Orchestrina Chur, Piazzolla, Mahle – musikalisches «Anderssein»

Mit einem, beim ersten Hinlesen ungewohnten Konzertprogramm wartete das von Anita Jehli dirigierte Orchestrina Chur unlängst in der reformierten Kirche Schwanden auf. Ungewohnt deshalb, weil zumeist unbekannte Kompositionen aus einer uns eher fremden kulturellen Schaffensbreite angekündigt waren. Musikinteressierte wurden über eine gute Stunde hinweg mit spannenden, spürbar sorgsam einstudierten und inhaltsstark interpretierten Werken geradezu verwöhnt. Dies war der grossen Abgestimmtheit und sorgsam ausgedrückten Vielfalt der Orchesterleute, dem brillanten Auftritt des Solisten Yannick Frateur, Geige und dem umsichtigen Leiten von Anita Jehli zu verdanken.



Orchestrina Chur, Piazzolla, Mahle – musikalisches «Anderssein»

In südliche Breiten mit farbigem, lebhaftem Begegnen, Lebensfreude, Einherschlendern, Sehnen, Träumereien, dann wieder mit stillen, formschönen Momenten, abgelöst von Rufen und Tanz liess man sich gerne entführen. Es wurde eine Fülle ausgespielt, die von vielen Gefühlen geprägt war. Die Orchesterleute verfügen über eine hohe spieltechnische Fertigkeit, sind sehr präsent und nehmen die Intentionen ihrer Leiterin spürbar sorgsam auf, setzen das mit hoher Präzision und Geschick um, wecken damit einen wahren Reichtum an Aussagen, die formschöner nicht sein könnten.

Das Orchester entstand 1994 und steht seit 2012 unter der musikalischen Leitung der Cellistin und Dirigentin Anita Jehli. Bewusst wenden sich die rund 20 Musikerinnen und Musiker auch Werken aus dem 20. Jahrhundert zu, ziehen – falls erforderlich – weitere Laien und Profis bei, um themenbezogen einstudieren zu können. Die erfüllende Ganzheit stiess auf begreiflich hohes Interesse und grossen Dank.

Mit viel Herzlichkeit und Wertschätzung wurden zu Beginn alle von Ruth Tüscher, Präsidentin des Kulturvereins Glarus Süd – er feiert seine 99. Saison – willkommen geheissen. Man spürte die Freude, dass Kulturelles endlich wieder – wenn auch mit einigen coronabedingten Einschränkungen – angeboten werden kann. Und dass beim Abschied alle Interpretierenden eine Blume erhielten, war mehr als verdient.

Den Solisten, Yannick Frateur, lernte man als brillant und stilvoll, sehr differenziert ausgestaltenden Geiger kennen. Kraft, gestalterischer Reichtum, faszinierendes dynamisches Ausspielen, die Weiten und facettenreichen Inhalte bescherten spannende Abwechslung. Er setzte mit seiner Kunst zahlreiche Akzente und wusste sich vom Orchester hervorragend, mit hohem Einfühlungsvermögen begleitet.

Von Ernst Mahle (*1929) stammt «Viajando pelo Brasil III» (2000); Jose Evangelista (*1943) komponierte «Air d `Espagne». In den kurzen Sätzen klangen viel Spannendes, Kurzweiliges, Wechselvolles auf, sehr variantenreich und mit hoher Sensibilität ausgespielt. Von Astor Pantaléon Piazzolla (1921–1992) vernahm man in einem Arrangement für Violine und Streichorchester «Las Cuatro Estaciones Portenas». Man erfuhr aus dem Programm, dass man mit diesen Jahreszeiten nach Buenos Aires entführt werde, dass sich einige wenige Sequenzen an Vivaldis «Vier Jahreszeiten» anlehnen. Piazzolla verband Tangorhythmen mit Barockelementen. Sie klangen jeweils ganz kurz auf, vielen wohl bestens vertraut. Interpretiert wurden wie der vier Zeitspannen (Sommer, Winter). Jules Massenet (1842–1912) schrieb «Meditation» aus der Oper «Thais». Es handelt sich um ein Arrangement für Violine und Streichorchester. Hingabe und Können der Interpretierenden beeindruckten wieder in hohem Masse.

 

Der grosse Beifall war verdienter Dank für die erfüllende Ganzheit und führte zu einer gern gehörten Zugabe.