Porträt: Den Seelenfrieden am Tödi gefunden

Sie ist fit, zufrieden und glücklich. «Ab 50 ist alles Zugabe», sagt Gabi Aschwanden, Gemeinderätin und Wanderleiterin aus Linthal. 28 Jahre lang war sie Hüttenwartin der Fridolinshütte am Fusse des Tödis.



Gabi Aschwanden ist zufrieden und dankbar für das, was sie bisher erleben durfte. (Bilder Madeleine Kuhn-Baer/zVg)
Gabi Aschwanden ist zufrieden und dankbar für das, was sie bisher erleben durfte. (Bilder Madeleine Kuhn-Baer/zVg)

«Der Fridolinshütte habe ich alles zu verdanken. Dank ihr habe ich die Liebe zu den Bergen entdeckt, dort oben habe ich mich während 28 Jahren mit Herzblut engagiert. Die Arbeit war meine Berufung», sagt Gabi Aschwanden. Wir sitzen vor einem knuffligen Bauernhäuschen in Linthal. «Dort, wo andere Leute Ferien machen», wie die heute 53-Jährige betont. Hier wohnt sie seit 24 Jahren mit ihrem Schatz Vitus. «Kinder haben wir keine, nur zwei Katzen, vier Hühner und einen Gockel.»

Nirgends schöner als in Linthal

Linthal spielt eine wichtige Rolle im Leben von Gabi Aschwanden. Hier aufgewachsen, absolvierte sie zunächst eine kaufmännische Lehre in St. Gallen. «Mit einem Bein war ich aber immer in Linthal. Ich wäre nicht einmal mit dem schönsten Mann weggegangen», lacht sie.
Da passte es gut, dass sie «als 21-jährige, absolut unsportliche junge Frau» zur Hüttenwartin der Fridolinshütte auf 2111 Meter über Meer gewählt wurde. Wie kam es dazu? «Meine beste Freundin war Hüttenhilfe auf der Planurahütte. Zufrieden und braungebrannt kam sie mich im Restaurant, wo ich als Serviertochter arbeitete, besuchen. Ich sah mich an: Schneeweisse Haut, schwarzer Minirock, Servierschürze, Strumpfhose. Da spürte ich die Sehnsucht, irgendwann auch einmal in einer Hütte zu arbeiten», erzählt sie.
Im darauffolgenden Winter sah sie in der Zeitung ein Inserat: «Hüttenwartin für die Fridolinshütte SAC gesucht.» Für sie die Gelegenheit! Sie bewarb sich als zukünftige Hüttenhilfe des neuen Hüttenwartes. Mangels Bewerbungen aber nahm der SAC Tödi ihre Bewerbung dazu, und ein paar Wochen später wählte man sie zur neuen Hüttenwartin.

Zur Berglerin geworden

Das Leben am Fusse des Tödis war dann allerdings nicht genau so, wie sie es sich vorgestellt hatte: «Am Anfang dachte ich, ich müsse nur am Morgen und am Abend in der Hütte sein. Täglich zog ich los, um die umliegenden Berge zu erkunden. Bis mir jemand sagte, dass ich immer in der Hütte sein müsse. Ich verstand dann, was die Aufgabe einer Hüttenwartin war, und es wurde ernster.»
28 Jahre in den Bergen zu leben und die Launen der Natur hautnah zu spüren, gefiel ihr sehr. «Ich habe all die vielen Gäste genossen und ihre Geschichten. Die Fridolinshütte machte mich zur Berglerin.» Die Welt in der Höhe mit den wilden Tieren und den wunderbaren Blumen fasziniere sie bis heute. Da aber «zu viel Einsamkeit eigenbrötlerisch macht», packte sie vor dem grossen Schnee jeweils ihre Sachen und ging runter ins Tal.
Der Abschied von der Hütte anno 2019 tat ihr sehr weh. «Ich musste erst wieder im Tal ankommen, hatte ein schlechtes Gewissen, wenn ich im Liegestuhl lag. Ich war ja gewohnt, sieben Tage in der Woche zu arbeiten.» Geblieben ist bis heute «ein Suppen- und Wähentrauma».
Nun arbeitet sie zu 40 Prozent bei der Colltex AG in Glarus, markiert Wanderwege und ist als aktive Wanderleiterin SBV tätig. Vor allem im Glarnerland. «Es ist nirgends schöner als hier», sagt sie. Dabei versucht sie, etwas andere Touren anzubieten: «Das Erlebnis zählt, nicht einfach der Gipfel.» Sie will ihren Gästen Juwelen zeigen und aufklären, wie die Berge funktionieren. «Mir ist wichtig, dass sie jedes Mal etwas lernen.» Mehr dazu liest man auf der Website bergzyt.ch, die sie gemeinsam mit den Glarner Bergführern Heiri Furter und André Reithebuch betreibt.
Gabi Aschwanden ist auch die Hauptinitiantin der Via Glaralpina. Wie kam sie auf diese Idee? «Ich war mit einem Bergführer eine Woche auf der Via alta Verzasca im Tessin unterwegs. Dieser alpine Weitwanderweg hat mir gefallen, aber ich vermisste die Gletscher. Ich dachte mir, so einen Weitwanderweg müssten wir im Glarnerland auch haben. Unsere Berglandschaft mit dem Eis ist wild und spektakulär, prädestiniert für eine königliche Wanderroute», so die Visionärin.

