Oper Fiorina – nach Jahrzehnten zweite, stimmungsstarke Erstaufführung

Als die Kulturgesellschaft vor gut hundert Jahren zum Besuch der von Carlo Pedrotti komponierten Oper «Fiorina o la fanciulla die Glaris» dem «Melodramma semiserio in due atti» einlud, hätte wohl niemand gedacht, dass es zu einer gar denkwürdigen Wiederaufführung käme.



Impressionen von der Aufführung der Oper «Fiorina o la fanciulla die Glaris» in der Aula der Kantonsschule Glarus (Bilder: p.meier)
Impressionen von der Aufführung der Oper «Fiorina o la fanciulla die Glaris» in der Aula der Kantonsschule Glarus (Bilder: p.meier)

Es war einem Hinweis von dritter Seite zu verdanken, dass alles ins Rollen kam. Martin Zimmermann, Vorstandsmitglied der Kulturgesellschaft Glarus – einst war das die Konzert- und Theatergesellschaft – wurde auf eine Notiz im Jahrbuch des Historischen Vereins des Jahres 1943 aufmerksam gemacht. Jacob Gehring, ehemals Musikdirektor, erwähnt diese Oper. Er merkte unter anderem an: «Der italienische Komponist Carlo Pedrotti (1817–1893) hat 1851 eine zweiaktige, tragikomische Oper vollendet, die den Titiel «Fiorina – o – La Fanciulla di Glaris» trägt. Die Libretti schrieb Benedetto Serenelii, den Gehring nicht gerade der Gilde bedeutender Dichter zuordnete. Dass mit der Titelheldin tatsächlich ein Glarner Mädchen gemeint ist, bestätigt das Textbuch ausdrücklich mit der Angabe: «L azione si finge in un villagio presso il cantone di Glaris nella Svizzera.» Glarus hat wohl – so Gehrings Vermutung – einen «besonderen Ruf als lockendes Reiseziel genossen.» Es nähern sich bereits am frühen Morgen «mit dem unvermeidlichen Alpenstock bewehrte Viaggiatori di varie nazioni». Sie erreichen den Gasthof «Al Pellegrino» – mit welchem «Pilger möglicherweise unser Wappenheiliger, der St. Fridolin, gemeint war».

Der gesamte Text wurde gut lesbar auf die grosse Leinwand im Hintergrund projiziert, stets standen sich der italienische und deutsche Wortlaut gegenüber. Unterbrochen wurde die Fülle an Botschaften mit sehr stimmigen Bergfotografien von Fridolin Walcher.

Die fremden Touristen sind beim Wirtshaus angekommen. Sie verhandeln mit dessen Besitzer Eugenio (Harry Nicoll) über die Verpflegung. Gerade in diesem Moment erklingt der Kuhreihen «il famoso Ranz-des-vaches».

Giuliano (Aram Ohanian), der französische Maler, hätte nie gedacht, dass er im Verlaufe des bewegenden Geschehens seine Rettung den Klängen eines Alphorns zu verdanken hätte. Der tüchtige Maler ist gleichzeitig ein penetrant agierender, aufdringlicher Schürzenjäger, der es auf hübsche junge Mädchen abgesehen hat und sich recht unverfroren nach dem Befinden der beiden Wirtstöchter erkundigt. Fiorina (Sibylle Diethelm), die jüngere der beiden Wirtstöchter, liebt einen andern. Zu ihr gehört Giannetta (Elisa Donghty), Eugenios Tochter.

So treten neben Giuliano auch der lombardische Jäger Rodingo (Paul Kirby) und der reiche junge Dorfbewohner Ermanno (Thill Mantero) auf.

Es geht unglaublich bewegend zu und her. Dramatisch, dann wieder in gar feinen, lieblichen Momenten, mal heldenhaft und wuchtig, an anderen Stellen mit grosser Verspieltheit, temporeich oder bedachtsam sind die Orchesterleute (Glarner Kammerorchester, verstärkt mit vielen Bläsern, Harfe und Schlagwerk) im Einsatz. Sie überzeugen restlos, wie auch der Glarner Kammerchor und Mitglieder des Glarner Singvereins und die Solistinnen und Solisten, die sich in wechselvollsten Gefühlsebenen bewegen. Unter der Regie von Ann Allen ist Bewegendes gereift, das viel Kurzweil in sich birgt. Reto Cuonz dirigiert mit hohem Können, riesiger Präsenz, enorm einfühlend und kenntnisreich.

