Richtigstellung und Anschauungsunterricht an der ETH

Auf Wunsch der Gemeinden der Linthebene hat die Linthkommission am 31. Oktober 2007 zu einer Orientierung an die Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich eingeladen.



Orientierung vom 31. Oktober: an der Versuchsanstalt für Waserbau an der ETH Zürich (bild: jhuber)
Orientierung vom 31. Oktober: an der Versuchsanstalt für Waserbau an der ETH Zürich (bild: jhuber)

Zuerst wurde den Gemeindevertretern das Modell erklärt, das zur Simulation des Geschieberegimes und zur Optimierung der Verbauungen der zukünftigen Flussausweitung im Chli Gäsitschachen (Escherkanal) dient. Anschliessend erörterte Professor Hans-Erwin Minor, Leiter der VAW, die Lage am Linthkanal in Bezug auf Hochwassergefahr und Hochwasserschutz. Dabei korrigierte er falsche Behauptungen, die in der Ebene kursieren. So wird die Kapazität des Linthkanals nicht reduziert, sondern im Gegenteil erhöht. Zudem stellt der sogenannte «Überlastfall», also die Entlastung des Linthkanals bei einem extremen Hochwasser, die sicherste und günstigste Lösung dar, um eine Überflutung der gesamten Linthebene zu verhindern.

Nach Anfragen aus dem Kreis der Linthgemeinden hat die Linthkommission für die Gemeindepräsidenten eine Informationsveranstaltung zum Thema «Hochwasserschutz» an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich organisiert. Die VAW wird durch Prof. Dr.-Ing. Hans-Erwin Minor geleitet; im Auftrag der Linthverwaltung begleitet und überwacht sie als oberste technisch-wissenschaftliche Instanz das Projekt «Hochwasserschutz Linth 2000».

Die Kapazität des Linthkanals wird erhöht – nicht reduziert!


Anlässlich dieser Veranstaltung korrigierte Professor Minor drei Aussagen, die in Bezug auf das Projekt «Hochwasserschutz Linth 2000» in der Linthebene kursieren: Reduzierung der Kapazität des Linthkanals, Senkung der Dämme und Gefahr für Schänis, falls gleichzeitig eine Hochwassersituation mit Wasserentlassung aus dem Linthkanal (Überlastfall) eintritt und eine Überschwemmung durch die Schänner Bäche erfolgt.

Anhand von Karten und Grafiken erklärte Professor Minor, dass die heutige Abflusskapazität des Linthkanals zwischen Giessen und Grynau über weite Strecken nur 300 m3/s bis knapp 360 m3/s beträgt. Eine präzise Bemessung der beidseitigen Dämme des Linthkanals hat dies ergeben. Das bedeutet, dass über weite Strecken die Abflusskapazität für ein hundertjähriges Hochwasser (HQ100) nicht vorhanden ist.

Sehr hohe Schutzqualität für die Landwirtschaft


Die Abflusskapazität für den Linthkanal zwischen Ziegelbrücke und dem Obersee wurde im Projekt «Hochwasserschutz Linth 2000» auf 360 m3/s festgelegt. Dies entspricht einem hundertjährigen Hochwasser (HQ100).Die Landwirtschaft profitiert voll von diesem Ausbau: Nach den gültigen Ansätzen müsste das Agrarland der Ebene nur gegen ein zwanzigjähriges Hochwasser (HQ20) geschützt werden. Da aber die Siedlungs- und die Landwirtschaftsgebiete am Linthkanal stark ineinander verzahnt sind, wird es sehr schwierig, eine Differenzierung zwischen Agrarland und Siedlungszone vorzunehmen. So wurde beschlossen, den Hochwasserschutz am Linthkanal über die gesamte Länge des Kanals auf ein hundertjähriges Hochwasser auszurichten – auf 360 m3/s. Die Landwirtschaft der Ebene wird also den gleichen Schutz geniessen wie die Siedlungsgebiete.

