Romeo und Julia zu Gast in Glarus

Auf Einladung des «Wortreich»-Teams gastierte Bernd Lafrenz, gar vielseitig und wirblig agierender Schauspieler, in der Buchhandlung an der stadtglarnerischen Abläschstrasse. Das sei bereits zum vierten Mal so, wurde dem erfreulich zahlreich erschienenen Publikum beschieden.



flehender Pater. (Bilder: p.meier)
flehender Pater. (Bilder: p.meier)

Dies bevor Lafrenz auf der kleinsten Bühne der kleinsten Hauptstadt, aber auf grossem Kulturpodest mit einem wahren Feuerwerk an Mimik, Wortschöpfungen, immensem Reichtum an geschickt gesetzten Pointen und einer gehörigen Portion Frechheit gegenüber dem ach so tragisch lebenden, historisch verbürgten Liebespaar Romeo und Julia und dessen adliger, herrschaftlicher Entourage zu agieren begann, teilweise unter charmantem Einbezug des weiblichen Publikums. Da streiten sich die schlagkräftigen Kontrahenten der beiden verfeindeten Familien, stechen aufeinander los, schon ist einer, später der andere auf der Gegenseite eines blaublütigen Todes verschieden. Dass Shakespeare von 1564 bis 1616 lebte und geistiger Vater der 1597 erstmals gedruckt vorliegenden Liebestragödie «Romeo und Julia» ist, steht zweifelsfrei fest. In welchem Jahr und mit welch glücklichem, poetischem Reichtum Bernd Lafrenz das ganze Geschehen bearbeitet und für seine Einmann-Aufführung umgesetzt hat, ist in keinem Nachschlagewerk enthalten. Das tut dem Hör- und Sehgenuss gar keinen Abbruch. Lafrenz legt los und macht einfach vor nichts Halt, ausser zu Beginn, wenn er als Velokurier der Internationalen, seit 1423 bestehenden Velokurierdienste Balthasar auftaucht und in Glarus eine weitere der schon zahlreichen Filialen zu gründen gewillt ist. Nahtlos wechselt er von einer Rolle in die andere, sei es als Romeo oder Julia, ein Mitglied der arg verfeindeten Familien, Liebhaber vom Dienst, Pater Lorenzo, Julias Amme, Graf von Verona oder Signore Balthasar. Wort- und gestenreich bittet, fleht, kämpft, betet, tratscht, sauft und kämpft er. Die Auswahl an geeigneten Frauen ist schier unerschöpflich, aber da pickt er sich nur jene raus, die gar liebreizend, natürlich wohlhabend, in Liebesaffären bewandert und heiratswillig sind. Von all dem Treiben darf Balthasar niemandem etwas preisgeben, ein überflüssiges Gebot des Romeo, der sorgt selber fürs Kundtun der Liebes-, Tod- und Kampfgeschichten. Manchmal geht alles etwas gar schnell, derart quicklebendig schlüpft Lafrenz in die stets wechselnden, historisch gesicherten, aber stark aufs Heute umgearbeiteten Spielteile.

Tragisch ist gewiss, dass Julia nach Einnahme eines Getränks für zwei Stunden tot, also scheintot ist, in der Familiengruft auf die Rückkehr ihren geliebten, nach Mantua verbannten Romeo wartet und mit höhlenähnlichen Lauten Lebenszeichen aussendet, die aber Romeo nicht mehr aufzunehmen fähig ist. Er hat sich in Unkenntnis des von Pater Lorenzo, einem übrigens sehr gottesfürchtigen den menschlichen Gelüsten nicht verschlossenen Kirchenvertreter, eingeleiteten Vorhabens dem Tode hingegeben und verscheidet exakt auf jenem, eher wackeligen Bett, auf dem Monate zuvor noch innigst geliebt worden war. Der Graf von Verona hatte Romeo nach Mantua verbannt, weil er zuvor, so freventlich gemordet und immense Zwietracht säend, agiert hatte. Und man muss Lafrenz schon als Pater, feurigen Liebhaber, Wächter am Eingang zum herrschaftlichen Garten, Velokurier, Amme, Julia, Graf und anderswen erlebt haben, um alles – grosse Aufnahmebereitschaft, Liebesleben-Logik, Kenntnisse der einfachsten Fechtkünste, Tratschphilosophie, mittelalterliches Strafrecht vorausgesetzt – mehr oder weniger lückenlos aufnehmen zu können. Zudem muss beim Hinschauenden solide Übersicht vorhanden sein, um Lafrenz und dessen virtuosem Einsetzen der Bühnenelemente und der knappen Requisiten folgen zu können. Denn damit versteht man, was zur jeweiligen Szene im gesamten, ach so tragisch – stürmischen Geschehen reinpasst. Man spitze die Ohren, wenn Lafrenz Originaltexte deklamiert und man freue sich, wenn er mit zeitgenössischen, zuweilen derb-deftigen Kraftausdrücken um sich wirft, sich hinkniet und innigst betet, die Beichte der Julia entgegennimmt, als atemlose Amme auftaucht, oder …

Diese Reichhaltigkeit ist einer übervollen, köstlichen Tafel gleichzusetzen


Lafrenz setzt keine billigen Gags oder volkswirksame Derbheiten ein, dazu ist er viel zu intelligent. Er ist ein versierter, zuweilen leicht schräger Tausendsassa, der sein Metier in beneidenswerter, ihm eigenen Ganzheit beherrscht und ausspielt – wortreich, wie er sich in der gleichnamigen glarnerischen Buchhandlung ausdrückte und den Geschäftsinhabern – dies eine verdiente, schöne Geste – für den Mut und das kulturelle Engagement nachhaltig dankte.