Porträt: Die Philosophin im Rat

«Jung, grün, Frau: Will das Glarus?» Diese Frage stellte sich Eva-Maria Kreis bei ihrer Kandidatur als Gemeinderätin. Glarus wollte – ganz zur Freude der engagierten Studentin.



Eva-Maria Kreis ist seit zweieinhalb Jahren Gemeinderätin von Glarus. (Bilder: mb.)
Eva-Maria Kreis ist seit zweieinhalb Jahren Gemeinderätin von Glarus. (Bilder: mb.)

Ruhig sitzt sie da, argumentiert, erklärt, antwortet fundiert. Man merkt Eva-Maria Kreis an, dass sie Philosophie studiert hat – neben Germanistik und jetzt im Zweitstudium noch Rechtswissenschaften. Letzteres ist doch sehr speziell. Weshalb studiert sie zusätzlich Jus? «Weil es mich sehr interessiert, weil es mir Spass macht und weil es mir guttut. Im Wissen darum, dass es ein gigantisches Privileg ist, dass ich so etwas überhaupt machen kann und darf», lautet ihre kurze Antwort. Die lange: «Ich mag es überhaupt nicht, wenn mir jemand den Eindruck vermittelt, die Welt sei enger, als sie es ist. Es macht mich misstrauisch zu hören: ‘Nein, das geht einfach nicht.’ Oder: ‘Das ist halt einfach so.’ Das Recht ist im Grunde die Bedienungsanleitung für unsere Gesellschaft, für unser Zusammenleben, die wir gemeinsam entwickeln, fortschreiben, redigieren, korrigieren. Damit ermöglichen wir und damit verhindern wir, damit schaffen wir Gleichheit und eben auch Ungleichheit. Daraus entsteht das, ‘was halt eben einfach so ist’ – und gerade deshalb ist es eben halt nicht ‘einfach so’. Das fasziniert mich, und das möchte ich durchdringen.»

Wie in einer Grossfamilie

Die heute 27-Jährige ist in Glarus geboren und aufgewachsen. Mit einem jüngeren Bruder und «wunderbaren Eltern, die ich alle von Herzen liebe». Auch ein Paar, das etwas älter sei als ihre Eltern und ein Stockwerk über ihnen gewohnt habe, gehöre zu ihrer engsten «Familie» als zentrale Bezugspersonen von Stunde eins an, so Eva-Maria Kreis. Sie sei wie in einer Grossfamilie aufgewachsen.
Nach Kindergarten und Primarschule absolvierte sie die Kantonsschule. «Ich hatte das grosse Glück, durch meine ganze Schulzeit hindurch ganz viele tolle Lehrpersonen gehabt zu haben, die mir extrem vieles mitgegeben haben – und mich aber auch (vor allem als Teenie) ausgehalten haben», erzählt sie mit einem Augenzwinkern.

Alles, nur nicht Lehrerin …

Nach der Matura machte sie ein Zwischenjahr, jobbte und lernte Sprachen. Dann zog sie nach Bern und schmökerte in den verschiedenen Studiengängen: «Ich hatte immer das Problem, dass ich am liebsten ganz vieles studiert hätte. Bis ich dann über Abstecher zur Kombination Philosophie und Germanistik gekommen bin.» Wegen der Philosophie wechselte sie von Bern an die Universität Basel.
Parallel zum Studium begann sie 2019, an der Kantonsschule in Glarus das Ergänzungsfach Philosophie zu unterrichten. «Das war in dem Sinne nicht geplant respektive ich bin angefragt worden. Eigentlich hatte ich immer behauptet, ‘alles, nur nicht Lehrerin’ – weil beide meiner Eltern plus besagte Nachbarin Lehrpersonen waren und man sich ja schliesslich abgrenzen muss …»
Trotzdem sagte sie zu, «weil ich das Fach Philosophie liebe und liebte und absolut klar war, dass ich das von Herzen gerne anderen Menschen näherbringen würde. Das war für mich extrem prägend, und ich habe die Arbeit mit den Lernenden, im Kollegium, das Vermitteln und zusammen Weiterdenken und gemeinsam Lernen geliebt. Im Klassenzimmer habe ich das wirklich begriffen, was ich zuvor einfach verstanden/nachvollzogen hatte.»
Ihre Lehrtätigkeit in Glarus dauerte bis 2023. Dann entschied sie sich «schweren Herzens», wegen dem Jusstudium aufzuhören.

Wieder zurück nach Glarus

Anfangs war sie von Basel nach Glarus gependelt. Während der Coronazeit und dem damit verbundenen Online-Studium verlegte sie ihren Lebensmittelpunkt wieder vermehrt nach Glarus. Heute wohnt sie mit ihrem Freund und einer gemeinsamen guten Freundin in einer Wohngemeinschaft mitten in der Stadt.
Hier engagiert sie sich auch in diversen Funktionen: Sie ist beispielsweise Initiantin der Bücherboxen im Volksgarten – ihrem Lieblingsort in der Gemeinde – und war bis im Sommer 2023 im Co-Präsidium Junge Grüne Glarus. Seit 2022 amtet sie als Co-Vize-Präsidentin der Grünen des Kantons Glarus, seit 2020 als Vorstandsmitglied von KlimaGlarus.ch und aktuell als Mitinitiatorin der Glarus Pride 2025. Die Parteien und Organisationen sind für sie vor allem eins: «Meine politische/motivationale Heimat. Da tanke ich Energie. Da hole ich Inspiration. Da frage ich nach Lösungen. Nach Hilfe. Nach Rat. Da sind viele meiner Freundinnen und Weggefährten, ohne die ich ganz vieles niemals gepackt hätte.»