Gemeinderätin schon länger im Hinterkopf

Seit einem guten Jahr muss sie ihre Zeit allerdings einteilen und kann weniger mit Gästen unterwegs sein. «Ein paar Touren im Jahr ergeben sich trotzdem noch – umso mehr geniesse ich sie», meint sie. Seit Juli 2022 ist sie nämlich Gemeinderätin von Glarus Süd und Departementsvorsteherin Hochbau und Liegenschaften. Ihr Wunschdepartement? «Beim Verteilen der Departemente blieb am Schluss nur noch dieses übrig. Meine neuen Gemeinderatskollegen versprachen mir, mich bei heiklen Themen zu unterstützen. Dieses Versprechen halten sie ein, und ich darf immer anklopfen, wenn ich mit meinem Wissen irgendwo anstehe. Zudem ist das Departement personell sehr gut und professionell aufgestellt. Ich bin stolz auf mein Team», so die Gemeinderätin.
Interessant ist, dass es sie als Parteiunabhängige schon länger gereizt hatte, Gemeinderätin zu werden. «Man muss den Mut haben, etwas Neues zu machen. Das macht das Leben doch spannend. Ich hatte den Wunsch, nochmals etwas anzureissen.»
Wie hat sie die bisherige Zeit im Gemeinderat erlebt? «Als politischer Grünschnabel musste ich mich erst in den Gesetzesdschungel einarbeiten. Einmal kam ich nach einem langen Sitzungstag nach Hause, und mein Kopf war übervoll mit dem Fachchinesisch. Ich versuchte, die Gedanken zu ordnen, doch sie drehten sich kreuz und quer. Ich ging ins Badezimmer und streckte meinen Kopf unter den kalten Wasserhahn – das wirkte Wunder!»
Das erste Amtsjahr sei anstrengend, lehrreich und unheimlich interessant gewesen. «Monat für Monat fällt mir die Arbeit etwas leichter, aber ich bleibe realistisch – bin noch nicht die perfekte Politikerin.» Aktuell steht eine Änderung bevor: Gabi Aschwanden wird im Dezember das Departement Gesellschaft und Sicherheit des abtretenden Gemeinderates Stephan Muggli übernehmen. Dieses ist tatsächlich ihr Wunschdepartement. Die neu gewählte Gemeinderätin Rafaela Hug werde sich als Juristin schnell ins Departement Hochbau und Liegenschaften einarbeiten, da sich dort vieles um Gesetze drehe, ist sie überzeugt.

Engagiert sich «für alle stummen Bewohner vom Glarnerland»

Wo erholt sie sich von ihren vielseitigen Tätigkeiten? Die Antwort überrascht nicht: «In unseren schönen, wilden Glarner Bergen.» Als Hobbies nennt sie denn auch «Ausflüge in die Berge und die Glarner Wildnis, sei es zu Fuss, auf dem Bike, den Tourenskis oder auf den Schneeschuhen.» Zudem setzt sie sich für die Natur und «für alle stummen Bewohner – sprich Fauna und Flora – vom Glarnerland» ein.
Ihr Fazit: «Ich bin ein verwöhnter Glückspilz! Alles, was ich mir wünsche, wird irgendwie erfüllt. Könnte ich nochmals die Zeit zurückdrehen, würde ich nichts anders machen, würde mein Leben genauso leben, wie ich es bis jetzt leben durfte. Ich habe meinen Seelenfrieden am Tödi gefunden. Ab 50 ist alles Zugabe, zufrieden bin ich sowieso. So darf es weitergehen. Liebe Menschen begleiten mich auf meinem Weg, ich schätze meine ‚Mitlandlüüt‘ und fühle mich wohl hier im engen, heimeligen Glarnerland.»