Ruhig sitzt er da, hört aufmerksam zu, überlegt und antwortet präzise. Die Arbeit als Gemeindepräsident gefällt ihm: «Sie ist sehr breit gefächert, aber auch intensiv und herausfordernd.»
Thomas Kistler wurde am 16. April 1961 in Herzogenbuchsee geboren. Als knapp zweijähriger Knirps sei er «nach Niederurnen gezügelt worden», erzählt er schmunzelnd. Hier wuchs er zusammen mit drei Brüdern auf. Nach dem Besuch der Kanti in Glarus und dem abgeschlossenen Wirtschaftsstudium in St. Gallen bekam er einen ersten Job in Wettingen. Es folgten weitere bei einem Konzern (American Express) und dann als Finanzchef bei einem grossen Reiseveranstalter in Zürich.
Unterdessen hatte er seine Frau Sonja kennengelernt. Die Familie, zu der drei Söhne gehören, zog nach einigen Jahren in Zürich wieder nach Niederurnen. Die Firma Travelhouse verzeichnete ein grosses Wachstum und wurde verkauft. Da er «nicht in einem Konzern arbeiten wollte», suchte er erneut eine Stelle als Finanzchef bei einem KMU und fand diese bei einer Bauingenieur-Firma in Chur. Doch auch diese war erfolgreich und wuchs in zehn Jahren enorm. «Nach dem Verkauf an einen schwedischen Konzern wollte ich dann wieder nicht dabeibleiben.»
Mit Erfolg kandidiert
Zu diesem Zeitpunkt stand die Kandidatur als Gemeindepräsident zur Diskussion. Weshalb hat er sich zur Wahl gestellt? «Ich habe erfolgreich in der Leitung von Organisationen gewirkt und bin seit 2005 im Landrat. Weil mich die Kombination aus Führung und Politik interessierte und weil ich mein Wissen und meine Erfahrung für die Allgemeinheit einsetzen wollte, bewarb ich mich.» Mit Erfolg: Er wurde im 2. Wahlgang gegen sechs Gegenkandidaten gewählt.
Bei der Wiederwahl 2022 gab es einen Gegenkandidaten. Hat ihn das überrascht? «Ich finde es richtig, dass Leute in einem politischen Amt sich alle vier Jahre wieder einer Wahl stellen müssen. Dann haben die Wählerinnen und Wähler auch die Möglichkeit, jemanden, der seine Arbeit nicht gut gemacht hat, nicht mehr zu wählen. Offenbar war eine Mehrheit mit meiner Arbeit zufrieden.»
Viele unterschiedliche Menschen kennengelernt
«Ich bin gerne Gemeindepräsident – auch wenn ich nicht unbedingt immer gerne im Rampenlicht stehen will», sagt Thomas Kistler. Er stellt sein Wissen und seine Einsatzbereitschaft gerne «für etwas Gutes» zur Verfügung, «wenn es nicht nur um maximalen Profit geht – zumindest nicht kurzfristig». Dabei habe er sich sehr einarbeiten müssen, was für ihn aber auch spannend gewesen sei: «So habe ich zu Beginn von Raumplanung, Nutzungsplanung, GRIP, KRIP usw. nur ‚Bahnhof‘ verstanden.» Er besucht auch gerne Jubilare und freut sich an Anlässen: «Es ist eindrücklich, wie viele unterschiedliche Leute ich durch dieses Amt habe kennenlernen dürfen.»
Was gefällt ihm bei seiner Tätigkeit besonders? Was weniger? «Natürlich kann ich als Gemeindepräsident nicht alle Wünsche erfüllen. Ich versuche aber zumindest, allen zuzuhören», meint er. Mühe bekunde er, «wenn uns Arglist oder gar Böswilligkeit vorgeworfen wird. Wenn die Leute mir gegenüber kritisch sind, akzeptiere ich das – ich ärgere mich aber sehr, wenn engagierte Leute in der Verwaltung, in der Schule oder wo auch immer in der Gemeinde unfair behandelt werden.» Bei einigen Leuten scheine es normal zu sein, «dass man Gemeindeangestellte frech und unanständig behandeln darf». Die Angestellten strengten sich an und verdienten eine anständige Behandlung – «so wie jeder auch selbst anständig behandelt werden möchte». Zum Glück aber sei die Mehrheit der Leute höflich und nett und oft auch dankbar für Kleines und Grosses, das in der Gemeinde geleistet werde.
Es braucht Geduld
«Viele Leute möchten immer rasch Reaktionen oder Änderungen – politische Prozesse dauern aber lange, und die Resultate sind oft erst nach Jahren zu sehen. Man muss schon Geduld haben, wenn man in der Politik ist – man muss aber auch Menschen mögen und Vertrauen haben in die Leute.» Viele meinten auch, dass der Gemeindepräsident allmächtig sei. «Ich bin es nicht und will es auch nicht sein. Ich finde Teamlösungen besser und bin auch froh, dass ich nicht allwissend sein muss.»
Enttäuschend für ihn ist die Beteiligung der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger am politischen Prozess: «Dass lediglich 200 bis maximal 500 Leute an eine Gemeindeversammlung kommen, finde ich schade – stimmberechtigt sind bei uns fast 12 000. Offenbar sind die restlichen 95 oder 98% aber zufrieden mit der Arbeit des Gemeindepräsidenten, des Gemeinderates und der Angestellten der Gemeinde, sonst kämen sie ja an die Versammlung. Und eine so grosse Zufriedenheit ist ja eigentlich positiv…»
Geniesst es, «ganz normales Mitglied» zu sein
Wenn er nicht arbeitet oder Politik betreibt, ist er gerne mit der Familie unterwegs. Am liebsten mit dem Bike oder in den Bergen zu Fuss oder beim Skifahren. Grosse Freude hat er auch an seinem ersten Enkelkind.
Erholung findet er generell beim Zusammensein mit anderen Menschen: «Ich gehe möglichst oft am Donnerstagabend in die Männerriege Niederurnen. Da erhole ich mich beim Turnen oder Volleyballspiel oder dann auch beim ,Bier danach‘ und helfe gerne im Chilbi-Zelt in Niederurnen mit.» Er sei dann ganz normales Mitglied und geniesse es.
Wegen der vielen Anlässe, die er «meistens gerne besucht», kommt die Zeit fürs Lesen, aber auch für Besuche von Konzerten, Theatern oder Museen derzeit zu kurz.
Früher hat er sich in diversen Vereinen engagiert. So im Ski- und Snowboardclub Niederurnen, wo er Kassier war und auch als JO-Leiter bei der Kinderskischule im Niederurner Täli geholfen hatte. Zudem war er Gründungsmitglied und langjähriger Vizepräsident des Glarner Pendlervereins und wirkte im Vorstand der Genossenschaft GsdW (zu welcher das Seminarhotel Lihn und das Menzihuus in Filzbach gehören) mit.
Immer Glück gehabt
Wenn er auf sein bisheriges Leben zurückblickt: Ist er zufrieden damit? Oder was würde er anders machen? «Ich schaue viel lieber nach vorn als nach hinten», meint er. Im Nachhinein würde man sicher einiges anders machen – «aber eigentlich hatte ich immer Glück. Wenn ich zurückschaue, sehe ich, dass immer dann, wenn ich es brauchte, eine Tür aufging. Da rede ich aber aus einer sehr privilegierten Position, denn mir ist bewusst, dass nicht alle so viel Glück haben wie ich. Es gibt Leute, die setzen sich sehr ein und kommen doch nicht vom Fleck. Darum engagiere ich mich auch bei der SP – für Chancengleichheit und Gerechtigkeit für alle.»