Richisauer Literatursommer – Beat Hüppin las

Das Richisau – an wundersamer Lage im hintersten Klöntal – ist ein Ort mit einer ganz speziellen Geschichte, voller Geheimnisse, geprägt von Literatur, Musik, riesiger Ruhe, Malerei und Gastfreundschaft. Diese Kombination hat Baeschlin littéraire zur Durchführung von vier Literaturtagen, zum Begegnen mit bekannten und unbekannten Autoren, veranlasst.

Diesmal war Beat Hüppin eingeladen.

 



Buchautor und Gast im «Richisau».
Buchautor und Gast im «Richisau».

Er las aus seinem Erstling «Talwasser» und machte die wenigen Gäste mit den Geschehnissen um den Bau der Staumauer im abgelegenen schwyzerischen Innerthal im Jahre 1920 vertraut. Der im Jahr 1976 geborene Hüppin ist heute als Lehrer an der Kantonsschule Ausserschwyz tätig. Er wuchs in der March, in Wangen, auf. Er verknüpft Ergebnisse seines historischen Recherchierens mit dem Schicksal einer kinderreichen fiktiven Familie im Damals und Gegenwärtigen.

Hansrudolf Frey begrüsste alle gleichermassen herzlich. Es hatten sich nur wenig Interessierte eingefunden, was wohl auch dem herrlichen Sommerwetter zuzuschreiben war. Man befinde sich, so Frey, an einer Stätte, die besonders viel mit Literatur und Kunst zu tun habe. Beispiele wurden zum dritten Literatursommer in dieser Art angemerkt. Weil Geld zum Bezahlen des Aufenthalts zuweilen fehlte, wurden zuweilen Bilder oder andere Erzeugnisse zurückgelassen.

Beat Hüppin sei mit dem Klöntal und seiner Geschichte um den Stausee gewiss weniger eng verbunden als mit der Entstehung der grossen Talsperre im Wägital. Hansrudolf Frey äusserte sich zu Hüppins Erstling «Talwasser» und den weiterführenden Erlebnissen in «Asphalt». Hüppins Sprache habe ihn gepackt. Es werde in ruhiger Art aufgezeigt, wie es bei den Bauernfamilien im Wägital zu- und hergegangen sei, welche Spannungen sich bei Planung und Bau der riesigen Staumauer ergeben hätten, wie Kulturen der Bauarbeiter aus verschiedenen Nationen und den Einheimischen zuweilen aufeinander geprallt seien, wie selbstherrlich die Bauherrschaft vorgegangen sei – dies ohne die Einheimischen einzubeziehen, sie mitbestimmen zu lassen.

Beat Hüppin fügte die gelesenen Passagen zu einer willkommenen Ganzheit. Er unterbrach die Lesung mit verschiedenen Erläuterungen zu Baugeschichtlichem, dem Leben in der Grossfamilie Dobler samt Sorgen und Nöten wegen der erforderlichen Umsiedlung an einen noch unbekannten Ort, dem Dienst an der Landesgrenze während dem Ersten Weltkrieg.

Unerwähnt blieben beispielsweise die damals grassierende Spanische Grippe, die Rolle der Katholischen Kirche und ihrer Exponenten beim Bau der Mauer, die zuweilen heftigen innerfamiliären Handlungen, existenziell Bedeutendes, Kontakte mit ebenfalls betroffenen Bauernfamilien, Umgang mit Gästen die im Tal auftauchen, Belastung bei der harten Arbeit, verständlich aufkeimende Spannungen.

Liest man sich durch die beinahe 300 Seiten, findet man sich in einer Ganzheit, die durch Behäbigkeit, zuweilen zu starken Einbezug von Mundartwendungen, kleinbürgerliches Handeln, leidenschaftliche Auseinandersetzungen, Hang zu Langatmigem, Schwerfälligem aufweist. Da wird argumentiert, verdächtigt, intrigiert, gelitten, geschrieben, geliebt, geschuftet, ungehalten und ungeduldig konversiert. Hüppin schreibt, als sei er zuweilen mittendrin, er protokolliert minutiös. Die Mundartwendungen schaffen Raum für Bodenständigkeit, Behäbigkeit. Den so aufgebauten Alltag kann man gut nachvollziehen. Aber es braucht Zeit, um den mit wenig Spannung erfüllten Alltag und seine darin agierenden Personen umfassend kennenzulernen. Vieles wirkt bieder, ist ohne Überraschung, ist eben Alltag, wie er überall vorkommt.

Der zweite Roman führt in die Neuzeit, in Heutiges, handelt von der jungen Generation Dobler, die in der Gegend von Tuggen ein Heimwesen bewirtschaftet und deren Existenz durch den Bau der Autobahn wieder in Gefahr ist.

Im Verlaufe der wenig genutzten Diskussion kam die Rede auf die damals vonseiten der Bahn und Industrie sehnlichst herbeigewünschte Elektrifizierung, die Risiken beim Bau der gigantischen Mauer im Wägital, die Rolle der damaligen Talbewohner als Spielball der Bauherrschaft, die Unfähigkeit, sich gemeinsam zu wehren, den Gegensatz zwischen den mehr als 1000 fremden Arbeitskräften und den etwas mehr als 200 Bewohnern in dieser Streusiedlung, das Abhandeln von Baugeschichtlichem in der Presse, die Sensationslust der Journalisten, das Verschwinden der Bauernhöfe und anderes.

Nach dem Begegnen mit Beat Hüppin wird am 27. August Romana Ganzoni, eine neue Stimme der jungen Schweizer Literatur, im «Richisau» zu Gast sein.