Abflusskapazität: 500 m3/s waren nie ein Thema


In Bezug auf den von gewissen Kreisen verlangten Ausbau des Linthkanals für eine Abflusskapazität von 500 m3/s ist die Lage klar: Die Tatsache, dass die Abflusskapazität oberhalb vom Hänggelgiessen zum Teil massiv höher ist als zwischen Hänggelgiessen und Obersee (und bei Ziegelbrücke sogar über 1'000 m3/s beträgt), hat nichts mit dem Sicherheitsdenken der Erbauer, also Escher und seinen Nachfolgern, zu tun. Sie ergab sich einfach aus den Gegebenheiten der Landschaft – aus der Topographie: Um die Schiffbarkeit vom Zürichsee bis zum Walensee zu sichern, war es unabdingbar, einen Kanal mit möglichst wenig Gefälle und ohne Schleusen oder Wasserstufen zu bauen. Deshalb wurde die Linth an gewissen Orten in einen tiefen Graben verlegt. Zum Beispiel in Ziegelbrücke.

Werden die Dämme jetzt abgesenkt?


Mit dem Projekt «Hochwasserschutz Linth 2000» wird die Abflusskapazität von Ziegelbrücke bis zum Obersee durchgehend auf 360 m3/s erhöht (HQ100). Es leuchtet ein: Eine solche Erhöhung kann unmöglich mit einer Absenkung der Dämme erreicht werden. Entsprechende Behauptungen basieren auf Missverständnissen oder Unwissen. Tatsache ist, dass die Dammkrone im Rahmen der Bauarbeiten teilweise abgetragen werden muss. Anschliessend wird sie aber wieder aufgebaut – stabiler und sicherer als sie heute ist. Zudem wird sie auf hohem Niveau ausegalisiert und fahrbar gemacht. Bei dieser Egalisierung werden selbstverständlich nicht die bestehenden punktuellen Überhöhungen der Dammkrone für teures Geld wieder aufgebaut. Zusammenfassend ist klar: Nach der Sanierung werden die Dämme über weite Strecken höher sein als heute – und nicht tiefer.

Der Überlastfall – 8,5 Mio. anstatt 88 Mio. Kubikmeter Wasser in der Ebene!


Was aber, wenn ein sogenanntes dreihundertjähriges Hochwasser (HQ300) stattfindet und das Gerinne mehr als 360 m3 Wasser pro Sekunde transportieren muss? Zuerst geschieht nichts: Der Linthkanal wird kurzfristig bis zu 420 m3/s ableiten können ohne überzulaufen. Dafür muss allerdings das Freibord von rund 70 cm beansprucht werden, das bei 360 m3/s übrigbleibt. Selbstverständlich unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen für Menschen, Tiere und Objekte.

Droht der Kanal überzulaufen, kommt es zum sogenannten Überlastfall: Das überschüssige Wasser wird kontrolliert ausgeleitet. Die Wörter «überschüssig» und «kontrolliert» sind hier wichtig. Beim Überlastfall wird nur die Spitze des Hochwassers während der kürzest möglichen Zeit auf kontrollierte Art und Weise über ein geregeltes Wehr ohne Gefahr für Mensch und Tier in die Ebene ausgeleitet. Der Überlastfall stellt also das absolut kleinstmögliche Übel in Bezug auf Überschwemmung dar. Bei einem Dammbruch würde nicht nur die Spitze des Hochwassers kurzzeitig in die Ebene fliessen: Der ganze Inhalt des Kanals würde sich unkontrolliert und über Tage in die Ebene ergiessen, Siedlungen überschwemmen und Mensch und Tier gefährden. In Zahlen ausgedrückt: Bei einem dreihundertjährigen Hochwasser (HQ300 – rund 500 m3/s) müssten rund 8,5 Mio. Kubikmeter Wasser aus dem Linthkanal ausgeleitet werden, wogegen ein Dammbruch die Ebene mit mehr als zehnmal soviel Wasser überfluten würde: rund 88 Mio. Kubikmeter. Das Schadenpotenzial bei Dammbruch ist ermittelt worden. Es beträgt 280 Millionen Franken. Auch das Schadenpotenzial des Überlastfalls wurde geschätzt. Es ist nur ein Bruchteil davon. Das Linthwerk hat sich zudem verbindlich verpflichtet, für Schäden aufzukommen, die aus einer gezielten Wasserausleitung aus dem Linthkanal entstehen.

