Ohne Rolf – die neue Kulturform

Niemand aus der geneigten Leserschaft hat wohl für einmal den Versuch gewagt, Zwiegespräche ohne Worte, dafür mit kurzen, treffend gewählten, schriftlichen Texten zu führen. Da wäre ein Scheitern vorprogrammiert. Worüber will man den überhaupt sprechen – pardon schreiben? Gesprächsinhalte ergeben sich ja meistens aus Begegnungen unter mehr oder weniger Gleichgesinnten.



Ohne Rolf – die neue Kulturform

Oder dann sitzt man einer frei gewählten, nur in Gedanken präsenten Person gegenüber, deren Reaktionen sich aus der jeweils gewählten Thematik heraus ergeben. Und an Stelle des Redeflusses hätten ausschliesslich geschriebene Texte – in möglichst kürzester Form – Gültigkeit.

Nun kann mit dem gesamten Vorhaben begonnen werden. Das luzernische Duo Ohne Rolf, bestehend aus Jonas Anderhub und Christof Wolfisberg zeigt in unnachahmlicher Weise vor, wie das zu geschehen hat. Beim Betreten der Aula unserer Kantonsschule ist freier Blick auf eine Spielfläche gewährt, die man so noch nie gesehen hat. Scheinbar planlos hingeworfene Papiere in Plakatgrösse liegen herum, vieles ist zerknüllt, anderes ist aufgehängt, trägt aber zur Klärung von zu Erwartendem herzlich wenig bei – es sei denn, man erwarte leicht Chaotisches, Unzusammenhängendes.

So liest man beispielsweise: «Wer weiss schon, wie der Tod aussieht ‘»; «Es heisst eigentlich Granzchnöppel»; «Ein doofer Charakter, den du da spielen musste»; «Pedant»; «Aber danach bist du weg»; «Senkju verimötsch»; «Kommen Sie hierher um nachzudenken?»; «Ein Himmelsstürmer « (gut sichtbar an oberster Stelle hingepinnt); «Nur der Punkt ist bei uns von zentraler Bedeutung»; Du hast geschätzt einen ganzen Baum verblättert»; «Tüpflischiisser».

Und nach kurzer Begrüssung durch die Veranstalter geht es los. So viele haben diesen Moment ersehnt, ja sehnlichst erwartet, sind dann an den Ort der ganz besonderen Begegnung hingegangen – und mussten ihr Kommen nicht für den Bruchteil einer Sekunde bereuen.

Die «Ohne Rolfs» haben sich mit Sicherheit tage- wenn nicht wochenlang hingesetzt, getextet, Abläufe des Geschehens besprochen, Eventualitäten einbezogen, sich mit Publikumsreaktionen – von ihnen provoziert – befasst, fast alle Gefühle dieser Welt auf ihrer Seite gewusst, sich über Diesseitiges und Jenseitiges – eben über «Gott und die Welt» intensiv unterhalten. Sie haben alles, was aus ihrer vielschichtigen Sicht zu behandeln ist, in beneidenswert kluger Weise gegliedert, haben den jeweiligen Ablauf richtiggehend clever, unter Einbezug einer riesigen Papiermenge mit wechselvollsten Inhalten, vorbereitet. Sie führen ihre Dialoge mit eigentlich wenigen Gesten, hängen das passende Plakat blitzschnell, für die gebannt Hinhörenden gut sichtbar, auf. Sie lassen sich Zeit, wenn nachzudenken ist, sie werden hektisch, ungeduldig, signalisieren Empörung oder Unverständnis, wenn das Gegenüber, schwerfällig oder anmassend tut. Es bedarf einer gehörigen Portion Aufmerksamkeit, um allem mehr oder weniger genau folgen zu können. So wird man zum Schnelllesen unbarmherzig erzogen. Aber derartige Prozedere sind so wundersam einmalig.

Der Beginn ist mit der «Stabat Mater» untermalt, später wird es wild – vor allem wenn man an die aufreizenden Szenen in der Bar samt Animierdamen denkt.
Die beiden stellen sich vor; Christoph samt riesigem, beinahe unstillbarem Durst auf Konfettischnaps, Botschaften hinhängend; Jonas mit Gespensterumhang ausstaffiert, mal andeutend, was kommen könnte. Man liest sich ein, spürt in sich aufkommende Vergnüglichkeiten, Betroffenheiten, geniesst enorm Wortwitziges, die Knappheit von Fragen und Aussagen. Aus dem Publikum wird ein Medium zu Hilfe geholt, das den Bekanntheitsgrad des gespenstischen Jonas vertiefend erfassen soll – da wird stimmlich alles verzerrt, gerät zu Unverständlichem. In fordernd raschen Wechseln sind Fragen, Kommentare, Munterkeiten, leicht Verletzendes, Ablehnung, Versöhnliches, Witziges und Schroffheiten beieinander. Man liest beispielsweise, dass die «Zeit uhrplötzlich rückwärts läuft», nimmt wahr, wie das Leben an mir vorbeiblättert».
Das Erlebnis- und Begegnungsfeld ist weit, sehr weit. Neben sehr Erdgebundenem wird man mit dem Aussehen des Gottes, dessen Macht und Ohnmacht konfrontiert. Beide sehen sich als Gott – aus ihrer jeweiligen Perspektive. Dieses auszudrücken, mündet für das gespannt mitvollziehende Publikum in eine wahre Flut von Empfindungen, oberflächlichen Erkenntnissen. Direktheit und Abgestimmtheit ab Bühne sind so genussreich.

Und nach der wohlverdienten Pause erscheinen die beiden Götter so, wie sie sich sehen. Und wieder beginnt ab Plakattexten das kurzweilige, intelligente, scheinbar spielerische Hin und Her. Wieviel Follower hat ein Gott? Wie steht es um die Influencer? Hat Gott mit gottesfürchtig, gottlos und anderem zu tun? Fragen, Kommentare, Hinweise und Aufforderungen, die Wechsel sind munter, temporeich. Es gibt wieder Hinwendungen zu irdisch Diesseitigem. Konsens wird mit Konfettigetränk gefeiert. Die so gestreute Unordnung beseitigt der staubsaugende Helfer, der sich um gar nichts kümmert, was noch zu spielen wäre.

Und dann ist definitiv Schluss – nach neckischen Zugaben. Der Heimweg ist dann mit stark Diesseitigem, mit Kälte, Glätte, Nässe und Dunkelheit garniert.