Pizza, Italianità, Gesang, Kochkunst und Wortakrobatik

Wirbliger, witziger, beseelter, leidenschaftlicher und wortreicher wird es in keiner Küche zu und hergehen als in jener, die von Silvana Gargiulo geführt und mit knappen Anweisungen ab Empfang eingedeckt wird. Da ist Nina Dimitri zuständig, korrekt, unnahbar, des Deutschen enorm mächtig, Anmeldungen und Anfrage von Gästen entgegennehmend.

«Buon Appetito» stand auf der Einladung zu einem extrem vergnüglichen und munteren Abend – nicht in einer der vielen Gaststätten, sondern in der Aula der Kantonsschule Glarus.

 



(Bilder: pmeier)
(Bilder: pmeier)

Küche samt allem, was so dazu gehört auf der einen, Barstühle, Tresen und Kasse auf der anderen Seite, klar getrennt von einem Paravent, als Türe und Beginn des gastlichen Verwöhnens dienend – mehr brauchte es nicht, da Silvana Gargiulo und Nina Dimitri das gastronomische und kochspezifische Geschehen in einer Art und Weise derart auf- und ausbauten, dass alles auch dem verwöhntesten Gast zugutekam. Müsste man die Fülle des Gesangs; der angedachten Speisen; die Geschichte einer Pizza wie sie nur in Napoli entstehen kann; den harmonischen und inhaltlichen Reichtum der italienischen Sprache; die zungenbrecherischen Übersetzungen und Ausdeutungen in unserem Deutsch, das so holprig geriet; und die Einführung in zu Realisierendes aus der Küche auf einer Speisekarte zusammenfügen, käme das zustande, was angeboten war: Absolute Spitzenklasse !

Da wieselte die Köchin Gargiulo in ihrem Reich herum, suchte das eine und andere, was fürs Würzen, Rühren, Garen, Probieren gebraucht wurde, knallte die Sachen hin, kommentierte, fluchte, staunte, überlegte. Dann kam besagter Paravent, der auch als Türe zum Restaurant und dem Empfang diente, an den die Köchin ungern anklopfte und nach praktisch jeder Anfrage zu schliessen vergass, wieder in ihre Schuhe schlüpfte und mal kommentierte, was so vernommen worden war. Das schauspielerische und musikalische Talent der beiden Damen, das klug auskomponierte Geschehen und das mitbewegend lustvolle Spielen waren verständlich häufiger Grund für viele Vergnüglichkeiten des grossen Publikums. Silvana Gargiulo ist eine Köchin, die man einfach liebgewinnen muss. Sie ist leidenschaftlich, stürmisch temperamentvoll, musikliebend, Gegnerin des holperigen Übersetzens das jede Italianità stark kränkt, ewig hungrig, Meisterin der kleinen, feinen und bühnenwirksamen Details, verkörpert eine irgendwie knurrige Herzlichkeit. Sie steht damit in krassem Gegensatz zur sachlich argumentierenden, wegen der fehlenden Deutschkenntnisse klar mahnenden, leicht ungeduldig fordernden Nina Dimitri, die Buchungen entgegennimmt, kulinarische Erwartungen notiert, wegen Überbuchung neue Gäste auf später vertröstet und die heftige Gefühlswelt ihrer brillanten Köchin zur Kenntnis zu nehmen hat. Da lässt sich garantiert nichts ändern.

Zuweilen wird dennoch am gleichen Strick gezogen. Eine echte Pizza ist ein Gedicht, ist kulinarische und gesellschaftliche Geschichte – auch wenn dieses Angebot auf der hauseigenen Speisekarte fehlt. Verliebtheit ist ebenso ein weiteres Kapitel wie Lieder, die in allen Teilen der Welt bekannt sind. Die Gesangskunst hält Kulinarischem die Stange, Nina Dimitri ist Meisterin des Gitarrenspiels und dem Bespielen des Charangos. Silvana Gargiulo kesselt mit dem Rührbesen in der Kuchenform rum, knallt Gewürzgläser schön im Takt aufs Schneidebrett, wirbelt mit dem gefährlich scharfen Messer in tollen Rhythmen auf dem zu zerkleinernden Gemüse rum.

Und wenn mit dem unüberhörbar herrischen Klingelton eine neue Bestellung bei der Köchin eintrudelt, wird auch mal – natürlich mit entsprechendem Kommentar – zubereitet. Es sind mehrere Gänge, die in der italienischen Sprache so wundersam aufklingen, den Appetit mit Anmut zu wecken vermögen. Insalata die Mare, Vengole, Spaghetti Pomodoro, einiges ist Tag und Nacht begehrt, wenn nicht bei uns, dann in Napoli. Und man verinnerlicht unwillkürlich die Erkenntnis, dass ein Teller Spagetti ohne Zugabe so etwas wie ein Garten ohne Blumen ist. Und so geht es kulinarisch angekündigt – kommentiert und fiktiv zubereitet – von Gang zu Gang weiter. Der Köchin beschert das Nachsprechen des Ausdrucks «Kalbfleischvögel» beinahe Halsbeschwerden, noch schlimmer ist der Begriff «Chrüzkümmel». Zuhören und Freude über grandiose Mimik waren hochklassige Erlebnisse, Dass man das Übermass an Essiggürklein zu verachten begann, wurde kommentarlos hingenommen, weckte Mitleid, wenn man das Klebrige, Haftende mitbekam. Eine musikalische Hommage galt zwischendurch Mani Matter und seinem Sinnieren übers Sandwich – das Gargiulo so innig liebt und sich häppchenweise einverleibte.

Und wenn man miterlebte, was die Zubereitung einer richtigen Pizza in Napoli – und nur dort – bedeutet, wuchsen unwillkürlich ein klein bisschen Sehnsucht, Rührung und Anteilnahme. Wie gemütlich, leicht chaotisch laut und wortreich muss es in solchen Küchen und Gemeinschaften zu und hergehen. Und wieder schloss man sich einer Erkenntnis an: «Zu viel Essen verdirbt den Magen, zu viel Vernunft das Leben!»
Der Kaffee war ein Geschenk des Hauses – nur ging niemand weg.

Ganz viel Applaus hatte Folgen; Zugaben versüssten den Abschied aus einem Klima der Herzlichkeit, grossen spielerischen Eleganz und einem Wortreichtum, der kaum fassbar ist.

Es ist auch der Kulturgesellschaft Glarus zu verdanken, dass es zu diesem ganz speziellen Begegnen gekommen war.