Man lässt sich gerne in diese eigentlich weit zurückliegende Gefühls- und Wortwelt einbeziehen, verfolgt das eingeblendete blumig-schwülstige Deutsch mit einigem Schmunzeln und ist am Schluss richtiggehend überzeugt, dass sich da schon alles zum Guten gewendet hat und sich die richtigen, füreinander bestimmten Personen zusammengefunden haben. Lange genug wurde geherzt, geflunkert, gelogen, geliebt, drauflosgeschwärmt, herbeigesehnt, intrigiert, sogar geschossen, in zuweilen riesiger Trauer gelebt, Gäste verwöhnt, Verdacht empfunden, nachgefragt, die Wahrheit zu ergründen versucht.

Vom Gehölz zugedeckt kämpfte Giuliano ums Überleben. Es war enorm dramatisch. Er, das «geistreiche Original», stellt sich (immer dem Textheft aus Bologna, 1852) folgend als «parfümiertes Überbleibsel» aus Frankreich vor. Die «Seufzer von hundert Liebenswürdigen und Schönen» seien ihm von allen Seiten entgegengeflogen.

Er singt dann von den «Verführungen des Lebens». Der sehr aufmerksam und homogen mitgestaltende Chor stellt fest, dass das eine schöne Lebensgeschichte sei. Eugenio meldet sich, redet über die «Starke Lieben in diesen Bergen». Die wachse mit dem Menschen und begleite ihn kräftig bis in den Tod. Giuliano zeigt seine in einem Album festgehaltene Geschichte. Dann wird mit der Besteigung des Berges – ab Bühne im Gleichschritt – begonnen.

Die erwachende Fiorina besingt ihre Liebe, schwärmt von der Schönheit der Umgebung. Wen liebt sie? Es bahnt sich Unheilvolles an. Fiorina singt unter anderem: «Oh, grausame Liebe, warum hast du meine Gedanken verwirrt?» Rodingo (Paul Kirby), der lombardische Jäger, ist überzeugt, dass ihm Fiorina folgt – aber ist es auch so? Fiorina gesteht ihre Liebe zu einem anderen ein, aber Rodingo ist da wild entschlossen: «Ich werde dich vom Rivalen loszureissen wissen.» Ermanno merkt bald, dass sich ihm ein Rivale nähert. Kommt es gar zum Duell? Guiliano (Aram Ohanian) will das genauer wissen. Es gibt leidenschaftlich, lange und heftige Gespräche. Giuliano beteuert, dass er die Welt kenne. Vor Fiorina kniet er sich gar nieder. Und wenig später hält ihm Rodingo heimlich eine Pistole ans Ohr. Es beginnen «Hass und Wetteifer.»

Der zweite Akt beginnt mit einem Wettschiessen, in Anwesenheit bewaffneter Älpler. Rodingo gibt sich rein, trifft haargenau. Der Chor besingt «Ruhm und Liebe», die in den Herzen geborgen sind. Rodingo ist sich sicher: «Der Triumph bleibt mir. Der Himmel hat die sanften Gefühle Fiorinas für mich aufgespart.» Es bahnt sich das – ungleiche – «Duell auf den Zufall» an. Ein Totgesagter taucht unerwartet auf, auch wenn Giuliano beteuert, dass Fiorina nun ihm – und nur ihm gehöre. Er zieht alle Register seines Könnens – vergeblich. Das von den Chorleuten so kompakt und wirkungsvolle dargestellte Volk macht sich wieder mit dem Alltag vertraut. Rodingo schreitet mit Fiorina langsam vom Gebirge herab. Und man vernimmt zum Schluss die Erkenntnis: «Der Schwur der Liebe ist Sphärenklang, der im Himmel ertönt.»

Nur zögerlich löst man sich aus dieser überbordenden Fülle von Herrlichkeiten, Wohlklang, Dramatik, Harmonie, Abneigung, Ehrlichkeit – den romantisch Veranlagten tat das bis in die Zehenspitzen einfach gut. Und andere wurden vielleicht ansatzweise zu romantisch Veranlagten.

Mit viel Fleiss, Können, hohem zeitlichem Aufwand und spürbarer Freude ist alles einstudiert und grad viermal angeboten worden. Es sei allen mit ganz viel Anerkennung und Wertschätzung gedankt.

Natürlich standen zu Beginn der Aufführungen Reden und Hinweise. Martin Zimmermann zeigte auf, dass der gesamte Entwicklungsprozess bis zu den Aufführungen beachtliche fünf Jahre gedauert habe. Zudem sei diese Oper seit 160 Jahren nicht mehr aufgeführt worden. Regierungsrat Dr. Markus Heer sprach über die hohe Bedeutung und Pflege der Kultur in unserer Gesellschaft. Er würdigte das hohe, professionelle Engagement der Kulturgesellschaft. Und nach dem ersten Akt waren gemütliches Verweilen im Freien oder dem Vorraum zur Aula und willkommene Verpflegungsmöglichkeit durchaus möglich.