Der Überlastfall – in der Schweiz für jedes Wasserbauwerk eine gesetzliche Pflicht – ist also das Gegenteil einer gefährlichen Angelegenheit: Eine Lebens- und Sachversicherung für die Ebene zwischen Schänis und Schmerikon.

Das gesteuerte Wehr – eine optimale Lösung


Damit der Linthkanal im Überlastfall rechtzeitig entlastet werden kann, hat die Linthverwaltung den Bau eines gesteuerten Wehrs im Gebiet Hänggelgiessen vorgeschlagen. Im Notfall wird die kontrollierte Entlastung des Kanals über dieses Wehr erfolgen. Dies bietet den Vorteil, dass die Entlastung möglichst spät eingeleitet und möglichst rasch abgebrochen werden kann. Somit reduziert sich die Wassermenge, die in die Schänner Ebene ausgeleitet wird, auf das absolut Notwendige.

Die Entlastung führt zu einer temporären Überflutung. Damit das ausgelassene Wasser schnell und effizient wieder aus der Ebene abgeführt werden kann, wird die Abflusskapazität des rechten Hintergrabens auf 80 m3/s erhöht. Heute beträgt sie rund 55 m3/s.

Hochwasser am Linthkanal und Überlaufen der Schänner-Bäche: Was nun?


Berechnungen und Simulationen haben es gezeigt: Es ist wenig wahrscheinlich, dass ein Hochwasser an der Linth und ein Überlaufen der Schänner Bäche zeitlich zusammentreffen. Ausgeschlossen ist es aber nicht. Diese Gefahr wurde beim Planen der Abflusskapazität des rechten Hintergrabens berücksichtigt: Der neue Hintergraben wird 80 m3 Wasser pro Sekunde in Richtung Obersee ableiten können. Bis jetzt waren es rund 55 m3/s. Mit 80 m3/s ist der Hintergraben gross genug, um die Konsequenzen eines hundertjährigen Hochwassers zu bewältigen. Ein weiterer Ausbau würde zur Vernichtung von viel Agrarland führen, hohe zusätzliche Kosten verursachen und gegen das Prinzip der Verhältnismässigkeit verstossen, das bei der ganzen Planung des Projekts «Hochwasserschutz Linth 2000» wegleitend war.

Mit dem Ausbau des rechten Hintergrabens wird im Übrigen auch die Voraussetzung für eine Sanierung der Schänner-Ebene geschaffen. Für den Hochwasserschutz in dieser Ebene ist die Linthebene-Melioration zuständig. Die Linthebene-Melioration prüft nun im Rahmen einer separaten Planung verschiedene Massnahmen zur Verbesserung des Hochwasserschutzes. Das Linthwerk stellt dazu alle erarbeiteten Grundlagen zur Verfügung.

Das Escherkanal-Modell der VAW: Geschiebe unter Kontrolle


Die Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) hat im Auftrag der Linthverwaltung ein Modell des Escherkanals gebaut, um das Geschieberegime an diesem Fluss zu überprüfen. Ziel des Modellversuchs ist es, abzuklären, wie sich das Geschieberegime des Kanals unter verschiedenen Bedingungen entwickelt, um daraus Erkenntnisse für die Neugestaltung des Chli Gäsitschachen zu gewinnen. Die Modellversuche, so wie sie an der VAW durchgeführt werden, sind das bewährteste Mittel für die Planung einer Flussaufweitung. Sie erlauben es, die baulichen Massnahmen so zu optimieren, dass man mit einem Minimum an technischen und finanziellen Mitteln ein Maximum an Effizienz erreicht. Das Ziel ist nämlich, die Aufweitung des Chli Gäsitschachen so zu gestalten, dass weder allzu starke Ablagerungen noch Erosionen später zu Problemen führen.

Wie die Gemeindepräsidenten der Linthebene anlässlich der Informationsveranstaltung der VAW feststellen konnten, sind die ersten Ergebnisse der Simulation am dreissig Meter langen Modell bereits sichtbar.