Porträt: Vom Milchmann zum Produzenten

Er bereiste fast die halbe Welt, bis er im Glarnerland seine Heimat fand. In einem sich schnell ändernden Umfeld gab Sepp Gössi aus Glarus nie auf und schlug in seiner Milchzentrale neue Wege ein.



Sepp Gössi musste sich entscheiden: Kanada oder Ennenda? (Bilder: mb.)
Sepp Gössi musste sich entscheiden: Kanada oder Ennenda? (Bilder: mb.)

Er ist innovativ, kreativ und arbeitet viel. «Gössi zählt zu den modernen Machern von Glarus, die den Pioniergeist fortsetzen und der Stadt neue Impulse geben», heisst es in einem Magazin über den Schwyzer, der seit 1995 im Glarnerland lebt. Schweizweit sind diverse Beiträge über den heute 57-Jährigen erschienen. Darin wird ersichtlich, wie er sich ständig weiterentwickelt und damit den Fortbestand seines Geschäftes gesichert hat.
«Ich musste eine Nische finden, mit der ich über die Runden kam», sagt er rückblickend. Heisst: Eigene Produktion von Anggeziger, Fonduemischung, Glaces und Joghurts. «Nur als Verkaufsladen gäbe es die Milchzentrale Gössi heute nicht mehr», ist er überzeugt. Auch die mehr als 40 verschiedenen Raclettesorten und die rund 200 Käsesorten im Offenverkauf, die mehrheitlich aus der Schweiz, aber auch aus dem EU-Raum stammen, sind attraktive Angebote, mit denen er sich von den Grossverteilern abhebt.

Die Welt bereist

Es war ein langer, teils auch herausfordernder Weg, den Sepp Gössi bis heute beschritten hat. Geboren wurde er als zweites von fünf Kindern auf einem Bauernhof in Weggis, wo er in einem Dreigenerationenhaushalt aufwuchs. Er absolvierte die Lehre als Landwirt und wollte anschliessend möglichst viele Berufe und Arbeiten kennenlernen. Die Liste ist tatsächlich lang: Landwirtschaftlicher Betriebshelfer Bau, Dachdecker, LKW-Fahrer, Carfahrer und Reiseführer durch ganz Europa, einige Monate arbeitete er in Kanada auf einer Milchfarm, Aufenthalt in einem Kibbuz in Israel, drei Jahre in der Logistik der Migros Dierikon. «Wenn ich eingearbeitet war, zog es mich wieder weiter. Ich habe immer gesagt, dass ich nur kurz bleiben möchte. Ich war jung und ungebunden, deshalb war das möglich», so Sepp Gössi.
Sehr eindrücklich war für ihn die Privataudienz bei Papst Paul II., als er mit einem Car von Gössi-Reisen in Rom weilte. Sein Arbeitgeber war sein Onkel, Navigationsgeräte gab es damals noch nicht. Ein mitgereister Ex-Gardist ermöglichte der Gruppe Einblicke in den Vatikan, wie es sie normalerweise nicht gibt. Als der Papst dem 22-jährigen Schwyzer Katholiken die Hand gab, verstand dieser, weshalb Leute teils reihenweise umkippten.

Kanada oder Ennenda?

Nach den drei Jahren in Dierikon war er auf dem Sprung, nach Kanada auszuwandern. Doch dann war plötzlich Nachwuchs in Sicht. «Ich musste mich entscheiden: Kanada oder Ennenda?», schmunzelt er. Ennenda machte das Rennen, und die junge Familie zog 1995 durch eine Empfehlung eines Freundes von Küssnacht am Rigi ins Glarnerland, wo sie die Milchzentrale Ennenda pachtete. Ein Jahr später kam die Milchzentrale Glarus dazu. Nach zwei Jahren mussten sie aus wirtschaftlichen Gründen Ennenda schliessen und zogen nach Glarus.
Was gefällt ihm denn am besten im Glarnerland? Die Antwort kommt schnell: «Die Offenheit der Bevölkerung. Die Begegnungen mit dem einstigen Milchexpress werde ich niemals vergessen. Und mittlerweile wissen und akzeptieren auch alle, dass ich einfach Du sage. Sie duzen mich auch.» Woher kommt diese Angewohnheit, die ja doch gewöhnungsbedürftig ist? «Ich bin viel in den Bergen. In der Innerschweiz sagt man allen ab 1000 Metern Du», lacht er.
Die Berge sind denn auch sein Hobby. «Seit ich laufen kann, zieht es mich dorthin. Ich kletterte unzählige Male die Rigi hoch, renne, wandere und fahre Ski.» Im Alter von 18 Jahren absolvierte er seine erste Skitour in Engelberg. Seither stand er fast zehnmal auf dem Tödi. «Ich mache rund 30 Skitouren pro Winter. Etwa zur Hälfte mit meiner Partnerin.» Hier erholt er sich, ebenso in «unserem schönen Daheim», in der Familie und mit Freunden. Seine drei erwachsenen Söhne sind sein ganzer Stolz.
Was gefällt ihm weniger im Glarnerland? «Nichts», lautet seine klare Antwort. Wirklich nichts? «Die Sonne scheint weniger lang als in der Innerschweiz. Aber das ist Natur, das können wir nicht ändern. Es ist gut, wie es ist», sagt er auf die entsprechende Nachfrage.
Trotz der vielen Arbeit engagiert er sich auch im Dienste der Öffentlichkeit. Zehn Jahre lang hat er die Fasnacht in Glarus mitorganisiert. Seit vielen Jahren ist er Vorstandsmitglied des Gewerbevereins Ennenda und seit der Gründung Verwaltungsrat der Landi Glarnerland AG. Zudem gehört er seit mehr als 20 Jahren dem Elternrat der Pfadi Glarus an.

Neue Wege gesucht

Auch wenn er heute die Milchzentrale Gössi mit Erfolg führt, gab es geschäftlich doch immer wieder schwierige Zeiten. So wie erwähnt die Schliessung der Milchzentrale Ennenda oder die Einstellung des Milchexpresses nach einem Totalschaden des Fahrzeugs. Doch er liess sich nicht beirren. Innovativ, wie er eben ist, mietete er in Ennenda Produktionsräumlichkeiten und eröffnete in Glarus den Event-Keller, der gerne von Privaten und Vereinen gebucht wird. «Seit fünf Jahren arbeitet mein ältester Sohn Roman mit. Sein Einstieg trägt viel zum Erfolg bei. Wie auch die tolle Arbeit der gesamten Belegschaft», betont er.
Würde er rückblickend nochmals alles gleich machen? «Ja, ausser ein paar Kleinigkeiten», lacht er. Er habe sich schon gefragt, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn er nach Kanada ausgewandert wäre. Der Besitzer der dortigen Milchfarm – ebenfalls ein Schweizer – hat ihn übrigens 25 Jahre später besucht. Er hatte die Gössi-Tafel in Glarus gesehen und gedacht, er müsse mal schauen, ob es Sepp Gössi sei. Das Wiedersehen wurde natürlich herzlich gefeiert. Das muss man einen Innerschweizer ja nicht lehren.