Richisauer Literatursommer – Beginn mit Peter Höner

Den fünften Sommer mit Literarischem eröffnete unlängst der Erfolgsautor Peter Höner aus dem thurgauischen Iselisberg, vielleicht ebenso hoch über dem Alltag gelegen wie das sagenhaft heimelige Richisau. Höner, mit Jahrgang 1947, wuchs in Belgien und der Schweiz auf. Er machte die wissbegierigen Zuhörerinnen und Zuhörer mit einer Welt bekannt, die sich vielen wohl erst bei einer zweiten, vertiefenden Auseinandersetzung mit Sein, Schein und Wirklichkeit, mit Fiktivem und Anderem öffnet. «HG Neunzehn» lautet der Titel und handelt, über die drei mit «War ich jemals wirklich wach»; «Zwischen Herzstillstand und Hirntod» und «61 vor HG 19» überschriebenen Kapitel von Salvador Patrick Fischers sonderbarem Ausflug in die analoge Welt.



Gasthaus Richisau, hoch über dem Klöntalersee (Bilder: p.meier)
Gasthaus Richisau, hoch über dem Klöntalersee (Bilder: p.meier)

Begrüsst wurden alle von Hansruedi Frey, Verleger, keineswegs wortkarg, herzlich und den ersten Gast präsentierend. Er erhielt einst von Höner die erste Fassung mit der Bitte, das doch intensiv durchzulesen und ein Urteil abzugeben. Höner, vor vielen Jahren aus Afrika zurückgekehrt, zeigte auf, wie schwierig es für ihn über beinahe 20 Jahre hinweg geworden sei, diese Idee zu Ende zu führen. Immer wieder sei ihm dieser Salvador aus den Manuskriptseiten entwischt. Es habe ihm zuweilen grosse Mühe bereitet, diese zwischen Fiktionen und der Wirklichkeit unstet rumswitchenden Person gebührend Platz zu vermitteln.

Höners literarische Schaffen darf nicht auf diesen einen Roman beschränkt werden, es ergäbe sich eine zu einseitige, leicht schräge Perspektive. Höner arbeitete nach dem langen für ihn zuweilen verstörenden, desillusionierenden Aufenthalt in Afrika als Autor von Romanen und Erzählungen. Er wendet sich an Liebhaber spannender Geschichten mit zuweilen politischem, zeit- und gesellschaftskritischem Hintergrund. Bewusst, so nochmals Hansruedi Frey, sei ein «Meister aus der Krimiszene» eingeladen worden. Peter Höner, so Freys Weiterführen, sei mit seiner Lebenspartnerin Michele Minelli, Verfasserin verschiedener, zum Erwerb ebenfalls bereitliegenden Bücher angereist; ein glücklich stimmender Fakt.

Der Beginn zögerte sich hinaus, weil die mit dem Postauto Angereisten irgendwo steckengeblieben waren, weil ein gar kreativer Besitzer eines Privatautos sein Vehikel «deräwäg» hingestellt hatte, dass ein Passieren nicht mehr möglich war. Das Klöntal vermochte – einmal mehr – nicht allen Erholungssuchenden samt Vierrad-Untersatz Platz zu bieten. Wie wird sich das entwickeln – eine Frage, die auch gewiefte Buchautoren nicht abschliessend zu beantworten wagen.

Peter Höner las zuerst aus «Kenia Leak», einer Geschichte, die von Kommissar Mettler und dessen afrikanischem Freund Tetu handelt, der sich in der Schweiz einer Augenoperation unterziehen und mit seinem Freund einen heissen Fall aus dem kenianischen Finanzministerium samt Entourage lösen will.

Dann die Hitzepause – dann weiter zu «HG Neunzehn» mit dem absolut computerversessenen Fischer, Salvador Patrick, geboren am 11. 11. 1999 (ist dieses mit Narrentreiben verbandelte Datum bewusst gewählt?), gestorben am 21. August 2019 im Chàteau – Verjean – les – Deux -Eglises, im Raume Avignon gelegen, ein Zentrum der gesamten Handlung. Noch lebt also Fischer Salvador.
Höner erzählte von diesem Schloss und dessen leicht verrückt – entrückte Geschichte. Eine Person kaufte es, konnte aber aus finanziellen Gründen nur den Schlosspark restaurieren, das allein ein fast aussichtloses Unterfangen. Vier weitere, gemeinsame Käufer zerstritten sich derart, dass sie mit dem Bau eines Treppenhauses das riesige Gebäude in vier Teile gliedern.

Höner erzählte auch von seinem Umgang mit dem Computer, von seinen Erfahrungen mit Computerspielen. Das überträgt er auf Salvador Patrick, der sich nur noch dem Gamen hingibt, sich der realen Welt verschliesst, von HG Neunzehn immer neue Botschaften kriegt. Die haben es in sich; enthalten sie doch auch Beförderungen in ein höheres Level, die Zuteilung neuer persönlicher Ausrüstungsgegenstände, aber mit dem immer gleichlautenden Auftrag, sich die Welt anzuschauen und darüber zu berichten. Salvador versinkt in seiner, vielen Lesenden zuweilen fremden Welt.

Der Gamende fragt sich zuweilen, ob «HG Neunzehn» bloss ein fieser Hacker oder sein Gott sei – und mit dieser Frage ist er auf der richtigen Spur, weiss das aber nicht. Zuweilen ist er mit seiner Mutter, einer studierten Biologin, aber im Alter an einer Kinokasse arbeitend, verlinkt. Sein Vater kommt nur in knappen Sequenzen vor.

Salvador reist, mit technischen Hilfen gut dotiert, in dieses Schloss. Herbert ist sein Berater, den er alles fragen kann. Mit Salfie 19 macht er Fotos, kann sich mitteilen. Und Honey 16, man ahnt es, ist für Erotisches gedacht. Salvador entfremdet sich in immer stärkerer Weise, entrückt; Wirklichkeit ist plötzlich ein fremder Begriff, eine entfernt liegende Welt geworden.

Was er in diesem Schloss durchlebt, erfährt, mitmacht, sieht, erleidet, anpackt, die intensiven, zuweilen abstossenden Liebesspiele, die in Schränken geschichteten Gegenstände, grausliche Ratten, tanzende Frauen, Treppen, die ins Nichts führen, Tapetentüren, seltsame Seminarteilnehmerinnen auf pupsenden Matten, Augenbinden tragend, Chinesen im himmlischen Garten, Salvadors geplanter Auftritt als Götterbote im Auditorium – über die drei wechselvollen Kapitel hinweg tritt Höner eine Lawine an Ereignissen los. Einiges ist abstossend, anderes spannend, dann wieder bedrohlich vieles ist für den «Game-Fremden», den Unwissenden seltsam, nicht derart fassbar, wie es vielleicht sein sollte.

Und ganz am Schluss, nach dem Passieren der «Wolke 7», dem Gang durch Arkadien der Seligkeit auf dem Festplatz und anderem, wird er – der Lästige, Aufsässige durch ein Wolkenloch geschmissen. Und auf der exakt hundertneunzigsten Seite steht: «Und er war nicht der Erste, der aus allen Wolken fiel».