Glarus als Lokomotive

Der Entscheid, für den Gemeinderat zu kandidieren, sei relativ spontan gekommen, erzählt Eva-Maria Kreis weiter. «Ich hatte eigentlich andere Pläne – aber es kommt eben oft anders als geplant, und das ist auch gut so.» Sie war «relativ engagiert» auf der Suche nach möglichen Kandidaturen aus den Reihen der Grünen/Jungen Grünen – mit wenig Erfolg. An sich selber hatte sie überhaupt nicht gedacht: «Ich habe mir das damals nicht zugetraut.»
Als sie dann jemand fragte, weshalb sie eigentlich nicht selber kandidiere, musste sie das «erst mal sacken lassen». Es folgten «stundenlange Gespräche mit mir ganz wichtigen Menschen. Ich brauche das. Manchmal habe ich den Eindruck, am klarsten denke ich erst im Gespräch mit einem guten Gegenüber.»
Ausschlaggebend waren dann unterschiedliche Gründe. Zum Beispiel: «Auch wenn ich es mir selber nicht zugetraut habe, haben es diejenigen getan, denen ich vertraue.» – «Etwas zu wagen, etwas zu lernen bedeutet immer auch, dass man am Anfang relativ unelegante und staksige erste Schritte geht. Es beinhaltet das Risiko hinzufallen. Und bei einer Kandidatur für ein politisches Amt tut man das ziemlich öffentlich. Aber: Wer nichts wagt, scheitert zwar nicht – gewinnt aber auch nichts. Und noch viel wichtiger: Wer immer am Rand des Schwimmbeckens bleibt, dem oder der kann man zwar nicht beim Scheitern zusehen – aber er oder sie lernt eben auch nie zu schwimmen.» – «Ich wusste: Die Menschen, die mir etwas bedeuten, die fangen mich auf. Und sie sind da und schätzen mich – egal, wofür ich mich entscheide. Ich hätte alleine nie die Energie, das zu tun, was ich tue.» – «Wir bauen heute das Fundament unserer Zukunft. Es ist an uns, diese enkeltauglich auszugestalten und nicht auf Kosten anderer zu leben (sei das heute oder in Zukunft; in sozialen Fragen oder betreffend Klimaschutz). Ich möchte, dass Glarus als Lokomotive in Richtung Zukunft fährt – und nicht als Schlafwagen mitgeschleift wird.»

Keine Kuh zu Hause

War Glarus bereit für eine junge, grüne Frau? Ja, die Wahl in den Gemeinderat glückte auf Anhieb. «Das hat mich mega gefreut, das ist ein schönes Zeichen.»
Sie bekam das Departement Wald und Landwirtschaft (DWL) zugeteilt. Ihr Wunschdepartement? «Ich habe keine Kuh zu Hause und besitze keinen Wald. Aber es war eine Chance zu lernen», schmunzelt sie. Die Welt, mit der sich das DWL befasst, war ihr unbekannt. «Nach zweieinhalb Jahren habe ich diese Welt extrem schätzen gelernt. Das hat ganz viel zu tun mit den Menschen, mit denen ich da zusammenarbeiten darf und von denen ich unglaublich viel lerne jeden Tag. Da wird eminent wichtige Arbeit geleistet, für die oft etwas die Wertschätzung fehlt – die ich im Übrigen auch zuerst erlernen musste. Man schätzt nicht, was man nicht sieht.»
Es tue ihr sehr gut, mit ganz unterschiedlichen Perspektiven und Lebensrealitäten konfrontiert zu sein, aus ihrer «Bubble» rausgerissen zu werden und eine andere Sichtweise einnehmen zu müssen. Zudem sei die Arbeit auf der Gemeinde «super vielseitig». Sie sehe nach zweieinhalb Jahren so viel mehr, was sie zuvor gar nicht wahrgenommen habe: «Ich entdecke die Gemeinde Glarus irgendwie aufs Neue nach all der Zeit. Das ist mega schön.»
Je mehr relevante Perspektiven, Interessen und Lebensrealitäten von Anfang an einflössen und mitdiskutiert werden könnten, desto austarierter und elaborierter sei dann am Schluss hoffentlich auch die Lösung. «Das ist die Stärke von diversen Teams. Und das ist ja eigentlich auch das Ziel jeder repräsentativen Demokratie. Und das ist sicher auch Teil meiner Rolle: Dass ich eben anderes sehe, mich anderes bewegt, ich andere Prioritäten setze. Und diese einbringe. Und dass diese gehört und aufgenommen werden.»
In diesem Zusammenhang lobt sie explizit ihre Gemeinderatskollegin Andrea Trummer, für sie eine «immens wichtige Bezugsperson: Mit ihr teile ich Sorgen und Gedanken, die ich anderen gegenüber nicht gleich ungeniert äussern kann. Das ist irgendwie einfach anders. Solche Personen schlagen Brücken für mehr Diversität und schaffen Zugänge. Ich wünsche mir, dass ich das künftig auch jemandem weitergeben darf.»

Erholung in der WG

Zu ihren Hobbies zählen Velofahren, Podcasts, gemeinsame Essen mit Freundinnen, Freunden und Familie, sie geht gerne ins Theater, Kino, Museum usw. Erholung findet sie aber vor allem zu Hause, in der WG. «Quasi in der Horizontalen, indem ich laaaange ausschlafe, wann immer ich kann. Und vor allem an den Sonntagen – da wird strikt nicht gearbeitet (und ziemlich strikt lange ausgeschlafen). Ich finde es super, mich einfach mal etwas einnisten zu können, nirgendwo dabei sein zu müssen – und zu wissen, dass sich die Welt weiterdreht. Auch ohne mich», so Eva-Maria Kreis.