehr. Ich finde das persönlich irgendwie fahrlässig und verantwortungslos! Denn Beleuchtung und Glocke gehören meiner Ansicht nach auch heute zur Standardausrüstung eines Velos! Die Unfallstatistik der vergangenen Jahre spricht Bände!

Die Landstrasse als Spielplatz

Der Verkehr auf den Strassen hielt sich damals in Grenzen, ja man könnte sogar sagen, es existierte gar keiner. Wenn wir Buben und Mädchen damals auf den Strassen, Nebenstrassen und Gassen spielten, hörten wir nicht täglich die Mahnung unserer Eltern: «Passed uf dr Strass uuf!» Es war eine Selbstverständlichkeit und überhaupt kein Problem, wenn wir beispielsweise auf der Landstrasse Fussball spielten, «Uusfangis» oder gar das «Schiitliverbergis» machten. Das mag für die heutige Jungend kaum verständlich und nachvollziehbar sein, entsprach aber damals der Realität! Kam trotzdem einmal ein einzelnes Fahrzeug dahergefahren, brüllte einfach einer von uns: «Uufpasse, da chunnt äs Auto!»

Im Sommer staubig …

Die meisten Strassen, vor allem die Nebenstrassen und Gassen in Netstal glichen um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert manchmal eher Naturstrassen. Manche Stellen waren vergleichbar mit der Altigerrunse. Die Landstrasse bestand anfangs mehrheitlich aus Kopfsteinpflaster. Später benutzte man Split und noch vor der Erfindung des Teers verwendeten die Strassenbauer ein Gemisch aus Kies und Steinen, Bindemittel und Wärme, welches als Asphalt noch heute im Strassenbau eingesetzt wird. Das Bindemittel ist allerdings nicht mehr dasselbe wie vor über 100 Jahren. Statt giftigem Teer ist ungiftiges Bitumen drin. Es war damals wirklich eine staubige Sache im wahrsten Sinne des Wortes. Vor allem im Hochsommer entwickelten die wenigen Fahrzeuge immer wieder lästige Staubwolken für die Anwohner entlang der Landstrasse von der Fridolins-Kurve bis hin zur Gärtnerei Keller im Unterdorf. Um diesem lästigen Staub entgegenzutreten, aber auch um den Strassenbelag vor der sengenden Hitze zu schützen, besprengte im Auftrage der Gemeinde bei heissen Tagen ein Fuhrhalter aus Netstal mit einem speziellen Druckfass den Strassenbelag mit Wasser. Es war für uns Buben eine gelungene Abwechslung, unsere Füsse unter dem Wasserstrahl abzukühlen.

… im Winter eisig 

Im Winter, vor allem wenn genügend Schnee auf der Landstrasse lag, hinterliessen die Fahrzeuge jeweils eine festgepresste Schneeschicht, die sich manchmal in ein blankes Eisfeld verwandelte, vor allem wenn es in den hartgepressten Schnee reingeregnet hatte und über Nacht eisige Kälte dazu kam. Das war dann anderntags der Zeitpunkt, wo wir Buben unserer Schlittschuhe an die Skischuhe schnallten, oder besser gesagt anschraubten. Diese unförmigen, aus Metall geformten Dinger konnten mit zwei Schraubgewinden an die Schuhsohlen geklemmt werden. Waren die Haltebacken einmal etwas zu leicht angezogen, flog man mitten in der Fahrt voll auf die Schnauze. Manchmal spielten wir wirklich mit dem Feuer, indem wir bei grösseren Fahrzeugen, beispielsweise bei Lastwagen uns einfach am Ende der Brücke anhängten und uns bis ins Unterdorf nachziehen liessen. Hätten uns die Eltern zugesehen, hätte ich wohl den Gurt meines Vaters auf meinem Allerwertesten zu spüren bekommen oder seine Standardstrafe, nämlich «uni Znacht» ins Bett gehen müssen. Mit dem Aufkommen des Verkehrs löste sich dieses Problem aber von selbst.